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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Auch diese neue Zeitung war äußerst dürftig und beschränkte sich hauptsächlich auf locale Berichte über die damals überaus häufigen Executionen und grausamen Hinrichtungen, sowie auf ausführliche Beschreibung der abgehaltenen Hoffestlichkeiten bei den fürstlichen Besuchen und hochzeitlichem Beilager. Erst unter Friedrich dem Großen gewann das Berliner Zeitungswesen an Ausbreitung und Interesse. Gleich nach seinem Regierungsantritt erhielt die Haude’sche Buchhandlung, von der Friedrich als Kronprinz heimlich hinter dem Rücken seines gestrengen Vaters die neuesten Erzeugnisse der französischen Literatur bezog, ebenfalls die Erlaubniß, eine zweite Zeitung in Berlin herauszugeben mit dem Motto „Wahrheit und Freiheit“. Haude starb 1748, das ihm ertheilte Privilegium gelangte jedoch an den Bruder seiner Wittwe, den Buchhandler Spener. Dagegen verlor die „Rüdinger’sche Zeitung“ ihr bisheriges Privilegium, weil sie die unerhörte Kühnheit gehabt hatte, in ihren Spalten die Nachricht zu bringen, daß das königliche Lagerhaus eingehen sollte und die märkischen Landstände hunderttausend Scheffel Korn liefern müßten. Da aber das Bedürfniß nach einer zweiten Zeitung sich immer dringender herausstellte, so erhielt der Buchhändler Christian Friedrich Voß, ein Schwiegersohn Rüdinger’s, im Jahre 1751 ein neues Privilegium. Das ist der Ursprung der beiden ältesten, noch heute bestehenden Zeitungen Berlin’s, der „Spener’schen“ und „Vossischen“, welche der Berliner Volkswitz mit den charakteristischen Beinamen „Onkel“ und „Tante“ getauft hat.

Friedrich der Große nahm an der Entwicklung der Zeitungen den lebhaftesten Antheil; er selbst erkannte bereits die Macht der öffentlichen Meinung an und verschmähte es nicht, zuweilen durch einen Artikel von seiner eigenen Hand dieselbe zu berichtigen. Vor Allem aber schützte er die junge Presse gegen jede Belästigung, indem er den noch heute beherzigenswerthen Grundsatz aussprach: „Gazetten dürfen, wenn sie interessant sein sollen, nicht genirt werden“.

Wenn er sich auch später durch mancherlei indiscrete Mittheilungen über die Märsche und Stellungen seiner Truppen zur Zeit des siebenjährigen Krieges veranlaßt sah, einige Beschränkungen eintreten zu lassen, so wurde doch auf seinen ausdrücklichen Wunsch die von ihm angeordnete Censur mit großer Milde und Schonung geübt. Um so strenger war das Verfahren gegen die Berliner Zeitungen unter seinem schwachen, irre geleiteten Nachfolger, Friedrich Wilhelm dem Zweiten. Seine Minister und Günstlinge, der berüchtigte Bischoffswerder und der noch verrufenere Wöllner, bedrohten durch ihre bekannten Edicte zugleich die Freiheit des Gewissens und des Geistes.

Die Folgen konnten nicht ausbleiben und das Jahr 1806 mit seinen schmachvollen Niederlagen zeigte nur zu klar, wohin die Bevormundung des Geistes, die Unterdrückung der öffentlichen Meinung, die Beschränkung der Presse eine Regierung führt. Das Volk blieb fast theilnahmlos bei dem Unglück des Vaterlandes; nirgend eine Spur von patriotischer Begeisterung, von energischem Widerstand gegen die Fremdherrschaft, überall dagegen Muthlosigkeit, knechtische Furcht, Abfall und Verrath. Unter dem französischen Joch sanken auch die Berliner Zeitungen zur traurigsten Unbedeutsamkeit herab, indem sie ihre Spalten mit den prahlerischen Siegesbülletins des Moniteur oder mit dem elendesten Theaterklatsch ausfüllten. Um so heller loderte die Begeisterung auf, als das Volk aufstand zum heiligen Kampf für die Freiheit, an dem auch die Berliner Presse ihren redlichen Antheil nahm.

Leider währte diese erhöhte Stimmung nur kurze Zeit, um der immer mehr hervortretenden Reaction Platz zu machen. Es kamen die schimpflichen Tage der Demagogen-Verfolgung, der Karlsbader Beschlüsse, der Maßregeln gegen die Presse, deren Dienste schnell vergessen wurden. Unter dem unerträglichen Druck der verschärften Censur verloren die Berliner Zeitungen jedes Interesse, schrumpften die Berichte über die wichtigsten inneren Angelegenheiten zu wenigen nichtssagenden Zeilen zusammen. Um so üppiger machten sich die localen Tagesneuigkeiten, der banale Stadtklatsch breit. Die Aufführung einer neuen Oper oder eines Ballets war ein Ereigniß für die Residenz und wurde mit der größten Wichtigkeit behandelt, obgleich selbst die unschuldigen Theaterkritiken einer strengen Aufsicht unterlagen. Kein neues Stück durfte damals vor der dritten Vorstellung öffentlich besprochen werden, und jeder noch so bescheidene Tadel mußte vor dem Rothstift des Censors schwinden oder sich in das Gegentheil verwandeln, wenn der betreffende Künstler oder die Künstlerin sich einer hohen Protection erfreuten. Ein Angriff auf den von Oben begünstigten Generaldirector Spontini galt fast für ein Majestätsverbrechen und eine Satire auf die angebetete Sängerin Sontag, die erst später den Grafen Rossi heirathete, zog dem jungen Rellstab eine einjährige Gefängnißstrafe zu. Unter solchen Verhältnissen war es kein Wunder, daß die beiden Berliner Zeitungen als bloße Localblätter vegetirten. Höchstens war es ihnen gestattet, die ausländischen Vorgänge zu besprechen, aber selbst diese nur mit vielen Censurlücken und oft so verstümmelt, daß die Leser nur ein mangelhaftes oder falsches Bild von den französischen und englischen Kammerverhandlungen erhielten, so daß das gebildetere Publicum, wenn es sich über die inneren und äußeren Verhältnisse unterrichten wollte, sich gezwungen sah, in fremden Zeitungen die gewünschte Belehrung zu suchen. Dennoch fühlte die Regierung die Nothwendigkeit, ihre Maßregeln vor der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen. Diesem Umstande verdankte der sogenannte „Staatsanzeiger“ seine Entstehung, dessen Redaction anfänglich der Staatsrath Stägemann und der vielseitige Günstling des Staatskanzlers Hardenberg, der bekannte Doctor Koref, später der einst so beliebte und jetzt vergessene Schriftsteller Carl Heun, alias Clauren, übernahm, Verfasser der zu ihrer Zeit mit Begierde verschlungenen Mimili-Romane.

Schon mit der Julirevolution und noch mehr seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm des Vierten trat ein bedeutender Wendepunkt in dem politischen Leben des preußischen Volkes ein. Die Verleihung des wenn auch noch so mangelhaften Februar-Patents, die Verhandlungen des vereinigten Landtags, die dabei sich entwickelnde Opposition boten dem Publicum und auch den Zeitungen einen reichen Stoff, während die Einführung des Ober-Censurgerichts der unterdrückten Presse einigermaßen Schutz gegen die Willkür der Censur gewährte. Bald jedoch verkümmerte die herrschende pietistische Richtung und die auf ihr Ansehen eifersüchtige Bureaukratie diese kaum nennenswerthe Freiheit, obgleich die Regierung die von ihr selbst herausgeforderte öffentliche Meinung nicht mehr zu unterdrücken vermochte.

Mit jedem Tage wurde die Opposition stärker und mächtiger, die liberale Bourgeoisie ihrer Macht sich bewußter. Schon im Jahre 1846 gab der talentvolle G. Julius ein neues Blatt, die „Berliner Zeitungshalle“, heraus, welche anfänglich das liberale Princip vertrat, aber nach der Revolution des Jahres 1848 durch ihre radicale Haltung die besitzenden Classen abstieß und deshalb einging. Glücklicher war die von einer Anzahl wohlhabender und freisinniger Männer auf Actien gegründete „Nationalzeitung“, die unter der Redaction des verdienstvollen Doctor Zabel einen bedeutenden Aufschwung nahm.

Mit den Märztagen und der Befreiung der Presse begann überhaupt eine neue Periode für das Berliner Zeitungswesen. Jede Partei, selbst jede Fraction suchte sich ihr eigenes Organ zu schaffen, besonders blühte die humoristische Tagesliteratur, welche von fliegenden Buchhändlern in den Straßen colportirt wurde. Die darauf folgende Reaction und der eingetretene Belagerungszustand machte diesem frischen Treiben ein plötzliches Ende. Die meisten dieser politischen Eintagsfliegen starben entweder eines gewaltsamen Todes[WS 1] oder gingen an der Apathie des Volkes zu Grunde. Dies Schicksal traf vor Allen die zahlreichen Witzblätter, während die Organe der Mittelpartei, der sogenannten „Gothaer“, trotz aller Anstrengungen und Opfer dahinsiechten.

Nur die beiden Schöpfungen der äußersten Richtungen, die demokratische „Urwähler-Zeitung“, durch den genialen Bernstein in’s Leben gerufen, und die feudale „Neue preußische Zeitung“ (Kreuzzeitung), die, von einer aristokratischen Gesellschaft gegründet, in dem Assessor Wagener den geeigneten Redacteur erhalten hatte, zeigten eine festere Constitution und wahre Lebenskraft, während „Kladderadatsch“ sich seit seiner Geburt als „ein gesundes Berliner Kind“ legitimirte.

So lange die Schreckensherrschaft Hinckeldey’s dauerte, schwebte über den Berliner Zeitungen trotz der durch die Verfassung garantirten Preßfreiheit das Damoklesschwert einer unerhörten Willkür. Die freisinnige Presse ward in einer kaum glaublichen, empörenden Weise gemaßregelt, die mißliebigen Zeitungen wurde confiscirt, die Redactionen durch Haussuchungen belästigt, die

Mitarbeiter durch Preßprocesse eingeschüchtert, die liberalen Schriftsteller

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Todse
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_326.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)