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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

die Emporstrebenden, Neulinge auf der dornenvollen Bahn, die, von jugendlichen Träumen und Hoffnungen gewiegt, weder um das Gestern noch um das Morgen sich kümmerten: Moritz Hartmann, Joseph Rank, Isidor Heller, Johannes Nordmann, der Verfasser dieser Skizzen, und noch viele Andere. Hier ging es lebendiger und geräuschvoller zu, als in der vornehmen Gesellschaft bei Neuner. Schnurren und Witze aller Art wurden zum Besten gegeben. Man lachte, man besprach mit Eifer die Vorgänge des Tages, von denen man durch die Augsburger Allgemeine Zeitung in Kenntniß gesetzt wurde, man hörte, man pries; die verschiedenen Meinungen und Ansichten geriethen oft heftig an einander, ohne daß jedoch durch den Streit die Annehmlichkeit des persönlichen Verkehrs beeinträchtigt worden wäre.

Zu diesem letztern Kreise zählte auch der gegenwärtige österreichische Minister Johann Nepomuk Berger, der, obgleich mit seinen juristischen Studien und Arbeiten beschäftigt, unschuldige Schriftstellerei in Versen und in Prosa trieb, wie sie unter der mütterlichen Fürsorge der österreichischen Censur möglich war. Kleine und größere Aufsätze, Sinngedichte und sogar lyrische Ergüsse für Saphir’s Humoristen und für Frankl’s Sonntagsblätter verfaßte der nachmalige Redner, dessen Hauptvorzug in der schneidenden Schärfe seiner Dialektik, in der ätzenden Kraft seiner Witze und Sarkasmen besteht. Ja, bissig und sarkastisch ist Dr. Berger von jeher gewesen bis zur Härte, bis zur Schroffheit, und der arme Isidor Heller mit seinen Citaten und Denksprüchen hatte damals bei Geringer von dem kaustischen Cameraden gerade so viel zu leiden, wie später Herr von Schmerling, der Minister ohne Thatkraft, ohne einen politischen Gedanken, der, zum Aufbau eines freien Staates berufen, nichts grimmiger haßte und verfolgte, als den unabhängigen Sinn, die männliche Würde, die Selbstständigkeit des Bürgers. Ich erinnere mich, daß Berger einmal dem bestürzten Isidor, der die üble Gewohnheit hatte, bei jeder Gelegenheit Stellen aus Börne’s Schriften anzuführen, halb zornig und halb höhnisch die Worte zurief: „So lange werden Sie Börne citiren, bis Sie werden sein selber börnirt“, und schallendes Gelächter brach in der Kaffeehausgesellschaft aus, wie nachmals bei ähnlichen Ausfällen im Reichsrath. Es ist viel Galle in Berger’s Humor, die frühen Kämpfe mit den Erdengeschicken, die Sorge und Arbeit des Knaben um das tägliche Brod haben eine Bitterkeit erzeugt, welche alle Befriedigungen durch die Gunst des Schicksals überdauert.

Der Sohn eines Liechtenstein’schen Beamten in Nieder-Oesterreich, der frühzeitig starb und seine Familie in großer Bedrängniß zurückließ, verlebte Berger eine sehr traurige und entbehrungsreiche Jugend. Nachdem er in Folge seines Fleißes und seiner Fortschritte eine Hauslehrerstelle in Olmütz bekleidet, die ihm indeß sehr wenig zusagte, gelang es ihm endlich zur Fortsetzung seiner Studien nach Wien gehen zu können. Obgleich Neigung und Talent ihn auf das Gebiet der mathematischen Wissenschaften wiesen, drängten Nützlichkeitsrücksichten und praktische Gründe schwerwiegender Art ihn in die juridische Laufbahn. Der bekannte Astronom Littrow gab durch eine Bemerkung den Ausschlag, die er dem Verlangen des jungen Mathematikers nach einer Verwendung entgegensetzte. „Es giebt nur wenige Sternwarten und sehr viele Gerichtssäle in der Welt,“ lautete die wohlmeinende Ermahnung, und Berger ließ sich’s gesagt sein. Zu seinem Vortheil, wenn auch mit Widerstreben, nahm er Dienste bei der verrufenen Frau mit den verbundenen Augen, mit der Wage in der Hand. Und die Patronin hat sich seiner gnädig angenommen, ihn mit Ruhm und Gütern gesegnet und zuletzt zur Stellung eines Ministers emporgetragen. Was kann der Ehrgeiz des Herrn Berger Höheres suchen? Doch halt! einen Orden hat er auch, der Demokrat einen Orden, der ihm das Recht auf den Adelstand giebt. Es kostet ihn ein Wort, und er kann rufen, wie der Bankier in der Komödie: „Ich bin geadelt!“

Von den literarischen Anfängen des Ministers ohne Portefeuille läßt sich nicht viel Schmeichelhaftes sagen. Die Aufsätze, welche vor der Märzbewegung mit dem angenommenen Namen „Sternau“ unterzeichnet waren, lassen auch nicht einen Zug des Parlaments- und Gerichtsredners von Bedeutung errathen. Kindisches Geschwätz, ohne Stil, ohne Geschmack, ohne Klarheit – Floskeln, die anmaßend auftreten und ihre Sinnlosigkeit hinter dem prunkenden Getöne zu verbergen suchen – Anhäufung von Redefiguren, die man in Oesterreich von jeher als die Grundbedingung einer schönen Schreibart angesehen und von der sich auch jetzt noch nicht alle hiesigen Schriftsteller befreit haben. Um die schöngeistige Fähigkeit unseres Ministers zu charakterisiren, wollen wir einen einzigen Satz aus dem Artikel „Wahrheit, Schönheit, Freiheit“ anführen, den Sedlnitzky’s Polizei gestrichen hatte und der trotzig mit dem Zeugniß seines Märtyrerthums der Oeffentlichkeit sich vorstellte, als die alte Regierungsmaschine unter dem Fußtritt der akademischen Legion zerbrach.

„Wahrheit, Schönheit, Freiheit,“ schrieb Berger, „die göttlichen Gaben der Menschheit, das Angebinde ihrer rosigen Wiege, sie gingen unter“ etc. etc. Dergleichen findet sich fast in jeder Zeile der wunderlichen Auslassung. Da es nicht vorkommt, daß aus einem Flaum über Nacht ein Bart wird, so leuchtet ein, daß Berger seine Phrasenseligkeit in den neuen Zeitabschnitt mit hinüber nahm. Alles, was er in den ersten Tagen nach dem Ausbruch der Bewegung schrieb, wie: Die zehn Gebote des constitutionellen Staatsbürgers, die Zeitungsartikel und Flugblätter, tragen unverkennbar das Gepräge der Unmündigkeit an sich, in welcher eine väterliche Regierung den beschränkten Unterthanenverstand zu erhalten gewußt hatte. Ein umnachtetes Auge muß sich an’s Licht gewöhnen, um zu sehen; eine gebundene Kraft muß sich an die Freiheit gewöhnen, um zu wirken.

Berger ist ein schlagender Beweis, wie viel der systematisch durchgeführte Geistesdruck an einem Menschen niederhält und zerstört und welchen Vandalismus eine Metternich’sche Regierungsweise im geistigen Leben einer Nation verübt. Wenige Monate der freien Bewegung haben in Berger Anlagen und Fähigkeiten geweckt, die sicher fortgeschlummert hätten in der Spitalluft, wie sie in Oesterreich vor 1848 wehte. So kam es, daß er, von Schönberg zum Reichstagsabgeordneten gewählt, in der Paulskirche zu Frankfurt am Main seine Mann stellte und sich bei allen Parteien eine gewisse Geltung erwarb. Laube, der in seinem Buche über „das erste deutsche Parlament“ Alle, die zur Linken gehören, ohne Unterschied des Alters, der Abstammung, der Aufrichtigkeit, mit seinem kritischen Krummsäbel niedermacht oder wenigstes bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, vergleicht Berger, „den magern jungen Oesterreicher, den cynischen trockenen Logiker, den logischen Fanatiker“, mit Saint Just. Nun, ich gestehe, daß der Widersacher dem Opfer zu viel Ehre erweist. Die unbeugsame Mannheit des Franzosen überragt um viele, viele Kopflängen die des österreichischen Advocaten. Berger hätte schwerlich, wie Saint Just dem Nationalheer bei Charleroi und Fleurus, die Fahnen zum Siege vorangetragen. Und Saint Just hätte sich schwerlich zum Minister ohne Portefeuille von Herrn von Beust neben Herrn von Taaffe ernennen lassen und würde schwerlich, wenn er den 9. Thermidor, den 4. Prairial und andere Unglückstage der Freiheit überlebt hätte, von Napoleon oder Ludwig dem Achtzehnten einen Orden angeommen haben. Dies im Vorbeigehen zur Herstellung der Richtigkeit in einem unglücklichen Vergleich.

Dem Club angehörend, der im Donnersberg sich versammelte, stimmte und sprach Berger für durchgreifende Maßregeln, vor welchen die gemäßigte Mehrheit der deutschen Nationalversammlung wie vor dem Entsetzlichsten zurückschreckte. Zu den Entschiedensten und Radicalsten stand Berger in dem Streite, ob man den deutschen Staat von Grund auf neu bauen, oder ob man blos das alte Gemäuer übertünchen, schwarz-roth-golden aufputzen solle. Nachdem aber die Unentschlossenheit gesiegt hatte und als das baufällige Werk des Frankfurter Parlaments den Einsturz drohte, wurde Berger, wie so viele Andere seiner Meinung, an den Scheideweg gestellt, wo er zu wählen hatte zwischen der kühnen That und dem eigenen Wohlergehen und der blasse Hercules von Proßnitz schlug den sicheren Pfad ein, der zu einer ergiebigen Advocatur, zu Ansehen und Einfluß, und endlich empor zur Höhe führte, von wo man mit olympischem Behagen herab auf das Leiden und Ringen der armen Menschheit blicken kann. O, der Glückliche! Berger war nicht von den Hundert Einer, die bei den Thermopylen zu Stuttgart den äußersten, den verzweifelten Kampf für die Freiheit gekämpft. Man hat sogar behaupten wollen, er habe nachmals in nicht zu billigender Weise um Verzeihung seiner früher in Wien und Frankfurt a. M. begangenen Sünden gebeten; doch ist diese Behauptung völlig unerwiesen.

Am meisten ausgezeichnet hat sich Berger als Rechtsanwalt beim „mündlichen Verfahren“, wie man dies hier zu Lande

nennt. Im Gerichtssaal war seine Beredsamkeit an ihrem Platz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_265.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)