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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wangen brannte die Fieberröthe, welche Frau von Herbeck heute so schmerzlich an Gisela vermißte, und die dunklen Augen loderten in entfesselter Leidenschaft.

Sie trat mit gesenktem Kopf vor das junge Mädchen, und ihn langsam hebend, ließ sie den Blick messend von den Fußspitzen an bis hinauf zu dem blonden Scheitel ihrer Stieftochter gleiten. … Gisela schrak zurück vor dem satanischen Ausdruck, der die feinen Nasenflügel der Frau beben machte und ihre Lippen so fest aneinander schloß, daß die purpurne Linie für einen Moment völlig verschwand.

„Ei steh doch, da bist Du ja!“ sagte sie mit heiserer Stimme. „Also richtig durchgesetzt, mein Püppchen? … Und nächste Woche ist große Vorstellung bei Hofe! … Nun, die Fürstin wird sich gratuliren, eine junge Hopfenstange mehr um sich zu haben!“

Der Minister, der eben im Begriff gewesen war, sich zu setzen, schnellte empor. Durch die offen gebliebene Thür strömte volles Licht in das verdunkelte Zimmer – es wob eine Art Glorie um die Frau im rosa Gazekleide, aber es fiel auch auf die Züge ihres Gemahls – sie zeigten unverhohlen Zorn und Bestürzung.

„Jutta, lasse Dich nicht fortreißen!“ sagte er zwischen den Zähnen. „Du weißt, daß ich in meinem Arbeitszimmer ein Anderer bin, als in Deinen Salons, und daß ich Dir seit Anbeginn unserer Ehe ein plötzliches Eintreten untersagt habe.“

Sein Blick heftete sich finster auf den Anzug der trotzig schweigenden Frau.

„Uebrigens muß ich fragen, warum schon in der Bühnentoilette?“ fuhr er in etwas verändertem Ton fort. „Ist die Dame des Hauses, das voller Gäste steckt, gar nicht mehr nöthig? –“

„Ich bin heute nicht Dame des Hauses, sondern Gast des Fürsten – die Gräfin Schliersen macht die Honneurs, mein Herr Gemahl!“ versetzte sie schneidend. „Und mit meiner Toilette habe ich so früh begonnen, weil ihr Arrangement Zeit beansprucht und Mademoiselle Cecile über alle Begriffe langsam ist.“

Sie wandte Gisela verächtlich den Rücken und warf mit beiden Händen den silberdurchwobenen Schleier zurück, der ihr wie Mondschein vom Haupte floß. Ihre unvergleichliche Schönheit kam in diesem idealen Anzug voll zur Geltung – dafür schien aber ihr Gemahl vollständig unempfindlich zu sein. Seine Brauen falteten sich noch finsterer – er fuhr unwillig mit der Hand über die Augen, wie wenn sie unangenehm geblendet würden; und in der That, von der Erscheinung ging ein so buntfarbiges Sprühen und Blitzen aus, als habe sie den ganzen Sternenhimmel über sich hergestreut. Auf den Gazewogen lagen zwar nur einfache, unschuldige weiße Rosen, aber in jedem Kelch, auf den zartgebogenen milchweißen Blättern schaukelten Brillanten als Thautropfen; auch hie und da funkelten, als sei der Thau den Blumen entfallen, einzelne hingesäte Steine aus den rosigen Falten. Durch die schwarzen Locken der Dame wanden sich auch Blüthenzweige, aber keine lebensfrischen – es waren aus Brillanten zusammengesetzte Fuchsien – aus ihren Kelchen fielen leuchtende Staubfäden auf die Stirn.

„Soll ich diesen Anzug für das Zigeunercostüm halten, in welchem Du heute erscheinen wolltest, Jutta?“ fragte der Minister, nicht ohne eine beißende Beimischung in seiner Stimme, indem er auf das Kleid seiner Gemahlin zeigte.

„Die Zigeunerrolle habe ich der Sontheim überlassen. Euer Excellenz – es gefällt mir besser, für heute Titania zu sein,“ versetzte, sie impertinent.

„Und war dazu eine solche Brillantenverschwendung nöthig?“ – Er war unverkennbar tief gereizt – „Du kennst meine Antipathie gegen dieses Ueberladen mit Steinen –“

„Erst seit Kurzem, mein Freund,“ unterbrach sie ihn. „Und ich zerbreche mir vergebens den Kopf, was Dich plötzlich zu einem solch’ entschiedenen Verächter des Schmuckes macht, dessen Glanz Du einst selbst bei jedem öffentlichen Erscheinen Deiner Gemahlin für unentbehrlich gehalten hast. … Uebrigens, mag sich Dein Geschmack verändert haben – was kümmert’s mich! Ich liebe diese Steine bis zur Vergötterung! Ich werde mich mit ihnen schmücken, so lange mein Haar schwarz ist und meine Augen leuchten können, oder besser, so lange mir der Athem aus- und eingeht! … Ich habe und ich halte sie und werde das Eigenthumsrecht zu vertheidigen wissen, selbst – wenn es sein müßte – mit Händen und Zähnen!“

Wie leuchteten diese kleinen, weißen Zähne hinter der emporgezogenen Oberlippe der reizenden Titania!

„Auf Wiedersehen im Walde, schöne Gräfin Völdern!“ rief sie mit einem halb wahnwitzigen Auflachen dem jungen Mädchen zu, dann flog sie, wie von einem Wirbelwind erfaßt, wieder über die Schwelle.

Der Minister sah ihr nach, bis der letzte rosige Schein der Gaze verschwunden und das flüchtige Klappern der kleinen Absätze hinter einer fernen Thür verklungen waren. Er schloß die Thür leise wieder, zog aber die Portière nicht zusammen – Portièren sind vortreffliche Schlupfwinkel für Lauscher.

„Mama ist sehr aufgeregt,“ sagte er scheinbar ruhig zu Gisela, die wie erstarrt und festgewurzelt noch auf derselben Stelle stand. „Die Furcht, daß ein plötzliches Hervorbrechen Deiner Anfälle die heutige Festlichkeit unangenehm stören könnte, bringt sie ganz außer sich. Dabei quält sie die Angst, Dein unvorbereitetes Erscheinen am Hofe könne Dich und uns rücksichtlich Deiner großen Unerfahrenheit in Welt und Leben in endlose Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten verwickeln. … Sie hat ja keine Ahnung, die arglose Frau, daß diese Vorstellung bei Hofe nie stattfinden kann und wird – diese Beruhigung aber darf ich ihr nicht einmal geben – sie muß aus Deinem Munde kommen, Gisela!“

Er griff wieder nach ihrer Hand und nahm sie zwischen die seinigen – diese eisigen Finger zitterten, und als das junge Mädchen erstaunt forschend in das fahle Gesicht des Stiefvaters sah, da wichen die Augäpfel unter den schlaffen Lidern seitwärts. Mit sanfter Gewalt zog er Gisela neben sich auf ein Sopha, sprang aber noch einmal auf, öffnete die Thür nach dem Corridor und überzeugte sich, daß derselbe menschenleer sei.

„Es handelt sich um ein Geheimniß,“ sagte er zurückkehrend mit gedämpfter Stimme, „um ein Geheimniß, dem ich nur dies eine Mal Worte geben darf – sie sollen von meiner Lippe zu Deinem Ohr gelangen, dann aber muß ihr Klang erlöschen für alle Zeiten … Armes Kind, ich hätte Dir von Herzen gern noch ein Jahr der ungebundenen Freiheit gegönnt – leider trägst Du selbst die Schuld – Dein unüberlegter Ritt giebt Deinem Leben eine überraschend schnelle Wendung; ich bin gezwungen das auszusprechen, was ich am liebsten für immer und ewig verschwiegen hätte. …“

Diese Einleitung war geheimnißvoll, dunkel wie die Nacht selbst und wohl geeignet, ein unerfahrenes achtzehnjähriges Mädchengemüth einzuschüchtern. Jener furchtsame Schrecken, der uns überrieselt angesichts einer Nachricht, welche das Schlimme nicht direct bringt, sondern es erst in unheimlicher, halbverwischter Perspective auftauchen läßt, er schlich auch lähmend durch die Glieder der jungen Dame; gleichwohl veränderte sich kein Zug des erblaßten Gesichts. Athemlos aufhorchend, die braunen Augen voll Mißtrauen, saß sie ihrem Stiefvater gegenüber – sie glaubte der trauervollen, einschmeichelnden Stimme nicht mehr, seit sie wußte, daß sie spitz und einschneidend werden konnte, wie ein scharfgeschliffener Dolch.

Er deutete nach dem Bild ihrer Mutter. Jetzt hatten sich ihre Augen bereits an das gedämpfte Licht des Zimmers gewöhnt; sie sah die Contouren der Gegenstände kräftiger hervortreten; auch die helle Gestalt mit dem blumengeschmückten Haupt hob sich aus dem Schatten, die seelenvollen Augen lächelten nach ihr hinüber, und man hätte meinen können, die gehobene blumengefüllte Hand wolle die blühenden Lieblinge der verwaisten Tochter zuwerfen.

„Du warst noch sehr jung, als sie starb – Du hast sie nie gekannt,“ sagte der Minister weich. „Und deshalb konnten wir uns bei Deiner Erziehung auch weniger auf ihr Andenken, als auf das Deiner Großmama beziehen. … Aber sie war ein Engel, sanft und fromm wie eine Taube – ich habe sie sehr geliebt!“

Ein ungläubiges Lächeln glitt flüchtig Über das Gesicht des jungen Mädchens – er hatte den „Engel“ sehr schnell vergessen über dem furienhaften Geschöpf, das dort eben zur Thür hinausgeflogen war. Das Bild hing unbeachtet in diesem Zimmer, welches Seine Excellenz nach jahrelanger Unterbrechung immer nur auf wenige Tage benutzte, während im Ministerhôtel zu A. die dämonisch schwarzen Augen der zweiten Gemahlin über seinem Schreibtisch funkelten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_355.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2016)