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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zeichen des Alters und folglich der Güte des Weines. Sein Lieferant hatte sich diese Marotte gemerkt und versorgte ihn immer mit einer hinlänglichen Anzahl von Flaschen mit Spinngewebe, die dann natürlich das Dreifache von dem kosteten, was er ohne Spinngewebe für denselben Wein zu zahlen hatte.

Dimitry machte sich seine eigenen Gedanken über diese Art von Feinschwelgerei, schwieg aber als Weltmann still dazu, wohl wissend, daß den Menschen im Allgemeinen und den großen Herren insonderheit nichts lieber ist, als angenehm betrogen zu werden. Trieb er doch selbst dies Geschäft mit großem Erfolg bei seinem Bruder. Bei seinem letzten Besuch hatte er ihm eine beträchtliche Summe abgelockt, um ihn als Actionär bei einem Unternehmen zu betheiligen, welches bezweckte, die Naphthaquellen einer Insel im caspischen Meer auszubeuten und einen unerhörten Gewinn dadurch zu erzielen, der sich auch wirklich insofern ergab, als das Unternehmen in Wasser zerfloß und das Geld in den Taschen der Unternehmer hängen blieb. Der neue Plan, den er jetzt vor seiner Rückkehr nach Deutschland auf’s Tapet brachte, bezweckte, die Güter des Fürsten durch Vermählung seines Sohnes mit der Tochter der in der Nachbarschaft ansässigen verwittweten Gräfin Reka zu vermehren. Die Gräfin war vor zwei Jahren mit ihrer damals vierzehnjährigen Tochter Olga nach Dresden gereist, um dort deren Erziehung zu vollenden. Dimitry war ein alter Freund der Gräfin, die sich seinen Vorschlägen gar nicht abgeneigt zeigte; es galt nur noch den Fürsten Michail dafür zu gewinnen, was dem schlauen Dimitry nicht schwer wurde. Er kannte die mißtrauische Natur seines Bruders, der jeden klar formulirten Vorschlag kopfschüttelnd abzuweisen pflegte, als ob er fürchtete, schmählich überlistet zu werden, dagegen über dunkel hingeworfene Andeutungen gern nachgrübelte und an den Vorstellungen, die sich solchergestalt schwerfällig und langsam in seinem Gehirn entwickelten, mit großer Zähigkeit festhielt.

Die Güter der Gräfin waren nicht groß, aber sehr einträglich, weil hart an den Ufern der Wolga gelegen, wo die Dampfschifffahrt den Verkehr erleichterte und der Fischfang reiche Ausbeute lieferte. Von dieser günstigen Lage und den daraus entspringenden Vortheilen der Reka’schen Güter hatte Dimitry schon ein paar Mal bei Tisch mit einem Nachbarn gesprochen, aber so, daß Fürst Michail es hören mußte.

„Es ist schade, daß nicht ein sachkundiger Mann die Güter bewirtschaftet,“ bemerkte der Nachbar, „das Einkommen könnte leicht dadurch verdoppelt werden.“

„Nun, die Gräfin behält immer noch genug –“ warf Dimitry ein; „sie hat von der Bauernemancipation weniger zu leiden als wir Anderen, denn ihre Fische können sich nicht um einen Spottpreis loskaufen wie unsere Leibeigenen, denen wir noch obendrein Land in den Kauf geben müssen.“

„Es ist und bleibt ein himmelschreiendes Unrecht mit dieser Emancipation,“ nahm jetzt Fürst Michail das Wort, dem die Fische der Gräfin Reka schon durch das weindunstige Gehirn schwammen, „früher mußte mir jeder Bauer, den ich auf Obrok ließ, wenigstens ebenso viel jährlich zahlen, wie ich jetzt sammt und sonders für seine Freilassung bekomme. Wie soll ein anständiger Gutsbesitzer dabei bestehen? Ich bitte, sagen Sie, meine Herren!“

„Was ist da viel zu sagen? Ein himmelschreiendes Unrecht ist’s und bleibt’s,“ echote der Nachbar, ernst die Stirn runzelnd, während Dimitry bedächtig zustimmend nickte.

Am folgenden Tage ließ Dimitry zum Diner lange auf sich warten.

„Woher kommst Du so spät? Wo bist Du den ganzen Tag gewesen?“ fragte ihn ein über das andere Mal sein ungeduldiger Bruder.

„Der General Beregoff hatte mich abgeholt, um mir die neuen Fischbehälter auf den Reka’schen Gütern zu zeigen; es ist wirklich der Mühe werth …“

„Was hat der General damit zu thun? Was geht das den General an?“ unterbrach ihn der alte Fürst unmuthig.

„Nun, er scheint ein lebhaftes Interesse daran zu nehmen; er betrachtet Alles wie mit den Augen eines zukünftigen Besitzers.“

„Zukünftigen Besitzers? Wie meinst Du das? Was willst. Du damit sagen?“.

„Hat er nicht einen heirathsfähigen Sohn?“

„Heirathsfähigen Sohn? Soll es da hinaus? Daran hab’ ich nie gedacht.“

„Der junge Beregoff dient in der Garde; er wird ungefähr im Alter Deines Alexander sein.“

„Nein, er ist jünger; er ist sicher ein paar Jahre jünger; ich weiß gewiß, er kam später als Alexander auf die Welt; ich war ja selbst bei der Taufe.“

„Er wird aber doch alt genug sein zu heirathen, oder wenigstens sich zu verloben, um den reichen Fang zu sichern.“

Fürst Michail schwieg eine Weile. „Jünger als Alexander und doch alt genug sich zu verheirathen, um den reichen Fang zu sichern“ – diese Worte summten ihm beunruhigend durch den Kopf; er brauchte Zeit, um die natürliche Schlußfolgerung daraus zu ziehen, und Dimitry ließ ihm Zeit. Endlich hub der Fürst wieder an, gleichsam um sich selbst zu beruhigen:

„Mit der Heirath ist’s dummes Zeug; Olga ist ja noch ein Kind.“

„War noch ein Kind vor zwei Jahren –“ bemerkte Dimitry trocken, „sie hat sich seit der Zeit merkwürdig entwickelt.“

„Hast Du sie gesehen?“

„Ganz zufällig, kurz vor meiner Abreise von Deutschland; ich mußte wegen meiner Pässe zu unserem Gesandten nach Dresden, wo sie wohnte.“

„Ist sie hübsch?“

„Allerliebst.“

Der Fürst ließ ein paar Flaschen mit Spinngewebe kommen, trank eine davon stillschweigend mit dem Bruder aus und sagte beim Anbruch der zweiten, wie zu sich selbst sprechend:

„Das wäre eine Partie für Alexander, wenn mit dem Jungen nur was anzufangen wäre; er ist ganz aus der Art geschlagen; hat nichts von mir. Ja,“ rief er jetzt laut, „wenn ich an seiner Stelle wäre! Aber er ist ganz aus der Art geschlagen!“

„Wer ist aus der Art geschlagen?“ fragte Dimitry, als ob er blos die letzten Worte gehört hätte.

„Nun, Alexander mein ich; sonst wäre das ganz eine Partie für ihn, wenn der Junge nur Haare auf den Zähnen hätte. Aber es ließe sich doch wohl machen, denn heirathen muß er ohnehin über kurz oder lang.“

„Heirathen muß er, das versteht sich von selbst,“ bemerkte Dimitry trocken.

„Nun, warum kann er denn nicht Olga heirathen? Ich sehe nicht ein, warum nicht.“

„Das sehe ich auch nicht ein.“

„Du siehst’s auch nicht ein? – Das glaub’ ich, jetzt, wo ich’s Dir gesagt habe! Warum bist Du denn nicht selbst auf den Gedanken gekommen? Es lag doch so nahe. …“

„So nahe, wie die Güter der Gräfin –“ fuhr Dimitry fort. „Aber man denkt an so etwas nicht gleich, wenn man selbst keine Kinder hat. Uebrigens, wenn ich Dir nützen kann in dieser Angelegenheit …“

„Ja, Du kannst mir nützen; allerdings kannst Du mir nützen, denn die Sache muß abgemacht werden, und bald, damit uns der General mit seinem Sohne nicht in’s Gehege kommt. Du bist ein alter Freund der Gräfin; Du bist der rechte Mann, um die Sache schnell in’s Reine zu bringen.“

Es wurde nun verabredet, daß Dimitry die Damen in Baden-Baden mit Alexander zusammenbringen solle, aber so, daß sich Alles wie zufällig mache; alles Weitere nach Gunst der Zeit und Umstände zu fügen, blieb ganz seiner bewährten Klugheit überlassen. Selbstverständlich durfte es bei der Durchführung dieses Planes an Geld nicht fehlen, und der Fürst zeigte sich in diesem Falle großartiger, als Dimitry erwartet hatte, dem überdies nach glücklichem Erfolge noch eine ansehnliche Belohnung in Aussicht gestellt war. Es lag ihm deshalb sehr daran, die Sache zu beschleunigen. Zwei Tage nach der oben angeführten Unterhaltung mit seinem Bruder war er schon auf dem Wege nach Deutschland. Die Gräfin folgte mit ihrer Tochter seiner Einladung nach Baden bald; Alexander aber ließ, aus uns schon bekannten Gründen, auf sich warten und beantwortete die dringenden Briefe des Onkels mit der Entschuldigung, daß er vor der Vollendung seiner Cur nicht abreisen dürfe. Er wollte, bevor er Liebenstein auch nur auf ein Kurzes verließ, erst die Antwort seiner Mutter auf seinen flehentlichen Brief abwarten, um Gewißheit über sein Schicksal zu haben. Mit Maria war er inzwischen nicht weiter gekommen, als wir schon gesehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_290.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2019)