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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

bereits eiligen Schrittes in der Dorfgasse verschwunden. Zu diesem Augenblick aber schlugen ihre bekannten Stimmen wieder an sein Ohr – heitere Ausrufungen, denen lebhaftes Geplauder folgte. Und jetzt kamen sie zwischen den Häusern hervor – bei Erblicken des Fürsten deuteten sie hinter sich in die Gasse – da bog eben die hohe Gestalt des Portugiesen, inmitten der anderen Herren, um die Ecke.

„Mein Himmel, da sind Sie ja!“ rief ihm der Fürst froh überrascht entgegen. „Welchen Schrecken haben Sie uns gemacht!“

Mit wenigen Schritten stand Oliveira neben dem Fürsten; aber auch vor dem jungen Mädchen, das jetzt auch den Kopf hülf- und haltlos an den Baum zurücklehnte. … Der Mann war ja kein Stein – er hatte ein leidenschaftliches Herz in der Brust, das in diesem Moment aufschrie und gebieterisch seine Rechte verlangte. … Er wußte nur zu gut, was diese braunen, hinsterbenden Augen erlöschen gemacht – er las in dem herzzerreißenden Lächeln, das um die erblaßten Kinderlippen glitt, die ganzen Qualen der letzten Minuten. – Vergangenheit und Zukunft, Pläne und Vorsätze, Welt und Leben verloren plötzlich alle Ansprüche an den Mann – er sah nur das bleiche Mädchengesicht.

Er löste ihre schmalen Hände von dem Baum, legte den Arm stützend um die zarte Gestalt und zog sie fest und innig an sich, als sei es nun auch für immer und ewig. Er sprach kein Wort, während der Fürst und sein Gefolge sich in Phrasen des Bedauerns erschöpften. Niemand fiel die seltsame Situation auf, in der diese beiden Menschen sich befanden. Der hünenhafte Portugiese war ja mehr als jeder Andere dazu berufen, Stütze der Schwachen zu sein – möglicherweise machte es sich sogar nothwendig, daß er die halbohnmächtige Dame auf seinen Armen nach dem Schloß zurücktrug. Zwischen den beiden jungen Leuten lag ja die weite Kluft völligen Fremdseins – man wußte, sie waren sich noch nicht einmal vorgestellt. … „Honni soit qui mal y pense!

Mittlerweile waren der Minister, Frau von Herbeck und der Medicinalrath hinzugekommen – sie standen sprachlos vor der Gruppe.

„Ein Todtgeglaubter ist, Gott sei Dank, wieder auferstanden,“ sagte der Fürst. „Dafür haben wir hier einen Unfall zu beklagen – der armen Gräfin ist übel geworden.“

Der Medicinalrath nahm sofort das Handgelenk des jungen Mädchens zwischen die Finger.

„Nehmen Sie mir die Sorge vom Herzen, Herr Medicinalrath,“ bat Seine Durchlaucht. „Es sind doch wohl nur die schnell vorübergehenden Folgen eines heftigen Schreckens?“

Der Medicinalrath knickte zusammen wie ein Taschenmesser – Serenissimus würdigte ihn zum ersten Mal einer Anrede.

„Ich hoffe es, Euer Durchlaucht, obschon man bei dem eigenthümlichen Leiden der gnädigen Gräfin fast nie den Verlauf eines Anfalles mit Bestimmtheit voraussagen kann. … Gestehen muß ich indeß, daß es mich ganz außerordentlich schmerzt, durch diesen unglücklichen Zufall die mögliche Heilung meiner gnädigsten Patientin Nunmehr wieder hinausgeschoben zu sehen.“

Jetzt trat das Blut wieder in die weißen Wangen und Lippen des jungen Mädchens zurück; aber es ergoß sich erschreckend stürmisch über Gesicht und Hals. Sie war empört über die zweideutige Zunge des Arztes, die auch diese Anwandlung von Ohnmacht mit ihrem früheren Leiden in Verbindung brachte. … Warum sollte und mußte ihr immer und immer wieder diese verhaßte Krankheit unerbittlich octroyirt werden? Und noch dazu diesen vielen Männeraugen gegenüber, die sie neugierig anstarrten.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie mit leiser, inniger Stimme zu dem Portugiesen. „Ich will versuchen, allein zu gehen.“

Er trat sofort zurück, und sie ging schwankend einige Schritte. Frau von Herbeck wollte ihr die Hand reichen, allein sie wies sie zurück. Stolz, Indignation, aber auch das beseligende Gefühl, daß er unversehrt an ihrer Seite schreite, halfen ihr rascher über die augenblickliche Schwäche hinweg.

Der Fürst warf einen triumphirenden Blick auf den Arzt, als ihre Bewegungen mit jedem Schritt sicherer und elastischer wurden, und nachdem man glücklich den Schloßgarten erreicht hatte, nahm er froh aufathmend seinen früheren Platz wieder ein und zog die junge Dame neben sich nieder.

„Da sehen Sie den Verlauf des Anfalles, mein Herr Medicinalrath!“ sagte er, augenscheinlich sehr heiter gestimmt. „Die braunen Augen unserer Gräfin haben allen Schmelz wieder, und morgen werde ich Ihre letzten Besorgnisse aus dem Felde schlagen. … Aber nun sagen Sie mir um’s Himmelswillen, mein bester Herr von Oliveira, wie war es möglich, daß man uns eine so wahnwitzige Nachricht über Sie bringen konnte?“

Der Portugiese war der Einzige, der sich nicht gesetzt hatte – er lehnte unfern an einem Baum. … Mußte denn dieser merkwürdige Fremde stets aussehen, als protestire er gegen jegliche Gemeinschaft mit denen dort? …

„Wahrscheinlich hielt der Ueberbringer diesen Abschluß des Dramas für sehr pikant,“ entgegnete er mit jenem leisen Zug der Belustigung, der, weit entfernt ein Lächeln zu sein, doch das düster verschlossene Gesicht erhellte. „Er hat gar nicht abgewartet, ob sich der Vorhang von Rauch und Qualm noch einmal heben werde, und so wurde ich zum sterbenden Helden des Stückes.“

Man lachte.

„Wie man mir erzählt hat,“ berichtete einer der Herren, da der Portugiese durchaus keine Lust zu haben schien, den Hergang mitzutheilen, „ist der Eigenthümer des letzten brennenden Hauses gerade in dem Augenblick, wo es dem Zusammenbrechen nahe war, aus A. zurückgekehrt. Er ist wie ein Wahnsinniger nach der Thür gestürzt, um noch Etwas zu retten – Herr von Oliveira aber hat es für angemessen gefunden, ihn zurückzuhalten, und da der Mann in dem Kampfe eine bärenhafte Kraft entwickelt hat, so sind Beide in die gefährliche Nähe des Hauses gerathen. Es ist zusammengestürzt, und einige Augenblicke lang hat man allerdings geglaubt, die Ringenden seien von den Trümmern verschüttet worden. … Durchlaucht, der Mann hat sein Baarvermögen retten wollen, das in irgend einem geheimen Versteck des Hauses verborgen gewesen ist – baare neun Thaler!“

Es wurde wieder gelacht, und nun begann eine allgemeine lebhafte Conversation. Der alte Braun kam und reichte Eis herum.

Währenddem hatte der Portugiese den Baum verlassen und war in die Nähe des Thores getreten – er wies die Erfrischung zurück, die ihm der Lakai bot. … War er so tief versunken in dem Verfolgen der kämpfenden Wolkengebilde am Himmel, daß er zusammenschrak, als eine weiche, bittende Stimme an sein Ohr schlug?

Gisela stand neben ihm. Sie hatte dem alten Braun den Präsentirteller abgenommen und bot ihn dem Portugiesen nochmals hin.

„Mein Herr,“ sagte sie schüchtern, „wollen Sie nicht mit mir unter die Linde zurückkehren?“

„Sehen Sie mich an, ob ich es wagen kann, dem gefeiten Kreis dort nahe zu kommen!“ entgegnete er ironisch, indem er auf seinen Rock deutete – er war noch mit einer dicken Staub- und Aschenschicht bedeckt. „Ich werde im Gegentheil diesen unbewachten Augenblick benutzen, um mich zurückzuziehen.“

Sie hob die braunen Augen bittend zu ihm empor.

„Nun, dann verschmähen Sie wenigstens diese kleine Erfrischung nicht – ich bin so stolz, Ihnen auf meinem Grund und Boden Etwas bieten zu dürfen!“ .

Wie klang das demüthig und unterwürfig von den Lippen, die einst so leicht jenen wegwerfenden Zug annehmen konnten, der auch das Gesicht der hochmüthigen Gräfin Völdern charakterisirt hatte!

Eine leichte Blässe überflog die Wangen des Portugiesen; aber er lächelte.

„Haben Sie vergessen, daß ich Ihnen mit den Waffen in der Hand gegenüberstehe? … Ich verwirke das Recht der Feindseligkeit in dem Augenblick, wo ich die Gastfreundschaft annehme.“

Er sagte das scherzend, und doch lag in Ton und Lächeln eine schmerzliche Beklommenheit.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_340.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2018)