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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Ja, das Haus wird ihm dafür sehr dankbar sein,“ warf Hennig ein, „aber der Redner, Excellenz –“

„Der wird sich schnell daran gewöhnen!“ rief Bismarck. „Sehr bald wird er sich sagen, wie der Fuchs beim Balgabziehen: ‚das ist ja nur ein Uebergangsstadium‘. Aber wollen die Herren nicht ein wenig soupiren?“

Die Gesellschaft begab sich allmählich durch das Zimmer mit den gelben Gobelins voll chinesischer Thiere, Thürme und Menschen nach dem unsern Lesern gleichfalls bereits vorgestellten Speisesaal. Unterwegs sah man den Abgeordneten Kratz mit dem General von Steinmetz im ernsten Zwiegespräch. Es war die Fortsetzung des Dialogs über das Rayongesetz, der neulich zwischen demselben gutkatholischen Appellations-Gerichtsrath und dem Sieger von Trautenau, Nachod und Schweinschädel sich eine Stunde lang abgespielt hatte.

Rechts von diesen Herren stand der Hesse Braun (Hersfeld) mit dem Admiral Jachmann. Es ist unglaublich, wie viel Beruf der Binnenländer, der nie die See hat rauschen hören, in sich fühlt, sich mit seemännischen Dingen zu beschäftigen. Vielleicht hat der Admiral von derartige Gesprächen mit Landratten her einen Theil jenes breiten Lächelns sich angewöhnt, das stereotyp seine edeln großen Lippen ziert. Andererseits bildet sich ja bekanntlich der Prinz Alfred von England durch fortwährende Seereisen zu dem ihm durch Staatsverträge zugesicherten Beruf aus, den Thron von Coburg-Gotha zu besteigen. Aber diesmal lachte der Admiral nicht. Braun-Hersfeld hatte an ihn die einfache, aber inhaltsschwere Frage gerichtet:

„Die Blätter und der Telegraph haben uns die aus England erfolgte Ankunft des größten Panzerschiffs der norddeutschen Marine, des ‚König Wilhelm‘, in Kiel mit einer so gleichgültigen Geschäftsmiene gemeldet, als ob wir tagtäglich über drei Millionen Thaler für so ein Schiff zu verausgaben hätten. Haben Ew. Excellenz das Schiff bereits besichtigt?“

„Ich werde es morgen sehen.“

Der Abgeordnete mußte sich damit zufrieden geben. Aber das erste Mal wäre es nicht, daß die Eifersucht Englands auf die heranblühende deutsche Marine sich bis zu einer fehlerhaften Construction der auf englischen Werften bestellten deutschen Schiffe gesteigert hätte!

Auf dem Wege zum Büffet kam ich noch einmal an Bismarck vorüber. Er hatte soeben mit dem Abgeordneten Stadtsyndicus Albrecht aus Hannover sich in ein Gespräch eingelassen, demselben Albrecht, der im vorigen Jahr das Herzeleid durchmachen mußte, daß ihm infolge des sogenannten „Nothgewerbegesetzes“ der übliche Ochse streitig gemacht wurde, den sonst seit rechtsverwährter Vorzeit die Fleischergilde zu Hannover dem Stadtsyndicus zu gestellen gehabt hatte. Um den Ochsen handelte es sich nun dermalen nicht, denn ihn hatte Albrecht sich mannhaft erstritten. Aber die Frage, die Bismarck vorlegte, schien ebenso fein und ebenso bestritten, denn wir hörten Bismarck noch sagen: „Nun, Ihnen sind die Haare ausgegangen und mir auch, da haben wir wenigstens einen wichtigen gemeinsamen Anknüpfungspunkt und werden uns leichter verständigen.“

Das Büffet hatte wieder alle Reize norddeutscher kalter Küche entfaltet. Auch diesmal hatte sich an der rechte Wand als „ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht“ ein Tisch mit Abgeordneten besetzt, unter denen wir den feinen, geraden Polizeipräsidenten v. Köln Devens, die beide wackeren Söhne rother Erde Evelt und Hosius, und den mürrischen ehrlichen Günther-Sachsen namhaft machen. Sehr bald erschien auch Bismarck und setzte sich zwischen Evelt und Devens. Er weilte über eine Viertelstunde an diesem Tisch, seinem Maiwein lebhaft zusprechend.

„Wie schmeckt Ihnen mein Maiwein?“ fragte er unter Anderem Evelt.

„O, vortrefflich, Exceellenz!“

„Sonderbar, daß ich den Waldmeister am südlichsten in Heidelberg gefunden habe, als Student. Meine süddeutschen Commilitonen lernten den Maitrank aber immer erst durch uns Norddeutsche kennen. Sie z. B. in Hohenzollern werden gar keinen Waldmeister mehr produciren.“

„O ja,“ sagte Evelt. „Bei uns wächst der vorzüglichste Waldmeister – aber ich muß mich meinerseits auch rühmen, den Schwaben zuerst die zauberhafte Verwendung desselben gelehrt zu haben.“

„Das ist der Segen Ihrer Rauhen Alp,“ sagte Bismarck wieder. „Lägen Sie tiefer, so würden Sie keinen Waldmeister mehr hervorbringen.“

Sehr lange sprach der Tisch über die Herabsetzung der Beschlußfähigkeitsziffer des Reichstags, die auch hier Bismarck warm befürwortete, obwohl er zugestand:

„Ich habe kaum erwartet, daß der Reichstag zur Zeit der Fliederblüthe mit einer Gewerbeorduung von hundertzweiundsiebenzig Paragraphen fertig würde.“

Aber er hörte hier auch manch’ freies Wort.

„Wir werden sofort die Beschlußfähigkeitszahl herabsetzen,“ hieß es, „aber nur unter der Bedingung, daß Diäten gezahlt werden und daß der Bundesrath monatelang vor Eröffnung des Reichstags alle Gesetzesvorlagen fertig berathen hat, so daß die Abgeordneten der verschiedensten Parteien nach dem Wort ihrer Führer während der Session in An- und Abwesenheit sich theilen können.“

Eine Gruppe Abgeordneter, mehrere Kellner mit verschiedenen Tellern und Gläsern wandelten zwischen mir und den Sitzenden vorüber. Als ich wieder an den Tisch trat, erzählte Bismarck vom General v. Strotha etwa Folgendes:

„Der Mann war ruhig in Frankfurt Commandant der Bundesgarnison, da trifft ihn ein Telegramm des damaligen Ministerpräsidenten Grafen von Brandenburg, sofort nach Berlin zu kommen und sich im Ministerium einzufinden. Strotha fährt über Hals und Kopf nach Berlin und hier sofort zu Brandenburg.

‚Ich habe Ew. Excellenz rufen lassen, um Sie zu bitten, das Ministerium des Kriegs zu übernehmen.‘

‚Mich? Um Gotteswillen, was fällt Ew. Excellenz ein? Ich bin dazu ja in gar keiner Weise geeignet.‘

‚Ja, das hilft Alles nichts, lesen Sie hier diese Cabinetsordre Sr. Majestät des Königs, der Sie zum Kriegsminister wünscht.‘

Strotha liest mit großer Bestürzung und sagt:

‚Ja, wenn Se. Majestät befiehlt, muß ich freilich gehorche.‘

‚Nun, lieber College,‘ fährt Brandenburg fort, ‚nun müssen Sie aber auch heute um zehn Uhr in der Kammer erscheinen.‘

‚O bewahre!‘

‚Ja, das hilft Ihnen nichts, sehen Sie hier ein anderes Schreiben Sr. Majestät, welches ausdrücklich verlangt, daß Sie das Kriegsministerium der Kammer gegenüber vertreten.‘

‚Dann muß ich freilich gehorchen,‘ sagt der neue Kriegsminister mit einem bangen Seufzer.

Er will sich eben entfernen, um wenigstens noch etwas zu memoriren für seine muthmaßliche Jungfernrede, da sagt Brandenburg:

‚Das wissen Sie wohl, College, daß Sie in Civil in der Kammer erscheinen müssen?‘

Strotha stand sprachlos vor Entsetzen.

‚Ich habe gar keins,‘ stotterte er endlich.

‚Ja, da müssen Sie sich bis zehn Uhr einen Anzug besorgen, der König will es so.‘

‚Dann muß ich freilich gehorchen,‘ erwidert Strotha beklommen, sich hinausschleichend. Aber er wußte sich zu helfen. Er nahm sich eine Droschke und fuhr zum Mühlendamm, wo die Trödler wohnen. Um zehn Uhr aber sah man in der Kammer einen Mann sitzen am Ministertisch mit unendlich hohem Kragen, Frackärmeln, die ihm bis über die Hände reichten – kurz einen wundervollen neuen Kriegsminister.“

Der ehrliche Günther-Sachsen, der sich niemals verstellen kann und sonst so finster dreinblickt, schaute den Bundeskanzler mit unverhohlenem Vergnügen an; der Kreis wurde immer heiterer, belebter.

„Warten Sie, Günther,“ sagte der Lausitzer Mosig v. Aehrenfeld, der Erbfeind des Landesältesten v. Thielau, „ich sehe, Sie sind ganz bezaubert von Bismarck; ich werde Ihre Abtrünnigkeit einer gewissen Zeitung in Leipzig denunciren.“

Inzwischen waren auch die Frau Gräfin und deren Töchter eingetreten und hatten am Büffet Platz genommen. Es war spät geworden und daher wohl Zeit zum Abschied. Der liebenswürdige Wirth reichte uns die Hand, vor den Damen verbeugten wir uns und verließen das Haus.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_347.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)