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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hause in der Wilhelmsstraße, das der preußische Staat seinem Minister des Auswärtigen als Amtswohnung anweist und das auch den Grafen Bismarck in seiner dreifachen Eigenschaft als Minister für Lauenburg, preußischen Ministerpräsidenten und Bundeskanzler beherbergt. Wenn einmal die Bundesverhältnisse auch äußerlich ausgebaut sind durch den projectirten prächtigen Bundespalast in der Wilhelmsstraße, wird wohl auch dem Kanzler des norddeutschen Bundes als solchem ebenso eine besondere Amtswohnung eingeräumt werden, wie dem Reichstag ein anderes Sitzungslocal als die Räume des preußischen Herrenhauses. Uebrigens befindet sich die Kanzlei des Bundeskanzleramtes schon jetzt nicht in Bismarck’s Hôtel. Hier ziehen sich im Erdgeschoß des langgedehnten schmucklosen Gebäudes die Arbeitsgemächer der preußischen Ministerialbeamten hin. In der ersten und einzigen Etage dagegen befinden sich die Arbeits- und Empfangsräume Bismarck’s und die Privatgemächer der Familie. Hinter dem Hause prangt einer jener wundervollen alten, tiefen und schattenreichen Parks, zu denen nie der betäubende Lärm der gewaltigen Stadt dringt, wie sie die Krone Preußen zwischen der Wilhelms- und Königgrätzer Straße und wieder zwischen dieser und der Leipziger Straße zusammen über hundert Morgen groß besitzt.

Am Eingangsthor standen die unvermeidlichen zwei Schutzleute, die Eintretenden ehrfurchtsvoll grüßend. Es war kaum ein Viertel auf zehn vorüber, als ich eintrat. Mir fiel ein, wie sehr das Wartenlassen in Berlin bei Einladungen zum guten Ton gehört, und mich befiel die Besorgniß, ich möchte dem Kanzler oder seiner Gemahlin als der erste Gast gegenübertreten. „Sind schon Herren da?“ fragte ich den Schutzmann. „Ja woll, viele,“ war die Antwort. Meine Garderobenummer war einhundertvierundsechszig! An zahlreichen Dienern in schwarz-weißer Livree vorüber führt die stattliche Freitreppe zum ersten Stockwerk. Man tritt in ein behagliches, fein meublirtes Empfangszimmer. Wer da der Audienz harrt, mag sich in Muße der schönen Harmonie der modernen rothseidenen Tapeten, Teppiche und Pfühle erfreuen und darüber nachdenken, in welchen merkwürdigen Beziehungen der ausgestopfte springende Hase auf dem Büffet mit der Familie Bismarck steht. Uns fesselte ein freundlicherer Anblick: die Gemahlin des Kanzlers. Eine hohe vornehme Gestalt, mit energischen, aber gefälligen Zügen, in modischer Toilette von gewählter Einfachheit stand sie, jeden Ankömmling mit tiefer Verbeugung bewillkommnend. Sie befand sich dicht vor der Draperie, an welcher vorüber der Blick in die Gemächer der Familie schweifte – äußerlich durch ihre Stellung an diesem Platze, an der Verbindungsthür der Familien- mit der Staatswohnung, schon die hohe Würde der deutschen Frau bekundend, der kein anderes Volk eine gleiche an die Seite zu stellen hat. Denn nur die deutsche Frau waltet so frei und schön im Hause, in der Familie, als deren Seele sie sich darstellt jedem Gaste gegenüber, nur die deutsche Frau nimmt zugleich hervorragenden geistigen Antheil an den Arbeiten, an dem Ringen und Streben des Mannes; nur sie vermag ihm die Stirn zu glätten, die des Lebens Widerwärtigkeiten ihm furchen; zumeist trachtet sie das alte homerische Wort zu erfüllen von der Bestimmung der Mutter, der Nachwelt ein Geschlecht von Kindern zu überliefern, das an edler Menschensitte und Arbeit womöglich noch Tüchtigeres leisten soll als die Eltern. Und wie treulich hat diese deutsche Frau ihrem Gatten zur Seite gestanden vom Anbeginn seiner politischen Laufbahn! Ich weiß nicht, auf welche Mittheilungen sich die Nachricht gründet, die eine mir eben zugehende Chicagoer Zeitung bringt, daß die Gräfin Bismarck der Geheimsecretair ihres Gatten sei. Aber das ist mir als oft wiederholte Erzählung einer bejahrten Schaffnerin des Hauses berichtet worden, wie die Gräfin ihren Gemahl immer mit neuem Muth und Trost zu erfüllen wußte, als dieser auf dem kleinen Gute Schönhausen in der trübseligsten Zeit, die Deutschland seit fünfzig Jahren gesehen, seine Tage mißmuthig dahinlebte, als verborgener preußischer Landjunker sich an seinen großen politischen Gedanken selbstverzehrend.

Doch eine Anzahl älterer Bekannten sammelte sich um die Gräfin. Jetzt war keine Zeit zur Vorstellung. Nach rechts strömte der Zug der Einwanderer in das Billard-Zimmer, dessen Fenster nach der Straße gehen. Nach links ist ein flüchtiger Blick in Bismarck’s Arbeitscabinet gestattet. Das Fell eines vom Grafen selbst erlegten Bären liegt vor dem Sopha des Billard-Zimmers. An einer der Wände steht die wundervolle Porcellanvase mit des Königs Bild und Schloß, die König Wilhelm dem Kanzler nach den Kämpfen des Jahres 1866 verehrte.

Die Versammlung und die Hitze wuchsen mit jeder Minute. Der Graf, sagt man, ist im großen Saal. Wir eilen dorthin. Hart am Eingang steht unser Wirth, in lebhaftem Gespräche mit seinen Gästen, doch aufmerksam jeden neuen Ankömmling freundlich grüßend; oft reicht er die beiden Hände zugleich nach rechts und links. Er sieht so wohl, so munter aus! Das ist immer der erste Gedanke, wenn man den Mann wieder erblickt, dem auch die Demokratie bedeutende Arbeitskraft und Thätigkeit niemals absprechen wird. Sein Gesicht hat mit seiner langen Villeggiatur in Varzin wieder Farbe gewonnen, die Augen sind nicht mehr so tief beschattet durch die Wolken der gefurchten Stirn und zugleich durch die außerordentlich langen Brauen wie voriges Jahr. Die historischen drei Haare sind freilich längst in’s Meer der Zeit gesunken, die Stirn ist fast ganz kahl, und namentlich das Hinterhaupt würde keinem mehr die volle Locke zeigen, an der Braun im constituirenden Reichstag gemahnte, das wandelnde Glück Deutschlands zu fassen.

Aber dafür ist sein Haar von jenem germanischen Aschblond, dem Niemand die Jahre des Trägers ansehen kann. Und seine Haltung ist stramm und fest bei seinen vierundfünfzig Jahren trotz des Jüngsten in der Versammlung. Er trägt auch an diesem Abend sein bequemstes Kleid, die Uniform, aber wohl schwerlich ganz vorschriftsmäßig. Moltke lächelt mit den feinen schmalen Lippen, als er des Grafen militairischer Decolletirung ansichtig wird. Denn der kurze Waffenrock steht offen, von Degengurt und Degen ist nirgends die Rede, und eine einfach schwarze Tuchweste bekleidet die Brust des Grafen. Auch nur gerade die unentbehrlichsten Orden sind aufgesteckt, darunter kokett einige kleinstaatliche. Sind die Herzen der eingeladenen kleinen Bundesräthe einzufangen? Wer Bismarck sich nach den Bildern denkt, die von ihm cursiren, oder selbst wer ihn im Reichstag hatte reden hören, wer ihm auf seinen Spaziergängen begegnet ist, kennt ihn nur von der officiellen Seite, als Staatssorgen- und Würdenträger. Aber hier, innerhalb seiner vier Wände, inmitten der behaglichen Muße, in einem Kreise berühmter und patriotischer Männer, die mehr oder weniger sein Werk berathen, bekämpfen oder fördern halfen, da lernt man den Menschen, den vortrefflichen Gesellschafter im Grafen kennen. Mir haben oft Besucher der Tribünen des Reichstags und Zollparlaments, wenn sie Bismarck sprechen gehört, erklärt, sie seien durch nichts so enttäuscht worden, wie durch die Klangfarbe seiner Stimme. Seine Höhe, seine Brauen, seine Stirn, seine Brustweite, Alles sei viel gewaltiger, als sie gedacht, aber diese Stimme habe auch bei der trockensten Darlegung und beim größten Affect etwas so ungewöhnlich Weiches und Einschmeichelndes. Die Bemerkung ist richtig. Man hört aus den Worten des Grafen, trotz der großen Mäßigung seiner Reden, immer am Klang der Stimme seine augenblicklichen Empfindungen heraus. Und niemals directer und unmittelbarer als an solche Abende! Jetzt tritt er an unsern Kreis heran.

„Ich habe die Herren gern einmal bei mir sehen wollen. Man kann sich da so viel leichter sprechen und verstehen, als im Reichstag.“ Dabei gab er reihum die Hand. „Und außerdem, wenn Sie das Bedürfniß empfinden, mich oder einen Bundesrath oder Regierungscommissar zu interpelliren, so macht sich das hier meist in fünf Minuten in einer Ecke ab.“

Der Graf hatte Recht. Niemals noch in dem Maße wie in dieser Reichstagssession hatte sich die Nothwendigkat vertraulicher Verständigung herausgestellt. Den aus Anlaß des Twesten-Münster’schen Antrags auf verantwortliche Bundesminister waren die schreiendsten Dissonanzen zwischen Bundesregierung und Reichstag im Anzug gewesen, lediglich aus dem Grunde, weil jede Partei die Absicht der anderen nicht verstand. Bismarck war ärgerlich, weil er annahm, man wolle ihn durch die Zugabe des Herrn von der Heydt und seiner Collegen „abmeiern“, der Bundesrath, weil man durch das Verlangen nach einem Bundesministerium den Particularismus wider die Wolle streichelte, der Reichstag, weil er „auch gar nichts mehr kriegen“ sollte. Und schließlich, nach fünfstündiger heißer Redeschlacht, erklärte Bismarck unter anhaltender Heiterkeit des Hauses, er und Lasker seien ganz einer Meinung; sie hätten das leider nur bis dahin nicht gewußt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_313.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)