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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Hier wurden bald alle Thüren und Fenster von den Kugeln zerbrochen und das Innere mit Kugeln bedeckt, so daß der geängstigte Mann auf allen Vieren von einem Pfeiler der Kirche zum andern kriechen mußte, um sich zu schützen. Beim endlichen Eindringen der Preußen gerieth er noch in Gefahr, zuletzt niedergehauen zu werden. An zweihundert Leichen bedeckten nach dem Gefecht den Kirchhof und dessen Umgegend, darunter verhältnißmäßig wenige Baiern, da die Preußen beim Angriffe gegen die von den Kirchhofsmauern geschützten Baiern viel mehr Leute verloren hatten als diese.

Die Mehrzahl dieser zahlreichen Leichen ist in drei große Gräber vertheilt worden. Eins derselben liegt auf freiem Felde, außerhalb des Kirchhofes, hart gegenüber der Seitenthür, durch welche sich die Reste der bairischen Besatzung gerettet haben. Es wird durch ein mit frischen Blumen besetztes Beet und durch drei einfache Holzkreuze provisorisch bezeichnet und enthält zweiundsechszig Leichen, darunter sechs Baiern mit zwei Officieren. Hier an dieser Stelle nun wird in nächster Zeit das Denkmal zu stehen kommen, welches zum Andenken an die Schlacht bei Kissingen errichtet wird. Dasselbe besteht aus einer kolossalen, in Marmor vom Bildhauer Arnold in Kissingen gearbeiteten Statue der Germania, die einen Palmzweig zur Erde senkt, dennoch aber durch den festen hoffnungsvollen Ausdruck ihres Antlitzes die Zuversicht ausdrücken soll, daß durch das vergossene Bruderblut Deutschlands Einigkeit und Größe werde begründet werden. Der Griff des Schwertes ist mit der Koppel fest umschlungen, zum Zeichen daß das Schwert in dieser Weise nicht wieder gezogen werden soll.

Ebenso wie hier bairische und preußische Krieger friedlich neben einander im Grabe ruhen, ebenso haben sich unter Leitung der Kissinger Behörden bairische und preußische Bestrebungen vereinigt, um die Kosten für dieses schöne Denkmal zu beschaffen.

Das zweite der gemeinschaftlichen Gräber befindet sich auf dem Kirchhofe selbst an der Mauer linker Hand, dicht bei der Capelle. Es führt die Inschrift: „Unser theurer Sohn August Becker, Musketier des 15. preußischen Infanterie-Regiments, 1. Bataillon, 4. Compagnie, ruht hier, mit ihm 35 Cameraden, welche am 10. Juli 1866 hier gefallen sind.“

Das dritte gemeinschaftliche Grab, ziemlich in der Mitte des Kirchhofs hergerichtet, wird durch einen einfachen Stein mit der Inschrift. „Provisorisches Grabmal der am 10. Juli 1866 Gefallenen“ bezeichnet. Hier ruhen an siebenzig Mann, darunter der Ober-Lieutenant Hoppe vom fünfzehnten bairischen Infanterie-Regiment und der Lieutenant Anton Weichselberger vom eilften bairischen Infanterie-Regiment, für welche noch zwei besondere schöne Denkmale von Sandstein errichtet sind. Namentlich das letztere dieser beiden, das einen umkränzten Baumstamm darstellt, zeichnet sich durch ein schönes Arrangement aus. Außerdem sind noch folgende Einzel-Gräber und Denkmale hervorzuheben: Ein Sarkophag von blauem Marmor, welcher, mit Helm und Schwert geschmückt, zum Andenken des Major Rohdewald errichtet ist. Er fiel an der Spitze des Lippe’schen Füsilier-Bataillons, welches hier verbündet mit den Preuße kämpfte. Eine schlanke vierkantige Bänke von Sandstein bezeichnet das gleichzeitige Grab von vier preußischen Kriegern. Die vier Seiten tragen folgende Inschriften: 1) Seconde-Lieutenant Brzozowski aus Potsdam, 2) Seconde-Lieutenant Rex aus Erfurt, 3) Feldwebel Schmidt aus Aschersleben, 4) Füsilier W. Schümann III., alle Vier vom sechsten westphälischen Infanterie-Regiment Nr. 55. Andere Denksteine haben nachstehende Inschriften. Uthmann, Lieutenant im zweiten Posen’schen Infanterie-Regiment Nr. 19; Georg Metze, Lieutenant August v. Zwehl, Hauptmann; Dewald aus Coblenz, einjähriger Freiwilliger desselben Regiments; Freiherr Reizenstein-Hartungs, Hauptmann im bairischen zwölften Infanterie-Regiment König Otto; Eduard Warnberg, Hauptmann vom eilften bairischen Infanterie-Regiment.

Außer dem bereits eben erwähnten Grafen Ysenburg sind noch andere Leichen, welche auf diesem Kirchhofe bestattet waren später ausgegraben und nach den betreffenden Heimathsorten gebracht worden: Freiherr von Griesenbeck, Hauptmann im ersten bairischen Infanterieregiment; Hauptmann Xalm von der vierten Compagnie des neunzehnten preußischen Infanterieregiments; Fähndrich Moyer von der zweiten Compagnie des fünfzehnten Infanterieregiments. Des Letzteren Stelle im Grabe hat nach Ausweis des Todtengräberjournals einer seiner Gegner, Johann Cast, Soldat vom neunten bairischen Infanterieregiment, der nach der Schlacht an seinen Wunden gestorben ist, eingenommen.

Auch zwei Zivilisten, welche, ohne zum Soldatenstande zu gehören, Opfer der Schlacht bei Kissingen geworden sind, liegen auf dem Kirchhofe begraben. Die Inschriften der einfachen hölzernen Kreuze, welche ihre Gräber bezeichnen, tragen dazu bei, um mit blutigen Zügen die Geschichte jenes Tages zu schreiben: „Der Apotheker Dejohez aus Westphalen wurde am 10. Juli 1866 in der Apotheke zu Kissingen während der Schlacht durch eine eingedrungene Granate getödtet.“ „Der Hausknecht Michael Hergenröther, welcher im Hotel de Russie in Kissingen diente, wurde am 10. Juli 1866 von den Preußen erschossen, als er fliehenden bairischen Soldaten den Weg zeigen wollte.“

Eine Reihe zerschossener Grabsteine, die an einer Mauer des Kirchhofes aufgeschichtet sind, beweist, daß an jenem verhängnißvollen Tage die Kugeln nicht nur unter den Lebenden und den Leichen, sondern auch sogar unter den Leichensteinen gewüthet haben. Eines auffälligen Umstandes müssen wir hier zum Schluß noch erwähnen. Das Andenken aller in der Schlacht bei Kissingen gefallenen Officiere, sowohl der bairischen als der preußischen, wird durch geschmackvolle Denkmäler, mindestens durch Sandsteinplatten mit vergoldeten Buchstaben, gefeiert. Nur eine einzige Ausnahme macht sich bemerklich. Auf einem halbverfallenen, mit einigen rohen Feldsteinen begrenzten Grabhügel findet sich ein einfaches von zwei rohen Holzstreifen gebildetes Kreuz mit folgender Inschrift: „v. Lüders, Hauptmann der siebenten Compagnie fünfundfünfzigsten preußischen Infanterieregiments.“ Unwillkürlich drängte sich beim Anblick dieser Stätte die Frage auf: Sollte es nicht möglich sein, ein besseres Denkmal für den Führer einer preußischen Compagnie, der hier an der Spitze seiner braven Soldaten den Heldentod fand, zu beschaffen? Hatte dieser Hauptmann von Lüders keinen Angehörigen hinterlassen, welcher sich berufen fand, sein Grab in einer würdigen Weise zu schmücken? Der Todtengräber versicherte uns, daß nach diesem Hauptmann von Lüders Niemand bei ihm geforscht habe. Nähere Recherchen, welche wir in Kissingen angestellt haben, ergaben, daß dem Hauptmann Lüders in der Schlacht bei Kissingen der Fuß zerschossen wurde. Er lag mehrere Wochen dort im Lazareth; sein Fuß wurde zwei Mal vergeblich amputirt, und er starb am 9. August 1866. An seiner Identität ist also nicht zu zweifeln. Kein Angehöriger folgte seinem Sarge. Mildthätige preußische Badegäste, die sich vereinzelt nach der Schlacht eingefunden hatten, schossen die geringen Kosten zusammen, welche entstanden waren, um den Grabhügel in seiner jetzigen prunklosen Gestalt herzustellen. Die Cameraden des Verstorbenen waren längst von Kissingen hinweg weiter in das Gewühl der Schlachten gezogen, ohne daß sie die Kunde von dem Begräbniß des gefallenen Führers erreicht hat. Vielleicht gelangen diese Zeilen zur Kenntniß des Truppentheils, welchem der Hauptmann von Lüders angehört hat. Ein Einwohner von Kissingen, der Zeuge der letzten Stunden des Verstorbenen war, berichtet uns, derselbe habe den Besuch seiner Braut erwartet, es ist aber Niemand gekommen, das frische Grab zu schmücken.

Wir verlassen hiermit den Kirchhof von Kissingen und drücken ein kleines Geldstück in die rauhe Hand des Todtengräbers, der so viele unserer tapferen Landsleute hat beerdigen müssen, die ihm die Beerdigungsgebühren lediglich mit den Kugeln bezahlt haben, welche von ihnen in sein stilles, friedliches Wohnhaus gesendet worden sind. Ehe wir aber schließen, müssen wir unsere Leser noch nach einem zweiten, weit entfernt vom Schlachtfelde in Kissingen belegenen Kirchhof, nach dem Friedhof der jüdischen Gemeinde daselbst führen. Dieser liegt in einem ganz anderen Thal, am Fuß der Bodenlauber Ruine, in jener Gegend, wo am 10. Juli 1866 eine preußische Heeresabtheilung sich heimlich einen Uebergang über die Saale bahnte und, indem sie die Unachtsamkeit und Unerfahrenheit des Feindes geschickt benutzte, die feste Stellung der bairischen Armee umschlich und solche zum Weichen brachte. Jüdische Gräber sollen nach den Gebräuche des mosaischen Cultus mit Gras bewachsen und mit einfachen Steinen ohne Unterschied des Standes und Vermögens der Gestorbenen versehen sein. Während der christliche Kirchhof in Kissingen mit kostbaren und schönen Denkmälern fast überladen ist, liegt der Juden-Kirchhof öde und prunklos, anscheinend der Vergessenheit preisgegeben. Kaum unterscheidet eine dürftige Mauer die Grenzen des Kirchhofs von den umliegenden Hopfenfeldern, welche das bairische Bier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_262.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)