Seite:Die Gartenlaube (1869) 328.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

steht er unübertroffen da. Stets überrascht er durch neue glückliche Wendungen, durch die staunenswerthe Klarheit und Originalität seiner Gedanken. Selbst die Gegner, welche ihm eine gewisse „talmudische“ Spitzfindigkeit oder politische Consequenzenmacherei zum Vorwurf machen, ihn wegen mancher Verirrung besonders in den Fragen der äußern Politik tadeln, müssen dem Geist des Schriftstellers, dem lauteren Charakter des Mannes volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Der Leitartikel Bernstein’s ist die Seele, der Geist der Volkszeitung, deren politische Nachrichten von den Herren Dr. Holdheim und Steinitz redigirt werden, während Herr Dr. Max Hirsch den socialen Theil mit besonderer Aufmerksamkeit und Sachkenntniß besorgt. Die Abonnentenzahl, wohl zur Hälfte den arbeitenden Classen angehörig, schwankt je nach den Zeitverhältnissen zwischen 25–30,000.

Der durch Johann Jacoby besonders in der deutschen Frage vertretene Standpunkt eines Theils der entschieden demokratischen Partei und die damit verbundene Spaltung hat eine neue Zeitung, „die Zukunft“, unter der Redaction des Herrn Dr. Guido Weiß in’s Leben gerufen, wozu die von den Freunden Jacoby’s gesammelte Summe von fünfzehntausend Thalern von diesen bestimmt wurde. Anfänglich Mediciner, hat Herr Weiß sich später mit seinem Freunde und Landsmann Lindner an der Vossischen Zeitung betheiligt, in der seine geistvollen Berichte besonders über die preußischen Kammerverhandlungen durch Schärfe und pikanten Stil nur wohlverdientes Aufsehen erregten. Durch die Natur seines Blattes, so wie durch eigene Neigung auf die Polemik angewiesen, gebraucht er die ihm zu Gebote stehenden Waffen der Satire und des schneidenden Witzes mit eleganter Sicherheit, aber auch oft mit schonungsloser Consequenz, so daß er Freunde und Feinde zugleich verwundet und verletzt. Seine spitz zugeschliffenen Leitartikel sind mitunter zu fein für die große Menge und darum Caviar für das Volk, während sie von den höher Gebildeten der Partei mit großem Genuß gelesen und gewürdigt werden. Guido Weiß ist übrigens – zum ersten Mal in Deutschland – mit einem Wagniß vorgegangen, das einen schlagenden Beweis von der Beliebtheit seines Blattes liefert. Nachdem die oben erwähnten Mittel zur Kostendeckung seiner Zeitung verausgabt waren, erschien die weitere Existenz des Blattes, das sich selbst noch nicht deckte, gefährdet und die Presse kündigte bereits das Eingehen desselben an. Da erließ Guido Weiß einen in sehr würdigem Ton gehaltenen Aufruf an alle Freunde des Blattes und der entschiedenen Demokratie, worin er ohne Weiteres aufforderte, die Fortexistenz eines so wichtigen Organs der guten Sache durch freiwillige Beiträge zu ermöglichen. Und siehe da – binnen vierzehn Tagen waren nicht nur die augenblicklich nöthigen Mittel vollständig vorhanden, die Beiträge liefen auch so beträchtlich und zahlreich ein, daß nunmehr das Bestehen der „Zukunft“ auf Jahre hinaus gesichert ist.

Das Organ der sogenannten anständigen oder gemäßigten Demokratie ist die „National-Zeitung“, welche, von ihrem Redacteur Herrn Dr. Zabel mit großer Umsicht durch alle Klippen und Untiefen der politischen Gewässer gesteuert, noch stets die Schwierigkeiten ihrer eigenthümlichen Stellung glücklich überwunden oder vermieden hat, ohne ihrem Principe untreu zu werden, oder ihren wohlbegründeten Ruf einzubüßen. Dazu war und ist gerade Herr Zabel der geeignete Mann, da er bei aller scheinbarer Nachgiebigkeit sein Ziel unverrückbar im Auge behält und mit einer gewissen Elasticität auch die Zähigkeit und Festigkeit eines darum allgemein geachteten Charakters verbindet. Zum Theologen bestimmt, wußte er sich eine so vielseitige Bildung zu erwerben, daß er sogar einige Zeit an der Herausgabe eines medicinischen Werkes sich betheiligte. Vor Allem aber besitzt er die seltene Eigenschaft, junge Talente zu erkennen, aufzumuntern und an die richtige Stelle zu bringen. Diesem Umstande verdankt die Nationalzeitung eine Anzahl ausgezeichneter Mitarbeiter, die merkwürdiger Weise zum Theil später in den Staatsdienst übergetreten sind, wie die Herren Lothar Bucher und Michelis. Besondere Sorgfalt schenkt die Redaction dem Feuilleton, an welchem Adolph Stahr, Titus Ullrich, Karl Frenzel, Woltmann, Julius Lessing etc. arbeiteten, während der handelspolitische und volkswirthschaftliche Theil von Herrn Schweitzer mit großer Umsicht und vielem Geschick geleitet wird.

Nach so manchen gescheiterten und wieder aufgegebenen Versuchen hat auch die gegenwärtige Regierung an der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ ein geeignetes Organ und in Herrn Dr. August Braß den ihr zusagenden Redacteur gefunden. Derselbe gehörte in vormärzlicher Zeit und im Jahre 1848 wie die Mehrzahl der damaligen Jugend zu der äußersten Demokratie. In seiner Sturm- und Drangperiode schrieb er noch sociale „Geheimnisse von Berlin“ und rothe „Barricadenlieder“. Durch die nachfolgenden Ereignisse zur Flucht gezwungen, lernte er in der Schweiz das traurige Loos der Verbannung kennen. Das heiße Blut hatte sich abgekühlt und die Begeisterung war der kälteren Betrachtung gewichen. Als Herr Braß in Folge der erlassenen Amnestie nach Berlin zurückkehrte, war der politische Umwandlungsproceß so weit gediehen, daß er ein „Norddeutsches Wochenblatt“ gründete, aus dem sich im Laufe der Zeit die jetzige „Norddeutsche Zeitung“ allmählich entwickelte, deren mit vielem Geist geschriebene Leitartikel den Lesern durch eine gewisse staatsmännische Ueberlegenheit imponirten und sie zugleich mystificirten, so daß man das Blatt bald für ein Organ des „Augustenburgers“, bald im Interesse Oesterreichs geschrieben hielt, bis es eines Tages seine wahre Gestalt enthüllte und mit Sack und Pack in das ministerielle Lager überging, wobei sich die Zeitung und die Redaction gleich wohl befinden sollen.

Halb Mönch, halb Soldat kämpft die Kreuzzeitung für das feudale Princip, für Thron und Altar, am kräftigsten jedoch für die Interessen der kleinen, aber mächtigen Partei, der sie ihre Existenz und ihr ferneres Bestehen verdankt. Unter ihrem früheren Redacteur, dem bekannten Herrn Wagener, hat sie ihre Flegeljahre durchgemacht, damals stimmte sie besonders in ihrem zuschauerlichen Theil einen bisher unerhörten Ton in der Berliner Presse an, der sich zuweilen bis zur Denunciation der würdigsten Männer verirrte. Ihre kurzen, bald sibyllinisch, bald drohend klingenden Leitartikel, die zwar einseitig, aber mit Geist und Talent abgefaßten Betrachtungen des frommen Rundschauers, große Rührigkeit und vor Allem ihre vielseitigen Verbindungen mit den hohen und höchsten maßgebenden Kreisen sicherten ihr einen bedeutenden Einfluß, den sie für ihre Zwecke mit Geschick zu benutzen wußte. Zur Belohnung seiner Verdienste wurde Herr Wagener von seinen Parteigenossen mit der Schenkung des Ritterguts Dummerwitz, von der Regierung mit einer hohen Stellung im Staatsdienst belohnt.

Sein Nachfolger, Herr Beutner, ein ehemaliger Theologe, wird wegen seiner persönlichen Liebenswürdigkeit gerühmt. Unter seiner Leitung hat die Kreuzzeitung auch in ihrem Zuschauer eine gemäßigtere Sprache und mildere Formen angenommen, wozu wohl auch die veränderten Verhältnisse viel beigetragen haben mögen. Der Wahlspruch ihres gegenwärtigen Redacteurs scheint im Leben und in der Politik zu lauten: „suaviter in modo, fortiter in re“. Zu ihren Mitarbeitern zählt das Blatt den bekannten Romanschriftsteller Hesekiel, den Dichter Fontane und den fleißigen Adami.

In jüngster Zeit hat auch der Kladderadatsch einen Concurrenten an den „Berliner Wespen“ erhalten, die im Verlag des Buchhändlers Brigl von Herrn Stettenheim, einem talentvollen Humoristen, herausgegeben werden. Derselbe ist ein geborener Hamburger und hat sich bereits früher durch seine witzigen Arbeiten einen vortheilhaften Ruf erworben. Seinen Wespen fehlt keineswegs der satirische Stachel, die scharfe, geistvolle Spitze, und wenn ihnen auch die classische Bildung der Kladderadatsch-Gelehrten hier und da abgeht, so ersetzen sie diesen Mangel durch angeborenen Mutterwitz so reichlich, daß sie in kurzer Zeit sich in Berlin eingebürgert haben und gegenwärtig in Verbindung mit der in demselben Verlage erscheinenden von Mützelburger redigirten „Tribüne“ gegen fünfzehntausend Abonnenten zählen. Auch die beigegebenen Zeichnungen von dem Maler Herrn Heyl erfreuen sich des wohlverdienten Beifalls.

So lebt, arbeitet und kämpft die Berliner Presse, an ihrer Spitze die genannten Männer, mit anerkennungswerther Selbstverleugnung und – was bei der Berliner Presse ausdrücklich hervorgehoben werden muß – mit reinen Händen, frei von jeder Bestechung. Das ist dem Zeitungsgebahren gewisser anderer Städte gegenüber ein großer Vorzug und deshalb Ehre diesen Männern, die für ihre harte Arbeit weder pecuniären noch großen literarischen Erfolg aufzuweisen haben. Ihre besten Gedanken sind eben nur für den Tag geboren und werden vergessen, bevor der Abend kommt. Nicht

einmal der Ruhm bleibt ihnen und ihr Name wird kaum oder

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_328.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)