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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Wider alle Gesetze der Gerechtigkeit und Humanität lautete der Ausspruch der Geschworenen mit einer Stimme Majorität auf schuldig bezüglich der Bürger Couet, Buiffot, Duvivier, Jacquet, Poussot Quenel, Nonneville, Montcourt und de la Salle; die Bürger Johanneton, Grenon, Thomain und Gomboult wurden freigesprochen.

Bei der Verlesung des Verdicts warfen sich die Verurtheilten auf die Kniee und hoben die Hände gen Himmel, nochmals laut ihre Unschuld betheuernd. Diese herzzerreißende Scene verfehlte nicht, eine große Wirkung auf das Publicum zu äußern, der Schmerz malte sich auf allen Gesichtern und selbst ein Theil der Richter, die nun in Thätigkeit zu treten hatten, blieb von der allgemeinen Bewegung nicht frei.

Als zwei Jahre später das Personal des Revolutionstribunals selbst vor den Schranken stand und es galt, gegen Fouquier-Tinville, Foucault und Genossen Beweise ihrer barbarischen Handlungsweise vorzubringen, fand auch die Geschichte der Verurtheilung der neun Einwohner von Orleans in der Anklageacte ihren Platz. Montané, als Zeuge in diesem Processe, enthüllt uns dabei, was nach der oben erzählten rührenden Scene im Sessionszimmer der Richter vorging. Er sagt darüber:

„Wir zogen uns in’s Berathungszimmer der Richter zurück. Wir schmolzen in Thränen und wußten nicht, welcher Weg hier einzuschlagen sei. ‚Sollen wir‘ – sagten wir untereinander – ‚in den Convent gehen und vor seinen Augen das schreckliche Gemälde entrollen, dessen Zeugen wir so eben gewesen sind?‘ Masson, ein Hilfsrichter, sagte: ‚Deportiren wir sie!‘ (Bis zum 22. Prairial II gab es noch Deportationsstrafe, von da ab nur Todesstrafe.) Foucault sprach: ‚Sie haben einen Mordversuch gemacht, sie sind des Todes schuldig!‘ Wir gingen in den Sitzungssaal zurück, die Zuhörer fanden wir gleich uns in Thränen. Ich stellte dem Publicum vor, daß die Erklärung der Jury bejahend gewesen sei und daß wir nicht anders gekonnt hätten, als die Todesstrafe auszusprechen. So starben die Opfer Léonard Bourdon’s, die in seinen Augen sehr schuldig sein mußten, weil sie sehr reich waren.“ Soweit Montané.

Das Urtheil lautete auf Todesstrafe und zwar sollten sie dieselbe mit dem rothen Hemd der Mörder bekleidet erdulden. Die Execution wurde auf den folgenden Tag festgesetzt. Am Morgen desselben thaten die Verwandten der Verurtheilten einen letzten Schritt, um das Fürchterliche abzuwenden. Durch den derzeitigen Präsidenten Jean-Bon St. André ließen sie den Convent bitten, eine Petition von ihnen entgegenzunehmen. Nachdem man solches zugestanden, erschien eine Anzahl weinender, tiefgebeugter Frauen, von einem Manne begleitet, vor „den Schranken der Bittsteller“. Die Rufe: „Gnade, Gnade!“ tönten durch den Saal, und der Begleiter der Frauen, der den Sprecher machte, wandte sich mit folgenden Worten an die Versammlung:

„Man führt unsere Väter, Brüder und Kinder zum Schaffot. Einer der Verurtheilten ist Vater von neunzehn Kindern, von denen vier bei den Armeen sind. Léonard Bourdon selbst“ – sagte er, sich gegen denselben hinwendend – „wird edelmüthig genug sein und sich mit uns vereinigen, um die Unschuld unserer unglücklichen Verwandten darzuthun.“

Da indessen Léonard Bourdon die armen Bittsteller keiner Antwort würdigte und die Girondisten, die einzigen, welche vielleicht für die Unglücklichen in die Schranken getreten wären, sich entweder auf der Flucht oder im Gefängniß befanden, so trug man auf „Tagesordnung“ an, während die letzten Rufe um Gnade ungehört verhallten. Als das Wort „Uebergang zur Tagesordnung“ zu den Ohren der Bittsteller drang, stürzten sie zur Erde nieder und stammelten unverständliche Worte (Moniteur 15. Juli 1793!). Der oben erwähnte Sprecher bat den Convent, sich dann wenigstens für seinen Vetter, einen ehrwürdigen Familienvater, opfern zu dürfen.

Ein Conventsmitglied – der Moniteur nennt seinen Namen nicht – machte der peinlichen Scene mit folgenden Worten ein Ende: „Wir dürfen nicht vergessen, was wir der Volksvertretung und der Gerechtigkeit schuldig sind, beide gleich stark verletzt in der Person eines unserer Mitglieder, welches das erhabene Amt eines Volksvertreters ausübte. Ich trage nochmals auf ‚Tagesordnung‘ an.“

Der Präsident ließ die Frauen und ihren Begleiter durch die Saaldiener hinausführen.

Spät am Nachmittag wurde das Urtheil an den mit rothen Hemden angetanen neun Opfern vollstreckt. Kaum hatte sich die Menge verlaufen, die solchem Schauspiele gern beizuwohnen pflegte, als Paris durch die Nachricht eines neuen, aber diesmal tragischen Mordanfalls auf einen Volksrepräsentanten in Aufregung versetzt wurde. Es war ja der 13. Juli 1793, an welchem Tage, Abends siebenundeinhalb Uhr, Charlotte Corday den „Volksfreund“ Marat mittels eines gutgeführten Messerstichs vom Leben zum Tode beförderte.

Léonard Bourdon hatte recht prophezeit: er verlor seinen Namen nicht, ja, er bekam seit der Zeit einen neuen, indem er wegen seiner Grausamkeit „Léopard Bourdon“ oder gewöhnlich „der Leopard von Orleans“ genannt wurde.

Im Convent vertrat er förderhin die exaltirtesten Ideen, ohne eigentlich zu den Leitern der Partei zu gehören. Bis kurz vor dem 9. Thermidor Robespierre blind ergeben, stellte er sich nur deshalb auf die Seite der Gegenpartei und entwickelte beim Sturz des „Unbestechlichen“ eine eines Feldherrn würdige Energie, weil er in Erfahrung gebracht hatte, daß er von Jenem mit der Bezeichnung „verachteter Mensch von unanständigen Sitten und rohem Betragen“ auf die Proscriptionsliste gesetzt worden sei. Daß die Sieger vom 9. Thermidor gezwungen wurden, in mildere Bahnen einzulenken, betrübte unseren Schreckensmann sehr und ließ ihn mehrfach an Versuchen theilnehmen, die Verfassung von 1793 wiederherzustellen, was zu einem Deportationsdecret nach Cayenne gegen ihn Veranlassung gab, dem er nur durch die Amnestie vom 4. Brumaire III entging.

Später kam „der Leopard“ in den Rath der Fünfhundert, verlor jedoch nun, als die „bezahlten Schnurrbärte der Schlachtfelder“, wie Schlosser in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts sagt, die Geschicke Frankreichs entschieden, viel von seiner alten Wildheit, ließ sich sogar von den Directoren zu wenig ehrenvollen Spionsdiensten gegen die Emigranten in Hamburg gebrauchen. Unter Napoleon wurde er politisch völlig bedeutungslos und übernahm sein Erziehungsinstitut wieder. Hierbei führte er ein so stilles Leben, daß ihn einige seiner Biographen schon vor 1805 sterben lassen. Dem war aber nicht so.

Nach der Uebergabe von Breslau an die Franzosen – den 7. Januar 1807 – wurde daselbst ein französisches Lazareth errichtet, und eins der ersten Opfer, welche das damals herrschende Nervenfieber forderte, war ein Unterbeamter desselben. Die französische Verlustliste nennt uns seinen Namen: Léonard Bourdon, Lazarethbeamter. Dieser Posten war die einzige Gunstbezeigung, die er vom allgewaltigen Corsen hatte erlangen können und die ihm dieser gewiß nicht ohne einen Anflug von Ironie verliehen hatte.

Ob man seiner letzten Ruhestätte auf einem der Breslauer Kirchhöfe dieselbe Aufmerksamkeit erwiesen, wie der seines gleichfalls in deutscher Erde (in Magdeburg) ruhenden alten Conventscollegen Carnot, weiß ich nicht. Höchst wahrscheinlich kennt Niemand unter den „Breslauer Franzosengräbern“ dasjenige, welches die sterblichen Reste des blutdürstigen Volkstribunen birgt.




Oesterreichische Berühmtheiten.
Von Sigmund Kolisch.
3.0 Ein Minister ohne Portefeuille.

Bevor der Windstoß von 1848 die Verhältnisse bis zur Unkenntlichkeit durch einander geschüttelt, gab es zwei literarische Kaffeehäuser in Wien, das eine bei „Renner“ in der „Seilergasse“, das andere bei „Geringer“ auf dem „Bauernmarkt“. Dort kamen die gemachten Dichter und Schriftsteller zusammen. Lenau und Wittauer, der Redacteur der „Wiener Zeitschrift“, spielten Billard, Bauernfeld und Castelli spielten Karten; noch Andere rauchten, plauderten und tranken Kaffee. Hier versammelten sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_264.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)