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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

nicht zu berühren, hielt Oliveira consequent die Linie fest, auf der er bisher geschritten. … Die junge Dame sah, wie sich die wenigen Nesseln, die den Wegrand besäumten, unter seinem Fuß in die Tiefe hinunterbogen – sie hörte, wie die Steine und Erdbrocken sich ablösten und polternd hinabstürzten – das scheue Mädchen, das ängstlich vor jeder Berührung zurückwich, es ergriff plötzlich mit beiden Händen den Arm des Mannes.

„Ich habe Angst um Sie!“ stammelte sie mit flehendem Blick – es waren Laute der tiefsten Zärtlichkeit, in denen diese liebliche, aber keusch kalte Stimme urplötzlich ausbrach.

Er stand wie festgewurzelt, ja, wie versteinert unter der Berührung der schmalen kleinen Hände, unter der Wirkung dieser Töne. … Vielleicht lief jener grellrothe Streifen wieder über die geheimnißvoll gezeichnete Stirn, von dem man meinen konnte, er concentrire den ganzen fluthenden Lebensstrom in sich und mache momentan Herz- und Pulsschlag ersterben. … Bis da hinauf wagte sich Gisela’s Blick nicht – so hoch aufgebaut auch ihre geschmeidige Gestalt erschien, der blonde Scheitel reichte doch nicht viel über die Brust des gewaltigen Mannes, und jetzt sah sie in nächster Nähe, wie diese breite Brust mühsam nach Athem rang. Welcher Art der Kampf war, der sie hob und senkte – Gisela wußte es nicht, es blieb ihr auch keine Zeit, darüber zu denken. … Oliveira ergriff mit der Linken sanft ihre Hände, löste sie von seinem Arm und ließ sie langsam niedergleiten – die schöne, kräftige Hand zitterte heftig, aber sie übte nicht den leisesten Druck.

„Ihre Besorgniß ist grundlos, Gräfin Sturm,“ sagte er mit fester, aber vollständig klangloser Stimme. „Gehen wir weiter. … Es ist meine Aufgabe, Sie so hinüber zu geleiten, daß Sie an diesen Weg niemals mit Schrecken zurückdenken sollen.“

Davor konnte er sie nicht mehr schützen, sie mußte, so lange sie lebte, mit Schrecken an diesen Weg zurückdenken. Sie hatte sich verrathen gegen Den, der am wenigsten in ihrer Seele lesen durfte. … Und wenn auch aus jenen verschleierten Tönen unverkennbar Trauer und Resignation geklungen hatten, wenn er auch vor ihr stand, als wolle er in der That seine Hände behütend über jeden ihrer Schritte halten – das versöhnte sie nicht wieder mit sich selbst.

Sie schritt ohne Zögern weiter mit tiefgesenkter Stirn und dem dumpfen Gefühl in Kopf und Herzen, als sei plötzlich Alles zertreten, was sie Gutes und Edles in sich gehabt – die Liebe, eine himmlisch schöne Hoffnung und die eigene Würde.

Die kleine Strecke Weges, die noch vor ihnen lag, war bald zurückgelegt, und nun eilte der Portugiese wieder hinüber, um die Pferde zu holen. Während er die Thiere losband, entfiel ihm der Hut, er nahm ihn auf – gleich darauf taumelte die azurblaue Campanula, begleitet von all’ ihren farbenbunten Schwestern, in den Abgrund; Oliveira schleuderte sie mit einer unzweideutigen Geberde des Abscheues weit von sich.

Er schwang sich auf sein Pferd und nahm Miß Sarah am Zügel, die ihm wie ein Lamm folgte. … Das war freilich ein halsbrechender Ritt! … Gisela legte die Hände über die Augen – sie begriff, daß ein Mann eine Dame, und wenn sie ihm noch so gleichgültig war, nicht ohne Angst diesen Weg passiren sehen konnte.

Sie athmete tief auf, als nach wenigen Minuten Miß Sarah freudig wiehernd neben ihr stand. Sie sprang auf einen Felsblock und von da auf den Rücken des Thieres, und fort flogen die zwei Reiter, dem Walde zu.

Die Felsenwand, auf der eben eine junge stolze Menschenseele eine tiefe Wunde empfangen, badete nach wie vor ihre narbenvolle Brust in dem Gluthstrom der Julisonne – die Nesseln, auf die der Fuß des Mannes getreten, richteten sich wieder gerade und elastisch in die Höhe, und um die Steinritzen flatterten kreischend und lärmend die brütenden Vögel, welche die Menschentritte für einen Moment von ihren Nestern verscheucht hatten – lauter fröhlich aufsprudelndes, sonnendurchglühtes Leben. … Nur unten auf dem erhitzten Gestein lag verscheidend die arme, kleine, blaue Glockenblume und büßte für die verrätherische Hand, welche so wundervoll „Chopin“ spielte und einst mit so viel Grazie und Willenskraft den drückenden Verlobungsring abzustreifen verstanden hatte. …

(Fortsetzung folgt.)




Pfingstparadies im Herzen Deutschlands.

Das schönste Frühlingsfest schließt abermals „die Herzen und die Fenster auf“, lockt die Menschen aus den Mauern der Städte heraus in’s Freie und erweckt im Freien die Sehnsucht nach dem lieblichsten Schmuck der Erde, dem lenzgrünen Wald der Berge und der Thäler. Kein deutsches Gebirg aber bietet des Anmuthigen, Erquickenden und Erhabenen so viel auf engstem Raume, als unser Thüringerwald, und recht wie zum gemeinsamen Genuß für alle Deutsche ist er, in Deutschlands Herzen, nach allen Himmelsrichtungen der zugänglichste und durch des Dampfes Gewalt dem Mann der nordischen Ebenen, wie dem im Stromgebiete der Donau, dem an der Oder, wie dem am Rhein gleich nahe gerückt. Dadurch ist es auch dem Zeitbedrängten möglich gemacht, selbst in der kurzen Frist der beiden Pfingstfeiertage mit ihrem Sonnabendvorspiel den Theil von Thüringen zu durchschwärmen, in welchem zwischen den beiden berühmtesten Perlen des Gebirgs, der Wartburg und Reinhardsbrunn, der Inselsberg als Beherrscher der Wälder thront.

Je nachdem der Pfingstwanderer auf der Thüringer Bahn zuerst Eisenach oder Gotha begrüßt, trifft er die Wahl der Richtung seiner Tour. Wer schon am Sonnabend mit einem Mittagszug in Eisenach anlangt, hat vollauf Zeit, nicht nur die in unserer großen Abbildung hervorgehobene Umgebung dieser alten denkwürdigen Stadt, sondern auch das Innere der Wartburg, dem wir im Jahrgang 1867 ein eben so großes Blatt gewidmet haben, ohne Hast, ja, mit dem aus dem Altane des neuen Wirthshauses an der Wartburg gebotenen walderfrischten Wohlbehagen zu genießen. Wer den Sonnenuntergang auf der reizenden Höhe erlebt hat, freut sich, nach einer guten Nacht in Eisenach, erst recht der Herrlichkeiten der nächsten Tage. Der erste Tag führt ihn über die Hohe Sonne, Schloß Wilhelmsthal nach dem weltbekannten Waldflecken Ruhla und von da über Altenstein nach dem lieblichsten Badeort Thüringens, Liebenstein. Die Umgebungen desselben verdienen es, den Rest des Tages in Anspruch zu nehmen. Wer aber noch nie die Aussicht von einer bedeutenderen Höhe genossen und zur Abkürzung der Wegzeit einen Wagen benutzen kann, thut wohl daran, am Nachmittag noch durch das Drusenthal und Brotterode den Inselsberg zu gewinnen, weil am Abend für die Fernsicht der klarste Himmel bereit ist. Vom Inselsberg schwärmt dann der glückliche Wanderer in einem großen Naturpark bis gen Reinhardsbrunn, das ihm für den Schluß des zweiten Tages des Bewundernswerthen die Fülle und dazu die Gelegenheit bietet, am nächsten Morgen in kurzer Zeit die Eisenbahn zur Heimfahrt zu erreichen.

Wer von Gotha oder Fröttstedt her Reinhardsbrunn den ersten Besuch abstattet, widmet den Rest des Sonnabend-Nachmittags, wenn ihn nicht Gotha und seine Sehenswürdigkeiten (die Sammlungen im Schloß Friedenstein) fesseln, dem Genuß der Natur- und Kunstpracht dieses „kostbarsten Edelsteins im Diadem des Thüringerwaldes“. Er wird weder die unterirdische Pracht der Marienglashöhle, noch die waldumrauschte der Tanzbuche unbesucht lassen und vom Abtberge das freundlichste Bild von Schloß und Thal und Land in sich aufnehmen. Der Anblick der duftenden Waldberge wirkt allein schon entzückend genug, um eine wahre Gebirgssehnsucht zu wecken für die Wanderfahrt des kommenden Tages, auf welcher wir nun den rüstigen Fußreisenden bis zur Wartburg begleiten wollen.

Die Entfernung von Reinhardsbrunn bis zum Inselsberg beträgt drei Wegstunden. Wer früh aufbricht, um Auge und Herz zu erlaben, wird sie gern mehr als verdoppeln. Der Wanderer kommt aus dem idyllischen Wiesenthal in den Tabarzer Grund. Sobald er die Straße von Klein-Tabarz nach Waltershausen erreicht hat, liegt eine völlige Schweizerlandschaft vor ihm: über einem vom Lauchabach durchblitzten Wiesenteppich ragt aus einem Kranz von grünen, felsgeschmückten Höhen das Riesenhaupt des Inselsbergs empor. Von da gelangen wir in das „Felsenthal“ des Lauchagrundes, und eine Reihe von wildherabdrohenden Felskolossen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_308.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2020)