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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

jener Gegend so reichlich würzen. Nur ein einziges Denkmal ragt unter den niedrigen, gleichförmigen Grabsteinen hervor, die mit unlesbarer hebräischer Schrift versehen sind. Dasselbe besteht aus einem mächtigen Felsblock, welcher mit einem Helm gekrönt und von einem Kriegermantel zum Theil eingehüllt wird. Hier ruht der einzige jüdische Officier, welcher in der Schlacht bei Kissingen gefallen ist und auch im Tode den Gebräuchen seiner Kirche treu blieb, so daß ihm hier eine von seinen Helden-Cameraden weit entfernte einsame Ruhestätte bereitet wurde. Folgende deutsche Inschrift bietet einen beredten Commentar zu den traurigen Ereignissen jenes Tages und erfüllt uns mit traurigen Gedanken, so daß wir still und nachdenkend diese Stätte des Friedens verlassen, von welcher sich uns noch einmal ein überraschend schöner Anblick auf die Stadt Kissingen selbst und das ganze Schlachtfeld vom 10. Juli 1866 darbietet:

„Jakob Michälis, Lieutenant im fünfzehnten und fünfundfünfzigsten preußischen Infanterie-Regiment, geboren den 13. Februar 1842 in Niehein in Westphalen, kämpfte mit Auszeichnung im Schleswig-Holsteinischen Kriege vor Düppel und Alsen. Er wurde am 10. Juli 1866 tödtlich verwundet, als er nach Einnahme der Stadt Kissingen edelmüthig die Lazarethe vor Feindes und Freundes Wuth schützte. Ehre seinem Andenken! Friede seiner Asche!“

St.     




Der Leopard von Orleans.
Von L. Lungershausen.

Bekanntlich machte die Jacobinerpartei, im Verein mit den sogenannten Orleanisten am 10. März 1793 einen Versuch, sich der verhaßten Girondisten durch Meuchelmord zu entledigen. Dieses Attentat auf die Volksvertretung scheiterte an der Festigkeit des Kriegsministers Beurnonville und einem inzwischen hereingebrochenen Platzregen, und da vorauszusetzen war, daß das nichtswürdige Treiben der Septembermörder, Fournier und Genossen, namentlich in den größeren, durch gemäßigte Magistrate verwalteten Provinzialstädten einen gerechtem Unwillen hervorrufen würde, so beeilte sich die Bergpartei des Convents, dem wachsenden Einfluß der Girondisten daselbst entgegenzuarbeiten. Hauptsächlich dienten ihren Zwecken die meist aus ihrer Mitte gewählten Conventscommissare, welche man in die entfernten Provinzen sandte, um dort die Ausführung gegebener Gesetze zu überwachen. Während sich die Girondisten mit ihren Triumphen auf der Tribüne begnügten und in argloser Verblendung fast immer unterließen, durch Männer ihrer Partei im übrigen Frankreich sich mehr und mehr Anhänger zu erwerben, entwickelte jene eine rastlose Thätigkeit, den jacobinischen Eifer wachzurufen und „den Schrecken an die Tagesordnung“ zu bringen.

Mit solcher Sendung nach dem Jura wurden Mitte März auch die beiden Conventsdeputirten Prost und Léonard Bourdon betraut, die – am 15. März – auf der Durchreise in Orleans eintrafen.

Léonard Bourdon, aus Orleans gebürtig und vordem Leiter eines Knabeninstituts, begann, mit Leib und Seele Jacobiner, seine politische Laufbahn als Municipalofficier von Paris, in welcher Eigenschaft er durch stille Theilnahme und Begünstigung der Versailler Mordscene sich mit Schmach bedeckte, und trat, vom Loiret gewählt, in den Convent, wo er auf der „Spitze des Berges“ seinen Platz nahm.

Die Ankunft dieses bekannten Conventsmitgliedes in seiner Vaterstadt wurde natürlich von den dortigen Anhängern seiner Partei mit Freude begrüßt, und am anderen Tage vereinigte ein Mittagsessen alle tonangebenden Mitglieder der Jacobinergesellschaft von Orleans. Der reichliche Genuß der feinsten Weine konnte nicht verfehlen, bald alle Gäste in erregte Stimmung zu versetzen, die noch erhöht wurde durch stürmische Toaste auf die einige untheilbare Republik und den Convent. Nach beendigtem Mahle begab sich die mehr oder weniger berauschte Tischgesellschaft in ein Kaffeehaus, das den gewöhnlichen Sammelplatz der reichen, girondistisch gesinnten Bürgerschaft bildete. Schon hier entspann sich ein Streit, der zwar beigelegt wurde, aber doch auf die folgenden Ereignisse nicht ohne Einfluß blieb. Nachdem Bourdon von da aus noch der „Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit“ einen Besuch gemacht und eine Rede, gewürzt mit Ausfällen gegen die politische Lauheit der „reichen Bürger“, gehalten hatte, führte ihn der Heimweg spät am Abend an der im Stadthause befindlichen Hauptwache der Nationalgarde vorüber, die gerade von einer Anzahl „reicher Bürger“ besetzt war.

Einer seiner Begleiter, die aus den exaltirtesten Jacobinern bestanden, beleidigte die Schildwache, woraus durch das Herzueilen der übrigen Wachtmannschaft ein Tumult entstand, in dessen Wirren der Volksrepräsentant sieben Bajonnetstiche erhielt, von denen nur einer ihm eine leichte Wunde am Arme verursachte.

Ein zu Rathe gezogener Chirurg erklärte die Verletzung für ungefährlich und legte einen Verband an, bei welcher Manipulation der Verwundete in die Worte ausbrach: „Du siehst diesen kleinen Aderlaß, er kann nur durch einen großen geheilt werden; ich werde fünfundzwanzig orleanische Köpfe auf’s Schaffot rollen lassen oder ich will meinen Namen verlieren, so wahr ich Léonard Bourdon heiße.“ Und was er da im heftigen Zorn ausgesprochen, hat er annähernd gehalten!

Während die über solchen Vorfall höchst erschrockenen Behörden von Orleans sofort – am 17. März – die Untersuchung einleiteten, erließ Bourdon ein Sendschreiben an den Convent, aus welchem das Bemühen ersichtlich wird, der an sich unbedeutenden Sache ein möglichst großes Gewicht beizulegen.

Es heißt darin: „Neue Pâris“ – ein Mann Namens Pâris hatte kurz vorher den Conventsdeputirten Lepelletier ermordet – „dreißig an der Zahl, mit Bajonneten und Pistolen bewaffnet, haben mich in der Halle des Stadthauses mit dem Rufe ‚folge Lepelletier nach!‘ verwundet. Keine meiner Wunden ist gefährlich, mein bis an’s Kinn geknöpfter Ueberrock und mein Hut, den ich in die Stirn gedrückt hatte, verhinderten die Bajonnete tief einzudringen … Es ist süß, Märtyrer der Freiheit zu sein, ich bin stolz auf die Wunden, die ich in ihrem Dienste empfangen habe.“

Der Convent, der diese einem seiner Mitglieder zugefügte Beleidigung als gegen sich selbst gerichtet betrachtete, ergriff auf Andrängen der Bergpartei sofort die strengsten Maßregeln gegen die anscheinend aufrührerische Stadt. Die der gemäßigten Partei angehörenden Behörden wurden ihrer Pflicht enthoben, Bürgermeister und Staatsanwalt sogar in Haft gesetzt, die Nationalgarde, welche am Tage des Attentats die Wache hatte, entwaffnet, während der Justizminister den Befehl erhielt, die Schuldigen aufzusuchen, um sie dem Revolutionstribunal zu überliefern. Die ganze Stadt wurde in Belagerungszustand erklärt und einem Jacobinercomité die Verwaltung derselben übertragen. Sechsundzwanzig Einwohner Orleans’, sämmtlich Tags vorher als Nationalgarden im Dienst, wurden als des Attentats verdächtig bezeichnet, doch fanden dreizehn derselben vorher Gelegenheit, sich noch rechtzeitig durch die Flucht dem Arme der Gerechtigkeit zu entziehen.

Am 26. Juni desselben Jahres erschienen die dreizehn Angeklagten vor dem Revolutionstribunal. Präsident desselben war Montané, als Richter fungirten Roussillon und Foucault nebst zwei Beisitzern, Staatsanwalt war Fouquier–Tinville. Die Anklage, wonach Orleans schon seit Mitte des vorigen Jahres der Heerd einer gegen die Sicherheit der Republik gerichteten Verschwörung sein sollte, fußt im Uebrigen ganz auf den übertriebenen Angaben Bourdon’s. Da man, so lange Montané das Gerichtsverfahren leitete, noch auf Aufrechthaltung der gesetzlichen Form bedacht war und über Tod und Leben von fünfzig Angeklagten noch nicht in einer Stunde entschied, so nahmen die Verhandlungen über diese Sache vierzehn Sitzungen in Anspruch, wobei man nahe an zweihundert Zeugen abhörte. Durch die Aussagen der letzteren stellte sich ziemlich klar heraus, daß gerade der Theil der Beschuldigten, welcher vor dem Revolutionstribunal erschienen war, der am meisten schuldlose sei. Einige davon behaupteten sogar, weder am verhängnißvollen Abende, noch früher jemals Bourdon gesehen zu haben, ohne daß es den Richtern möglich war, ihnen durch Zeugen das Gegentheil zu beweisen. Trotzdem hielt Fouquier gegen Alle die Anklage aufrecht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_263.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2022)