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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Allerdings würde die unvorsichtige Taufmutter, wollte sie den Rath „unserer Excellenz“ befolgen, nothwendiger Weise das arme zu taufende Geschöpf auf die Erde fallen lassen. Jedenfalls müßte der bleiche, langhaarige Jüngling an dem Pianoforte bei der klirrenden Begleitung des Champagnerglases aus dem Tact kommen, wenn ihn nicht die allabendliche Uebung seines künstlerischen Daseins im Strauß’schen Walzer tact- und sattelfest gemacht hatte. Wohl befremdet es manchen Gast an der Tafel, daß die Excellenz den gastfreien Hauswirth Anton Antonowitsch nennt, da er doch Maxim Alexandrowitsch heißt. Nur mühsam unterdrückt mancher Eingeweihte ein Lächeln bei dem Speech des Generals auf das alte Glück von „Smirnow und Söhne“, da doch die ehrenwerthe Firma bereits dreimal mit ihren Gläubigern accordirt hat.

Wer aber kann der liebenswürdigen Excellenz mit dem schneeweißen Haar, den funkelnden Epauletten und dem breiten Ordensband, die einem Jeden so freundlich die Hand schüttelt, so brav mittrinkt, so tapfer bis zum letzten Ende aushält, etwas übelnehmen? Was wäre das ganze Fest ohne „unsere charmante Excellenz“ gewesen?

„Unsere Excellenz“, – das ist eine dieser fraglichen Petersburger Existenzen, deren Lösung in dem Titel dieser Skizze liegt. Für ein angemessenes Honorar figurirt der alte, zur Disposition gestellte General als glänzende Staffage der bürgerlichen Hochzeiten, Beerdigungen, Taufen und sonstigen Feste. Gehört doch ein General zu den unumgänglich nothwendigen Requisiten einer solchen Feier in Petersburg. Und daß dieses angemessene Honorar trotz mancher Concurrenz redlich seinen Mann nährt, beweist uns die elegante Equipage, das behagliche Leben „unserer alten Excellenz“. Arthur v. Truhart.     




Der Proceß Zastrow, der binnen Kurzem seiner Entscheidung entgegengeht, wird einen merkwürdigen Beitrag zu den Verbrechergeschichten, den causes célèbres der Neuzeit liefern und den traurigen Beweis geben, daß die Verirrungen der menschlichen Seele in unserm vorgeschrittenen Jahrhundert noch in heidnischster Gestalt auftreten können. Dieser Zastrow ist ein Beispiel von Herunterkommen und Versinken, wie man es bei einem gebildeten Menschen bisher gar nicht für möglich gehalten hat. Seine Lebensgeschichte in kurzem Abriß wird dies hinlänglich darthun.

Karl von Zastrow, nicht Wilhelm, wie die meisten Blätter ihn irrthümlich nannten, ist der älteste Sohn des Generals von Zastrow, der zuletzt in Münster Brigadier war und dort verstorben ist. Die Mutter war eine Berlinerin, eine geborene Lemcke, die als sehr schönes und reiches Mädchen ungefähr 1820 bis 1825 eine geachtete und gefeierte Persönlichkeit in Berlin war. Ein Bruder von ihr, Legationsrath Lemcke, ebenfalls ein reicher Mann, hat sich im Jahr 1845 aus unbekannten Gründen erschossen; Frau von Zastrow wurde bald nachher tiefsinnig und starb in ihren besten Jahren. Der Sohn Karl zeigte frühzeitig viel poetisches Talent, aber wenig Fleiß und Lust zu ernstem Studium. Er verließ das Gymnasium ohne glänzendes Examen und versuchte zu studiren, wechselte bald seinen Entschluß und wurde Cavalerist, erlangte jedoch nicht den Officiersgrad, er wechselte abermals seine Laufbahn und ging nach Dresden, um Schauspieler zu werden, was ihm aber nicht gelang. Im Besitz eines ansehnlichen Vermögens fand er es bequemer ganz ohne Beruf zu leben, er reiste nach Italien, wo er wahrscheinlich seinen letzten moralischen Halt verlor. Er beschäftigte sich übrigens dort viel mit Musik, Malerei und Dichtkunst, verbrauchte aber auch einen großen Theil seines Vermögens. Nach Jahren tauchte er dann wieder in Berlin auf als verachteter Bummler, er nannte sich Maler, leistete aber nur sehr Mittelmäßiges. Sein ursprünglich vortheilhaftes Aeußere sah verkommen aus, er trug schlechte, unordentliche Kleidung, namentlich immer eine schmutzige weiße Halsbinde und wildflatterndes Haar. Er wurde allgemein für verarmt und für ein verkommenes Genie gehalten. Aus Mitleid luden ihn noch zuweilen die alten Bekannten seiner einst hochgeachteten Eltern zu sich ein. Er benahm sich durchaus wie ein gebildeter Mann bei solchen Gelegenheiten, so daß man seinen schlechten Anzug vergessen konnte; er recitirte gern Verse, sang große Opernarien und sprach von seiner Verehrung des Irvingianismus in exaltirter Ausdrucksweise. Es ist völlig unwahr, daß er Pietist gewesen sein soll; er hatte offenbar gar keine Religion und suchte sich nur durch Anschluß an eine neue, vielfach angefeindete Gemeinde eine Art Nimbus zu verschaffen. Es gelang ihm jedesmal durch eine religiöse Streitigkeit seine Dialektik in ein glänzendes Licht zu stellen, was ihn sichtlich erfreute. Er nahm die Einladungen, die ihm nur aus Mitleid gespendet wurden, scheinbar mit bescheidener Dankbarkeit auf, verschwand dann aber oft auf Monate. Das Dunkel seiner Lebensweise wurde erst durch seine Verhaftung gelichtet. Er hat das Verbrechen, dessen man ihn beschuldigt, zwar noch nicht eingestanden, aber zugegeben, daß er unnatürlichen Lastern ergeben sei, wodurch er sich sein Urtheil selbst gesprochen hat.

Der Merkwürdigkeit halber lassen wir hier eins seiner Gedichte folgen, welches er in Italien zur Zeit seiner Bekanntschaft mit der berühmten Ristori geschrieben hat und welches gewiß nicht ohne poetischen Werth ist.

 An Adelaide Ristori.

Wohl ist die Kunst ein ew’ger Lebensbronnen,
0 Aus dem Begeist’rung alle Wesen trinken,
0 Ich sah den Glanz auf Eurer Stirne blinken,
In Pitti’s Haus, Ihr Engel und Madonnen.

Doch wie Ihr strahlt in Euren heil’gen Wonnen,
0 Wie klar und fromm die reinen Augen winken,
0 Ich kann nicht mehr wie sonst in Euch versinken,
Ein neuer Zauber hat mein Herz umsponnen.

Zwar Eure Stirn verklärt ein goldner Friede,
0 Des Himmels Traum, Ihr heiligen Marien,
Du aber lebst und glühst, Adelaide –
0 Vor Deinem Götterbild muß ich jetzt knieen!




Theologische Schalkheiten. Der bekannte Profestor der Gottesgelahrtheit an der Hochschule zu R., Dr. theol. K., studirte Ausgangs der zwanziger Jahre seine letzten Semester zu Halle, wohin Gesenius’ berühmte Vorlesungen damals die Theologen aller Richtungen zusammenführten. Daß K., trotz seiner heutigen rigorosen Ultraorthodoxie, mehr ist, als der Troß seiner Genossen gewöhnlichen Schlags, bleibt unbestreitbar, mag man den Mann sonst beurtheilen, wie man will. Schon als Student von ernstester und strengster Denkungsart zwar, in der Wissenschaft sowohl, wie im gewöhnlichen Leben auch, dabei erfüllt von der Höhe seines Berufs und vom höchsten Lerneifer beseelt, vermochte der junge Gottesgelehrte dennoch nicht, einen ihm angeborenen innewohnenden schalkhaften Zug immer ganz zu verleugnen.

Gesenius las über Exegese des alten Testaments, Kirchengeschichte etc. etc. K. hatte während seiner ganzen Hallenser Studienzeit alle Collegia des berühmten Gelehrten belegt und bezahlt. Auch für ein neues Semester wiederum, das sein, K.’s, letztes sein sollte. Ganz spät erst kündigte da Gesenius noch eine Vorlesung über semitische Dialecte und Paläographie an, die K. ebenfalls gern gehört hätte. Aber nur bei spärlichem Wechsel und als guter Haushalter war seine Finanzeintheilung geschlossen und der zu diesem Colleg nöthige Honorar-Doppelfuchs mangelte. Daß Gesenius nicht stundete, war allen seinen Zuhörern nur zu wohl bekannt. Und er brannte doch auf diese Vorlesung, der junge Theolog! Wollte er es aber genießen, das Colleg, mußte er wohl oder übel sich entschließen, auf die Gefahr hin kurz abgewiesen zu werden, bei dem großen Hebräer seine Bitte um Stundung anzubringen. Bis zu seinem Abgange von Halle, also bis Schluß des Semesters, sollte er ihm das Honorar ja auch nur stunden. Ein kleiner Extrazuschuß von Hause würde ihn dann in den Stand setzen, auch diese Verpflichtung zu decken. K. entschließt sich zu dem sauern Gang und trifft den Professor in seinem Studirzimmer, allwo dieser, anscheinend in bester Laune, meditirend und dazu grausam rauchend auf und ab wandelt. Die das Arbeitszimmer mit den Familienräumen verbindende Thür steht offen, einen Durchblick auf die anstoßenden Zimmer und die darin anwesende Familie des Gelehrten verstattend.

Ehrerbietigste Verbeugung K.’s, höflichst erwidert von Gesenius.

„Studiosus theol. K.“

„Freut mich, Sie bei mir zu sehen. Sie sind mir als einer meiner stetigsten und aufmerksamsten Hörer von Person schon wohlbekannt. Und was verschafft mir für heute die Ehre Ihres Besuchs?“

K. trägt sein Anliegen im bescheidensten Bittton vor. Gesenius, nachdem er gehört, runzelt die Stirn und steht schweigend eine ganze Weile, den Petenten fixirend. Plötzlich faßt er diesen beim Arm, führt ihn an die offne Thür und, auf seine Familie in dem Nebenzimmer deutend, spricht er:

„Collegia stunden, Herr Studiosus, ist ganz gut, aber unmöglich, wenn man so stark mit Kindern gesegnet ist, wie ich es bin.“

Halb wirklich verlegen und erschrocken, halb den Schelm im Nacken, erwidert K. mit seltsam ängstlichem Gesicht:

„Ja, entschuldigen Sie, Herr Consistorialrath, dafür kann ich doch nicht?!“

„Was? – Nein! dafür können Sie allerdings nicht, was ich mir übrigens auch verbeten haben wollte!“ entgegnet lachend der Professor und stundet das Colleg.

K.’s Studienzeit ist zu Ende mit dem Semester, der Extrazuschuß eingetroffen. Er will Halle verlassen als redlicher Mann, also alle seine Schulden bezahlen. Alles ist denn auch glücklich gedeckt bis auf die semitischen Dialecte Gesenius’, und für diese bleibt dem angehenden Candidaten, er mag das Reisegeld noch so knapp berechnen, trotz allem Rechnen, nur ein einfacher Friedrichsd’or, und ein doppelter muß es doch sein! Den Professor noch einmal um Fristung der Hälfte bitten? – zu beschämend und deshalb nicht gut möglich. K. mustert wieder und wieder seine Habe, was etwa zu verkaufen sei, allein er findet nichts. Sinnend mißt er den Raum seiner Bude. „Welcher gute Geist verwandelt mir diesen einfachen Friedrichsd’or in einen doppelten?!“ murmelt er und betrachtet dabei den Goldfuchs in seiner Hand. „Halt! so kann’s gehn!“ ruft er plötzlich und eilt die Treppe hinunter und direct in die Werkstatt seines Hausphilisters, eines ehrsamen Schlossers.

„Herr Wirth, einen Hammer und ein Locheisen!“ schreit er diesen an und legt das Goldstück auf den Ambos.

Erstaunt reicht ihm der Schlosser das Verlangte und behutsam schlägt nun K. mit dem Eisen in die breite Randfläche des Goldfriedrichs eine kleine Vertiefung, die immerhin einem ziemlich großen Punkt verglichen werden darf.

„Hochverehrter Herr Consistorialrath, ich komme, Ihnen dankbarst das gestundete Colleghonorar zu überreichen,“ spricht er zehn Minuten später zu Gesenius und legt dabei den Friedrichsd’or, den Punkt nach oben, vor dem Professor auf den Schreibtisch.

„Schön, schön! Herr Candidat, danke Ihnen. Aber verzeihen Sie,“ – der Gelehrte hebt das Goldstück auf – „das ist nur ein Friedrichsd'or, und das Honorar beträgt doch zwei?!“

„Ganz recht, Herr Consistorialrath! Das ist aber einer mit ’nem Dagesch forte!“ (das hebräische Verdoppelungszeichen) antwartet tout à coup K. und deutet dabei ernsthaft auf den Punkt am Rand des Goldstücks.

„Sie wissen Ihr Hebräisch gut an den Mann zu bringen,“ sagt halb lachend, halb ärgerlich der Professor. „Nun, behüt’ Sie Gott! Das Colleg ist bezahlt.“ C. Sp.     




Musikalisches. Die Tonkunst hat für das Culturleben der Gegenwart eine von Vielen willkommen geheißene, von Anderen beklagte, von Niemand aber bestrittene Bedeutung. Wenn wir absehen einerseits von den strengen Fachwerken, andererseits von dem breiten trüben Strome, der sich in zahllosen Büchern und Tagesblättern über die Lesewelt ergießt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_367.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)