Seite:Die Gartenlaube (1869) 276.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Walde zu ergehen und seine sich überstürzenden Gedanken und Gefühle zu ordnen, bevor er Mariens Haus wieder betrat, wohin sein Diener beauftragt war, das eigens bestellte Mittagsmahl zu bringen. Er hatte bis dahin noch nicht recht darüber nachgedacht, was aus seinem Verhältniß zu Marie eigentlich werden sollte, und fühlte sich jetzt wie durch eine höhere Macht getrieben, darüber mit sich in’s Reine zu kommen. Als er den Weg nach Mariens Haus antrat, war sein Entschluß gefaßt, und mit aufgeräumtem Gemüthe setzte er sich an die kleine, aber wohlversorgte Tafel, um seine gastlichen Pflichten zu üben. Es freute ihn herzlich, zu erfahren, daß auch auf Marie und ihre Mutter der Kirchengesang einen tiefen nachhaltigen Eindruck gemacht hatte. Marie war besonders von der alten Kirchenmelodie, harmonisirt von Prätorius, ergriffen worden: „Thu’ recht, nichts scheu, auf Gott vertrau, er wird Dein’ Sach’ wohl wenden, er hat’s in Händen“, während die Mutter mehr Wohlgefallen an den mehr künstlich von David Perez componirten Bibelversen (Matth. 25, V. 6): „Um Mitternacht ward ein Geschrei, siehe: der Bräutigam kommt, geht aus, ihm entgegen“, gefunden hatte.

Alexander glaubte darin eine gute Vorbedeutung für das, was er auf dem Herzen hatte, sehen zu dürfen; doch rückte er nicht gleich damit heraus, sondern erzählte erst lange von seiner Heimath, von den Gütern seiner Eltern, wo er seine Kinderjahre verlebt, von dem malerischen Moskau mit den goldenen Kuppeln und dem stattlichen Petersburg mit seinen schnurgeraden Straßen. Endlich aber drängte es ihn doch, seinem Herzen Luft zu machen, als der Alte wieder im Lehnsessel hinter dem Kachelofen sein Schlummerstündchen hielt, die Mutter in der Küche den Kaffee kochte und Alexander sich mit Maria allein im Garten befand. Sie saßen dicht beisammen auf einer Bank, von lang herabhängendem Goldregen beschattet, Hand in Hand. Es war das die größte Vertraulichkeit, die er sich bis dahin erlaubt hatte, jetzt aber konnte er sich nicht enthalten, den Arm um sie zu schlingen, sie an sich heranzuziehen, einen Kuß auf ihre Stirn zu drücken und sie dann strahlenden Auges zu fragen: „Marie, willst Du mein Weib werden?“

Sie hatte sich Alles gefallen lassen, ohne zu widerstreben und ohne entgegen zu kommen, bei dieser Frage wand sie sich aber unwillkürlich von ihm los und war wie aus den Wolken gefallen.

„Gnädiger Herr,“ sagte sie, „das habe ich nicht um Sie verdient!“

In diesem Augenblick kam die Mutter mit dem Kaffee in den Garten. Alexander ließ sich durch sie nicht stören, er suchte die sich sträubende Marie wieder an sich heranzuziehen und sagte mit dem sanftesten Ausdruck:

„Du glaubst doch nicht, Marie, daß ich Dich habe verletzen wollen? Wie kann ich Dir einen größern Beweis meiner Liebe, meines Vertrauens und meiner Achtung geben, als indem ich Dich zu meiner Frau mache?“

„Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein, gnädiger Herr, zu einer großen Dame taugt ein so einfaches Landmädchen, wie ich bin, nicht. Ich habe Ihre Freundlichkeit gegen mich nicht für Liebe genommen, sondern für freundliches Wohlwollen, und ich bin Ihnen herzlich entgegengekommen, weil Sie so lieb und gut sind und ich Sie gern habe; aber der Gedanke, Ihre Frau zu werden, wäre mir nicht im Traume gekommen. Die Kluft zwischen uns ist zu groß.“

„Da hat Marie Recht,“ fiel die Mutter ein, welche das Letzte gehört und das Vorhergehende schnell errathen hatte, „eine so ungleiche Ehe thut nimmer gut. Keine Ehe thut gut, zu welcher die Eltern nicht ihren Segen geben, und das würden Ihre Eltern nicht thun, wenn Sie Marie heirathen wollten.“

Sie sagte das mit einer Sicherheit, als ob sie dergleichen Fälle schon öfter zu behandeln gehabt hätte.

„Sehen Sie, gnädiger Herr,“ fuhr sie fort, „ich bin in meiner Jugend auch ein ganz hübsches Mädchen gewesen, wie ich ohne Ruhmredigkeit sagen darf, und habe mit den Männern allerlei Erfahrungen gemacht, ohne vom rechten Weg abgeleitet worden zu sein. Ich hätte auch leicht über meinen Stand hinaus heirathen können, und habe es nicht gethan, weil ich ein sicheres Glück, nach mir anerzogenen, klaren Begriffen, einem unsicheren Glücke, nach mir fremden Begriffen, vorzog. Vielleicht mag es auch dazu beigewirkt haben, daß ich in meiner Jugend bei hohen Herrschaften gedient, in deren Hause das Glück nicht wohnte, obgleich sie an allen den Gütern Ueberfluß hatten, in welche man das Glück zu setzen pflegt. Meine gute Mutter pflegte zu sagen: Es giebt kein besseres Glück auf Erden als Gesundheit, Gottvertrauen, häuslichen Frieden und das Bewußtsein nach Kräften zu arbeiten und seine Pflicht zu thun.“

Der junge Fürst war nicht wenig überrascht, eine so kühle Aufnahme seines Antrages zu finden, durch welche er geglaubt hatte, eine große Freude im Hause hervorzurufen; doch gab er sich nicht so leicht gefangen.

„Ich habe gedacht,“ sagte er, „daß Marie mich ein Bischen lieb hätte; ihre Freundlichkeit berechtigte mich, dies zu glauben; allein ich sehe nun, daß ich mich geirrt habe.“

Hiergegen protestirte Marie und ihre Mutter auf das Eindringlichste; indeß der junge Fürst fuhr kopfschüttelnd fort: „Wenn Marie mich lieb hätte, so würde die Freude, mir vor Gott und den Menschen angehören zu können, alle Bedenken leicht überwinden. Auch meinen Wünschen standen solche Bedenken entgegen –“

„Die noch nicht überwunden sind, gnädiger Herr,“ fiel ihm die Alte in’s Wort. „Wenn Sie auch Ihren Entschluß schnell genug gefaßt haben und (davon bin ich überzeugt) es vollkommen ehrlich mit Marie meinen: die Zustimmung Ihrer Eltern wird nicht so leicht zu gewinnen sein. Sie haben uns viel von Ihrer lieben Mutter erzählt, an der Ihr Herz besonders zu hängen scheint, von Ihrem Vater haben Sie fast gar nicht gesprochen, ich mochte nicht fragen warum; es wird wohl seine guten Gründe haben; aber wenn ich auch von Ihrem Vater absehe, würde es Ihre Mutter nicht unglücklich machen, wenn ihr einziger Sohn ihr eine Frau zuführte, welche nichts von dem hat, wonach man in Ihren Kreisen den Werth der Frauen zu schätzen pflegt?“

„Meine Mutter würde bald das unverdorbene Herz Mariens schätzen lernen und dann alles Uebrige als Nebensache betrachten. Auch habe ich gar nicht die Absicht, mit Marie in der großen Welt zu leben; ich werde ihr eine Thätigkeit anweisen, welche ganz ihren Gewohnheiten und Neigungen entspricht. Wir werden entweder auf einem meiner Güter im Innern Rußlands leben, oder ich werde, wenn es ihr oder Euch lieber ist, hier in der Nähe ein Gut kaufen, das sie mir helfen soll zu bewirtschaften, denn ich habe mich von jeher mehr zum Land- als zum Stadtleben hingezogen gefühlt und jetzt hier bei Euch, bei dem bescheidensten Tagewerk kennen gelernt, welcher Segen in geregelter Arbeit liegt. Darum, wenn Marie sich als meine Frau glücklich fühlen kann, so fehlt unserem Glücke nichts als Eure Einwilligung –“

„Und die Einwilligung Ihrer Eltern,“ fügte die Mutter hinzu. „Bis Sie uns diese bringen, lassen Sie uns nicht weiter von der Sache reden, damit nicht Hoffnungen genährt werden, die doch nicht erfüllt werden können.“

„Sie werden erfüllt!“ rief Alexander, „dafür laßt mich sorgen.“

„Sobald Sie die Einwilligung Ihrer Eltern haben, soll Ihnen die meinige nicht fehlen,“ sagte die Mutter in ebenso entschiedenem Tone.

(Schluß folgt.)




Der Wassereinbruch in Wieliczka.

Von Dr. W. Hamm.

„Das Salzwerk Wieliczka ist verloren! Ein gewaltiger Einbruch unterirdischer Wasserströme füllt mit reißender Geschwindigkeit seine Räume! Die Stadt und ihre Bewohner sind in höchster Gefahr!“ – Diese Schreckenskunde durchlief in den letzten Tagen des November 1868 die Zeitungen und fand überall bedauernden, auch zürnenden Nachhall. Denn wer kennt nicht Wieliczka? In der Schule schon ist uns mit vielen fabelhaften Ausschmückungen erzählt worden, daß es das größte und merkwürdigste Salzbergwerk der ganzen Welt sei, Tausende haben es befahren und bewundert. Sein Alter reicht bis in graue Vorzeit.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_276.jpg&oldid=- (Version vom 15.3.2020)