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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

tanzen. ….Meinen Sie nicht auch, daß die eben entdeckte Schönheit eine prachtvolle Requisition für unsere Hofbälle sein würde?“

Sie verzichtete auf eine Antwort der Damen, die unter ihrem klugen, satirischen Blick wie die Päonien erglühten, und wandte sich an den Fürsten, der ohne Aufenthalt weiter schritt.

„Darf ich mir eine Ehrenerklärung für mein künstlerisches Auge ausbitten, Durchlaucht?“ fragte sie scherzend. „Ich erhielt vor kaum einer Stunde einen sehr ungnädigen Blick, weil ich mich unterfing, in dem häßlichen Kinderkopf der kleinen Sturm die Grundlinien eines berühmt schönen Gesichts wiederzufinden. … Wie, war es nicht in jedem Zug, in jeder Bewegung die stolze Gräfin Völdern, die wir eben in den Wald zurücksprengen sahen?“

„Ich bekenne mich überwunden,“ entgegnete der Fürst. „Die schöne Amazone stellt meine Protégée sogar in den Schatten – sie hat zwei Reize mehr: die Jugend und den Zauber der Unschuld.“

Ein leiser Wehruf der Baronin Fleury unterbrach das Gespräch. Die schöne Excellenz hatte hastig und unvorsichtig in einen wilden Rosenbusch gegriffen – ein spitzer Dom war tief in die weiche, weiße Hand gedrungen, das Blut quoll durch das dünne Battisttaschentuch, und das war ein so bedauerlicher Unfall für alle die jungen, weichen Mädchenherzen, daß sie nicht begriffen, wie Seine Durchlaucht den Brand drüben hinter dem Walde wichtiger finden und sie gerade in diesem Augenblick verlassen konnte, noch dazu in Begleitung sämmtlicher Herren.


21.

Mittlerweile stürmte der Araber durch den Wald heimwärts. War es doch, als fühle das edle, kluge Thier, daß es auf der Waldwiese die Widersacher seiner jungen Herrin zurücklasse und den Raum zwischen Beiden nicht schnell genug erweitern könne. Die feinen Hufe berührten flüchtig den moosigen Boden, es flog fast lautlos dahin – nur dann und wann erklang ein funkensprühender Stein, oder das Schnauben der Nüstern durch die Waldesstille.

Gisela ließ das Thier laufen, wie es wollte. Noch saß sie mit der stolzen, festen Haltung und zurückgewandtem Gesicht auf seinem Rücken, als gelte es, die vernichtenden Blicke des Stiefvaters, seine abscheuliche Beschuldigung abzuwehren, und die strenggeschlossenen Lippen, die jedes Wort der Entrüstung consequent zurückgehalten, lagen noch fest aufeinander – der Zug der Verachtung aber, der den schweigenden Mund in so herben Linien umschrieb, hatte sich vertieft. Während ihre eigene Erscheinung für die auf der Wiese Stehenden längst im Waldesdämmern untergegangen war, erschien ihrem scharfen Auge die ferne, sonnenüberstrahlte Lichtung am Ende des Laubganges wie ein Miniaturbild auf Goldgrund … ein Miniaturbild – ja, das war’s! Zierliche Gestalten voll Eleganz und Geschmeidigkeit, aber um Alles keine Heroen, keine Rittergestalten mit dem unleugbaren Herrscherblick und dem unverwischbaren Adelsgepräge auf der Stirn, wie ihre kindliche Phantasie von den ersten Begriffen an bis noch vor wenigen Augenblicken die gefeite Tafelrunde der Fürsten sich ausgeschmückt.

Das war also der Hofkreis, die Quintessenz der hochgeborenen Menschen im Lande, und unter ihnen der Mächtige, der die höchste Weisheit hinter der Stirn, die größte Selbstbeherrschung in der Seele tragen mußte; er war ja von Gottes Finger bezeichnet, er regierte von Gottes Gnaden, und sein Ausspruch über Leben und Tod des Einzelnen, über das Wohl und Wehe des Landes war der letzte, endgültige. Die Natur hatte mit jenem höchsten Gesetz nicht Schritt gehalten – sie hatte die Herrschermacht mit einer unscheinbaren Hülle umkleidet; die Bilder in Frau von Herbeck’s Zimmer logen, sie hauchten den Glanz hoher Geisteswürde und Majestät um das schmale Gesicht, das nur Freundlichkeit in seinen matten Augen hatte. … Und um einen Schimmer dieser Augen zu erhaschen, würde Frau von Herbeck stundenweit gelaufen sein; jedes Wort, das einst „in der glücklichen Zeit ihres Erscheinens bei Hof“ jener Mund zu ihr gesprochen, wurde heilig aufbewahrt im Reliquienschrein ihres Herzens. … Und die Großmama hatte sich die Stirn wund drücken lassen von ihren schweren Diamanten, um standesgemäß und jenes Kreises würdig zu erscheinen – sie selbst aber hatte ihre junge, einsame Seele genährt an glänzenden Bildern des Hoflebens, sie war in der Idee aufgewachsen, dermaleinst eine Erhabene unter den Erhabenen sein zu müssen. … Welche Enttäuschung! … Jener Kreis dort war nur exclusiv durch die streng festgehaltenen Gesetze der Etikette, nicht aber durch irgend einen Stempel äußerer Bevorzugung eine Landpartie gewöhnlicher Sterblicher unterschied sich in nichts von jenem Miniaturbild auf der Wiese.

Nur Einer war der Erhabene gewesen – aber er hatte auch das kindisch schäferhafte Spiel mitgespielt, über seinem tiefernsten Bronzegesicht hatten Waldblumen genickt – Waldblumen, die sie so zärtlich liebte, denen sie aber jetzt fast zürnte, weil sie einem unbewußt gehegten Bild die Weihe hoher, ernster Männlichkeit nahmen. Er hatte in dem Augenblick, wo sie auf der Wiese erschienen, seinen Hut aus Damenhänden zurückempfangen – die Hände der schönen Stiefmutter waren es gewesen, die den Hut geschmückt. …

Und dicht neben dem Portugiesen hatte ein wunderschöner brauner Lockenkopf gestanden – sie kannte dieses Mädchen – es war noch derselbe Kinderkopf, den sie einst verabscheut hatte, weil stets in die braunen Locken schreiend bunte Bänder eingeflochten waren und weil dieser Kopf nichts Anderes denken konnte, als elegante Kleider, Kinderbälle und Puppenhochzeiten. Dabei hatten die kleinen, sorgfältig gepflegten weißen Finger den armen Puß heimtückischerweise gezwickt und sehr geschickt hinter Frau von Herbeck’s Rücken Kuchen und Früchte wegescamotirt. … Jetzt war sie Hofdame und die gefeiertste und geistreichste Schönheit am Hof, wie die Gouvernante oft versicherte. … Wie war die kleine, unermüdliche Plaudertasche mit der platten Geschwätzigkeit plötzlich, zu der Himmelsgabe gekommen, die Gisela „Geist“ nannte? … Schön, blendend schön war sie geworden und, mit Ausnahme der reizenden Stiefmutter, die Einzige, die sich neben den hohen, majestätischen Mann stellen durfte. … Ob es Zufall war, daß sie an seiner Seite stand? … Oder hatten die Zwei gefunden, daß sie zu einander gehörten? …

Das junge Mädchen, „das nie heftig werden wollte“, zog plötzlich so jäh und gewaltsam am Zügel, daß das Pferd hoch aufbäumte.

Und weiter ging es im rasenden Galopp. … Das sonnenbeleuchtete Miniaturbild da hinten im Walde erlosch, und selbst das brennende Dorf, dem die Reiterin zueilte, trat mit all’ seinen Schrecknissen momentan zurück vor den zwei Gestalten, die das junge Gemüth unter den bittersten Schmerzen in sich heraufbeschwor.

Das Sonnenlicht, das plötzlich grell und sengend auf ihren Scheitel fiel, riß sie aus ihrem qualvollen Sinnen und Brüten empor. Sie hatte ziemlich das Ende des Waldes erreicht; die undurchdringlich ineinander verschränkten Aeste hoch oben in den Lüften lösten sich und ließen den weiten Himmel durch das zerfließende Blättergewebe hereinscheinen, während unten von den letzten gewaltigen Stämmen hinweg halbversengtes, krüppelhaftes Gestrüpp in das Blachfeld hinein lief.

Gisela hielt ihr Pferd an und ließ es einen Moment verschnaufen, ehe sie sich hinauswagte in die Gluth, die funkelnd und zitternd über der unbeschützten Fläche brütete.

Dort gegenüber lagen die großen Steinbrüche, die sie passiren mußte, wenn sie nicht den weiten Umweg nach der Fahrstraße machen wollte. Ein schmaler, für Reiter ziemlich gefahrvoller Fußweg lief an den Abgründen vorüber. Der Gedanke an Gefahr kam der Reiterin nicht, sie war unerschrocken und konnte sich auf Miß Sarah’s sichere Füße und klugen Kopf verlassen.

Hinter den Steinbrüchen, begann wieder der Wald – jene Linie, die sich so erquickend dunkel lang hindehnte; über ihr kräuselten durchsichtige Wolkengebilde, die hoch in der Lust schleierartig zerflossen – bei weniger heller Beleuchtung würden sie wohl schwarzgrau ausgesehen haben – es waren die Rauchwolken des brennenden Dorfes.

Eine leichte Berührung mit der Reitgerte scheuchte Miß Sarah hinaus auf das Feld – mit Gisela zugleich erschien aber auch ein zweiter Reiter am Saum des Waldes – der Mann, der nach Frau von Herbeck’s Ausspruch „wie ein Gott“ zu Pferde saß.

Der Portugiese kam vom Waldhause her, und wenn auch jetzt wieder sein plötzliches Erscheinen an die scherzhafte Bemerkung des Fürsten, daß Herr von Oliveira fliegen könne, erinnerte, so war diese zauberhafte Geschwindigkeit erklärt durch das prächtige, schnellfüßige Thier, welches er ritt – es war ein Gegenstand der Bewunderung und des Staunens für die ganze Umgegend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_306.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2019)