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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

kamen noch die bereits dem ältern Stifte in der Burg verehrten Gaben, besonders die von der ersten Gräfin Gertrud († 1077) herrührenden kostbaren Kreuze und die Stiftungen des Propstes Athelold († 1100). Alle diese Schätze überwies Heinrich der Löwe dem St. Blasiusdome, und hier blieben sie lange Jahrhunderte hindurch zur Erbauung der Gläubigen aufbewahrt, bis der Gang der Ereignisse sie ihrer ursprünglichen Stätte entzog und nach Hannover entführte.

Die Stadt Braunschweig, im allzu sehr gehobenen Gefühl ihrer Bedeutung, wollte dem Herzoge Rudolph August von Wolfenbüttel nur unter den von ihr selbst gestellten Bedingungen huldigen. Es vereinigten sich nun alle regierenden Fürsten des welfischen Hauses zu einem gemeinsamen Unternehmen gegen die Stadt, und dieselbe wurde im Jahre 1671 unterworfen. Herzog Johann Friedrich forderte und erhielt für seine Ansprüche an die Stadt und für seinen Beistand die Reliquien des St. Blasiusstiftes. So kamen diese nach Hannover.

Warum Johann Friedrich gerade diese Entschädigung wählte, läßt sich aus seinem oben erzählten Religionswechsel nur zum Theil erklären. Auch sein Kunstsinn hat Antheil daran gehabt. Er war ein Fürst mit seltenen Gaben des Geistes ausgestattet, der an dem, was Wissenschaften und Künste bieten, den reinsten Gefallen hatte. Bigotterie stand ihm fern. Er war heitern Temperaments, über ein Vierteljahrhundert lang zog er durch fast alle Länder Europa’s, fast überall knüpfte er mit gelehrten Männern Verbindungen an, correspondirte mit gleicher Leichtigkeit in deutscher, französischer, englischer und italienischer Sprache, begründete zu Hannover eine ansehnliche Bibliothek und besonders – er berief hierher den größten Gelehrten seines Jahrhunderts: Leibniz.

Seinen Reliquienschatz suchte Johann Friedrich auf den zahlreichen Reisen, namentlich in Italien, nach Kräften zu vermehren. Er bestellte darüber besondere Aufseher, und von einem derselben, dem berühmten Gerhard Molanus, Abt von Loccum, erschien im Jahre 1697 in deutscher Sprache eine eingehende Beschreibung, die auf Veranlassung des Papstes Clemens des Eilften in’s Lateinische übersetzt wurde. Der Papst erhielt für die vaticanische Bibliothek ein Exemplar auf Pergament, ein anderes auf kostbarem Papier für sich; ein drittes Exemplar auf Pergament befindet sich jetzt im Welfen-Museum. Die Gefäße und Reliquien selbst wurden mit höchster Sorgsamkeit verwahrt; sie zu sehen war für den gewöhnlichen Mann mit den größten Schwierigkeiten verbunden, selbst für „Standespersonen“ und Fürsten war der Zutritt zu ihnen eine Vergünstigung, und von Zeit zu Zeit wurde mit ihnen eine genaue Untersuchung vorgenommen, um ihren Bestand protokollarisch zu constatiren. Alles dies sowie mancherlei Sagen von ihrer Kostbarkeit verbreiteten um sie einen geheimnißvollen Nimbus. Man erzählte sich von einzelnen Stücken fast Wunderbares. Es befindet sich unter den Reliquien ein Daumen des heiligen Marcus; nun sollen die Venetianer, denen von dem Körper des Heiligen eben nur dieser Daumen fehlte, hierfür dem Könige Georg dem Ersten nicht weniger als hunderttausend Ducaten geboten haben!

Als im Jahre 1861 König Georg der Fünfte von Hannover das Welfen-Museum gründete, wurde der Reliquienschatz seiner Verborgenheit in den eisenbeschlagenen Schreinen der Schloßkirche endlich entzogen. Der König befahl, denselben im Welfen-Museum aufzustellen, und mit großer Liberalität wurde er nun dem Publicum allgemein zugänglich gemacht. Wir erinnern uns noch lebhaft des Staunens, der Ueberraschung und der Bewunderung aller Kenner, auch der weitgereisten, in der sonst an Sammlungen ziemlich dürftigen Stadt Hannover einen solchen Schatz zu finden, um den das junge Welfen-Museum zu beneiden selbst die größten Anstalten dieser Art vollen Grund hatten. Das größere Publicum staunte wenigstens über das hohe Alter der Gefäße, und wenn auch nicht gerade die Heiligengebeine, so flößten ihm doch die Namen Heinrich’s des Löwen und seiner noch ältern Ahnen eine gewisse Ehrfurcht ein. Dann kam das verhängnißvolle Jahr 1866. Das Eigenthum des Königs Georg ward mit Beschlag belegt. Nach dem bekannten Vertrage wurde es für kurze Zeit, bis zur bald darauf folgenden Sequestration, wieder freigegeben und in dieser kurzen Zwischenzeit der Reliquienschatz nebst der königlichen Münzsammlung und der bis dahin in den Gewölben des Residenzschlosses verborgenen großartigen Silberkammer, deren Werth aus mehrere Millionen geschätzt wird, auf Befehl des Königs Georg mittels Extrazuges nach Wien befördert.

So gingen diese Kostbarkeiten, der Stolz Hannovers, einstweilen, und wer kann sagen: auf wie lange? zum größten Leidwesen aller Hannoveraner in’s Ausland. Sie stehen jetzt im Wiener Museum für Kunst und Industrie – für Hannover nicht einmal der einzige Verlust. Die übrigen Sammlungen des Königs Georg befinden sich in dem nahe gelegenen Herrenhausen, der Benutzung und dem Genusse, wenigstens was die Gemälde und Sculpturen betrifft, so gut wie völlig entzogen. –

Betrachten wir nun die Geräthe, Gefäße und Reliquien selbst, so umfassen dieselben etwa einhundertundvierzig Nummern. Die Reliquien, deren Alter und Echtheit lassen wir unberücksichtigt, die Gefäße dagegen, abgesehen von den Stücken byzantinischen Ursprungs, datiren der Zeit nach etwa vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert, kennzeichnen also die verschiedenen Entwickelungsphasen des romanischen und gothischen Stils bis auf des letzteren Entartung. Wir wollen sie so viel wie möglich zunächst nach ihrer Form zusammenstellen.

Zuerst erwähnen wir eine Folge von Kreuzen und Crucifixen, elf an der Zahl. An die oberste Stelle setzen wir ein Werk byzantinischer Kunst, ein Reliquienkreuz von massivem Gold, reich ausgeführt in durchbrochener Arbeit, mit Filigran, Sapphiren, Granaten, Topasen und anderen Edelsteinen, sowie mit einer großen Zahl Perlen besetzt. Der Gekreuzigte, auch die Brustbilder der Mutter Maria und des Evangelisten Johannes zu dessen Seiten glänzen in Email, dessen Feuer mit den Edelsteinen wetteifert, welchen es auch seiner Zeit nahezu gleich werth gehalten wurde. Auf der Rückseite bezeichnen vier niellirte Schrifttafeln die hier gefaßten Reliquien des heiligen Petrus, Marcus, Johannis des Täufers und Sebastian. Dieses Kunstwerk von höchstem Alter, wie schon die Figur Christi bekundet, die, bärtig, mit offenen Augen, horizontal gehaltenen Armen und nebeneinander auf das Fußbrett gestellten Beinen sowie mit dem langen Schurze, dem frühesten Typus sehr nahe kommt, ruht auf einem romanischen Säulchen von vergoldetem Silber aus ziemlich jüngerer Zeit (elftem oder schon zwölftem Jahrhundert), dessen Untersatz mit drei phantastischen Löwenköpfen und drei Engeln geschmückt ist. Crucifix und Fuß sind etwas über einen Fuß hoch.

Zwei andere Kreuze sind Weihgeschenke der Gräfin Gertrud von Braunschweig, die wir schon oben erwähnten. Auch diese sind reich mit Filigran, Sapphiren, Amethysten, Carneolen und Perlen geschmückt. Ein viertes, fast zwei Fuß hoch, stammt freilich aus bedeutend späterer Zeit (etwa Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts), zeichnet sich aber durch den verschwenderischen Besatz von Edelsteinen, Perlen und Korallen ganz besonders aus. Die Rückseite desselben enthält unter Bergkrystallen und Hornscheiben verschiedene Reliquien. Aelter ist wiederum das Kreuz, wovon wir unter Nr. 1 eine verkleinerte Abbildung geben. Das Material ist vergoldetes Kupfer; der Zeit nach könnte es noch in das elfte Jahrhundert gehören. Ein großer Krystall in der Mitte bedeckt gleichfalls verschiedene Reliquien. Die übrigen Kreuze, von geringerer (etwa drei bis acht Zoll) Höhe, entstammen dem dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert, zeigen ebenfalls zum Theil einen reichen Schmuck von Edelgestein und Email und sind meistens, wie die obigen, zur Aufbewahrung verschiedener Reliquien bestimmt.

Hieran schließt sich eine Reihe von etwa zehn kleineren tragbaren Altären verschiedener Größe, und auch darunter sind wieder Meisterwerke ersten Ranges. Als ältesten möchten wir den von der erwähnten Gräfin Gertrud gestifteten bezeichnen: auf der Oberfläche mit einer Porphyrplatte belegt, die Einfassung filigranirtes Goldblech mit der Widmungsinschaft in Uncialen. Die Vorderseite, von gleichem Metall, zeigt die Figürchen von Christus und sechs Aposteln unter romanischen Arcaden von Email; auf der Rückseite steht mit den sechs anderen Aposteln Maria; die Schmalseiten nehmen fünf Erzengel sowie ein emaillirtes Kreuz und die Figürchen des heiligen Sigismund, Constantins, der heiligen Helena und Adelheid ein. Das Altärchen, etwa einen Fuß lang und acht Zoll breit, hat den Reliquienbehälter an der mit Silberblech überzogenen Unterseite und ist an den Rändern reich mit Perlen und Steinen besetzt.

Ein zweiter Tragaltar kennzeichnet sich durch die griechischen Beischriften als byzantinisches Werk und ist daher wohl von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_283.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)