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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


weiblichen Geschlechts und der Verein der Künstlerinnen sendeten ihre Schülerinnen seit Ostern. Elementar- und Ornamentzeichnen, besonderer Zeichenunterricht für Bauhandwerker, besonderer für Maschinenbauer, Modelliren in Thon und Wachs, Figurenzeichnen und Zeichnen nach Gypsabgüssen werden theils Sonntags Vormittag, theils an den Abenden in der Woche in hellerleuchteten Classen gelehrt. Nachmittags sind die Curse der Schülerinnen, und täglich, den ganzen Tag hindurch, ist die Compositions-Classe geöffnet. In derselben wird das Entwerfen und Ausführen von Zeichnungen zu kunstgewerblichen Zwecken gelehrt und praktisch betrieben. Zahlreiche Aufträge, deren sich diese junge Classe zu erfreuen hatte, sind theils erledigt, theils in Ausführung begriffen. Leider hat gerade diese Classe durch den Tod ihres Begründers, des so jugendfrüh dahingeschiedenen Baumeisters Kolscher, einen unersetzlichen Verlust erlitten. Ein Künstler von Gottes Gnaden! konnte der Geistliche rufen, der ihm die letzte Ehre erwies, als wir ihn, den Vierunddreißigjährigen, in die frühlingswarme Erde legten. Kolscher, der Erbauer des Handwerkerhauses, der Decorateur des Berliner Rathhauses, hatte sich auf allen Gebieten der ornamentalen Technik versucht. In den Räumen des Gewerbe-Museums sind seine Zeichnungen und Entwürfe jetzt aufgestellt, und es ist erstaunlich, was er in so kurzer Frist auszuführen im Stande gewesen ist. Das Haus des Bürgers und den Prachtbau der Fürsten, große Hallen und Säle für öffentliche Zwecke hat er mit idealem Sinne entworfen und vollendet, aber dieselbe Liebe hatte er für Verschönerung aller der Kleinigkeiten, die uns im täglichen Leben umgeben und unser Erdendasein veredeln. Möbel und Hausrath, Silbergeräth und Teppiche, Eisenbahnwagen und Webemuster, Gefäße und Gewänder, ja die kleinen Muster weiblicher Handarbeit hat er, gleichsam mit seinem Reichthum spielend, ersonnen und ausführen lassen. Mancher Stein- und Metallarbeiter, mancher Fabrikant von Gasbeleuchtungs- und Holzzierrathsgegenständen verdankt seine Londoner und Pariser Medaillen ihm.

Nach Kolscher’s Tode ist der Baumeister Jakobsthal mit Leitung dieser Classe betraut worden. Möchte ihm vergönnt sein, weiter zu pflanzen und Resultate zu ernten, die Kolscher nur ahnen konnte! Neben ihm zählt das Institut Künstler wie den Bildhauer Göritz und die Maler Ewald, Schaller, die Ingenieure Greiner und Scholz zu seinen Lehrmeistern. In beiden Wintern wurden sofort mit diesem technischen Unterricht wissenschaftliche Vorträge verbunden. Professor Rosenthal behandelte die Farbenlehre, Dr. Buff die Chemie, Dr. Bischof die Physik, soweit sie den Technologen angeht, und Dr. Julius Lessing, der bekannte Berichterstatter der Pariser Ausstellung, die Geschichte der Kunstgewerbe.

Die Bibliothek, welche schon über ein reiches Material von werthvollen Vorlagen und Vervielfältigungen künstlerischer Mustererzeugnisse verfügt, steht Schülern und Mitgliedern offen.

Die Sammlungen sind in drei Sälen aufgestellt, denen bald ein vierter folgen wird. Vor Allem galt es neue Zweige des Kunstgewerbes zugänglich zu machen, die in Deutschland noch nicht heimisch sind, und hierbei möglichst so zu verfahren, daß der Schüler lernt, dem einfachen Stoffe durch seine künstlerische Behandlang Werth zu verleihen. Ein Beispiel möge statt vieler hier Platz finden. Als die Franzosen vor einigen Jahren Peking eroberten, fanden sie die bei den Chinesen hoch ausgebildete Kunst der metallischen, namentlich Bronze-Emaillen. Diese in Europa seit dem Mittelalter vernachlässigte Kunst war förmlich verloren worden. Man begann nun in Paris die vielen mitgebrachten emaillirten Kleinodien zu vervielfältigen, lernte das vergessene Verfahren auf’s Neue und schuf so eine Fundgrube für fleißige Arbeiter, denen für geschickte Behandlung nicht allzutheurer Stoffe überaus hohe Preise bezahlt werden. Dies Beispiel zeigt auf’s Deutlichste, wie neben der sittlichen und ästhetischen Seite der Sache auch der volkswirthschaftliche Werth derselben kein geringer ist. Aehnliches ließe sich von den einfach schönen Gefäßen des portugiesischen Landmanns, vom Glas des Venetianers, vom Shawl des Persers, vom Geflecht des Japanesen, vom Ruder des Malayen ausführen. – Dann aber mußten neben diesen Kunsterzeugnissen schon vorhandene Gegenstände in solcher Ausführung vorgeführt werden, daß Nachahmungstrieb und Wetteifer des Handwerkers angespornt wurden. Hierzu dienen vorzugsweise Originale oder doch treue Copien der im Mittelalter in einigen, in der Renaissance- und Rococo-Zeit in anderen Zweigen auf’s Höchste ausgebildeten Stücke der Kleintechnik. Der Schlosser, der Töpfer, der Holzschnitzer, die Spitzenklöpplerin, sie Alle können von ihren Vätern und Müttern gar viel lernen. Hier sind nun Galvanoplastik, Photographie und das Abguß-Verfahren mit Gyps unvergleichliche Hebel der modernen Zeit. Endlich muß auch dem Handwerker die weite Perspective in Gegenwart und Zukunft eröffnet werden. Zahllose neue Erfindungen und Entdeckungen haben ganz neue Gewerbe geschaffen. Der Gewerbfleiß aller Länder und Völker hat sich der Maschine bemächtigt und beutet die neuen Industriezweige aus. Leben und Rührigkeit herrschen auf diesen Gebieten, die nun auch der Verschönerung und der Veredlung erobert werden müssen. Hier hat das Museum seinen Schönsten, seinen allen Laien verständlichsten Beruf. Warum sollte nicht Alles, was unsere Zeit so praktisch hingestellt hat, auch schön sein, von der Locomotive herab bis zum Stahlfederhalter, von der Riesenkanone bis zur Petroleumlampe? Schmückt doch der rohe Reiter der Wüste Sattel und Gurt mit den schönsten Zierrathen, die Gestein und Metall hergeben, und der einsame Insulanerschiffer sein Ruder mit Holzbildern und Perlmuttereinlagen! Warum sollte der kluge Deutsche, der sich in Vorträgen und Büchern die höchsten Geister der Nation zu eigen macht, nicht sein Werkzeug und tägliches Brod verschönern?

Und jetzt folge man mir durch die Säle des jungen Unternehmens und weide seine Augen an den Gläsern und Vasen des Dr. Salviati aus Venedig, der die vergessenen Glaskünste zu neuem Leben wachgerufen hat, und an den englischen und spanischen Kacheln und Fliesen von buntem Thon, welche im Winter den heißen Kamin, im Sommer das kühle Bad schmücken, den zierlichen Kästen und Körben, die der Ostasiat reichlich mit buntem, unvergänglichem Lack und feinem Bild und Ornament überzieht. Man sehe hier die Reihe der Stühle von dem einfachen nubischen Holzgestell mit Bocksleder überflochten, wie es schon Erzvater Abraham am Rande der Wüste stehen haben mochte, bis zu den Prachtsesseln, die golden und durchbrochen der Luxus des vergangenen Jahrhunderts erfand und deren schwellende Roßhaarkissen er mit Brocatstoff und Gobelin überzog. Man betrachte hier das Spitzengewand der reichen Brabanterinnen und dort Fächer und Kamm aus dem zarten Schildkrötenhorn Südasiens geschnitten. Mit den geschnitten Steinen des Alterthums wechselt die Pracht mittelalterlicher Münzen, Medaillen und Siegelbullen.

Ja, das Handwerk hat einen goldenen Boden, denn es nährt nicht nur seinen Mann, nein, es kann, recht angefaßt, auch wohl ein ganzes Volk heben, reich und glücklich machen im Genuß einer schönen Umgebung. Raum genug für Schönheit, Sauberkeit und die edlen Gaben der bildenden Kunst ist in der kleinsten Hütte, und wenn die Schätze, die zum Schmuck der Paläste verwendet werden, nicht der flüchtigen vorübergehenden Mode dienen, sondern dem als ewig schön Gefundenen, so werden sie Zeugniß ablegen, daß auch im kleinen Gewerbe am Bau der Ewigkeiten mitgebaut wird – ein Zeugniß, das dem Lande zum Nutzen, seinen Arbeitern zur Ehre und Allen, die ein offnes Auge haben, zur Freude dienen wird.

Lehfeldt.


Von der Hauptwache in die Alpen.

Die hochgehenden Wogen des Jahres 1848 haben manch’ tüchtigen deutschen Mann in ihren Strudel gerissen und haben ihn fortgeführt aus der theuren deutschen Heimath. Nicht der letzte unter ihnen ist Friedrich Wilhelm Rüstow, welcher noch gegenwärtig im Exil in der Schweiz lebt und sich seither einen wohlbekannten Namen als ilitärschriftsteller und Heerführer erworben hat. In letzterer Eigenschaft nahm er eine hervorragende Stelle im Jahre 1860 im italienischen Kriege ein, in welchem er eine von ihm binnen vier Wochen formirte, achttausend Mann starke Division Freiwilliger zum Kampfe und zum Siege

führte. – Als Officier in preußischen Diensten ließ er sich, durchdrungen und begeistert von den Ideen einer unaufhaltsam hereinbrechenden neuen Zeit, zu Worten und Thaten hinreißen, durch welche er sich in diametralen Gegensatz zu den Anforderungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_296.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)