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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ein an diesem Hof unbekanntes Wort, das Geld wurde mit vollen Händen ausgegeben; es war, als ob man die flüchtige Herrlichkeit so lange, als sie dauerte, nach Kräften genießen wollte. Viele Jahre später, als die alte Ordnung der Dinge wieder hergestellt war und die zähe Sparsamkeit der nachfolgenden Herrscher keine rechte Lebenslust mehr aufkommen lassen wollte, galt mancher verstohlene Seufzer der Erinnerung an die „guten westphälischen Zeiten“.

Oper und Ballet waren nie vorher auf so splendidem Fuße unterhalten worden, und ausgezeichnete Künstler wurden berufen, um die Majestät in allem Glanze pomphafter Costüme auf die Leinwand zu bringen. Der berühmte Schlachtenmaler Gros mußte das kolossale Bildniß des Königs zu Pferd malen, und Canova’s Meißel seine Züge in Marmor verewigen. Eine Menge von diesen Bildnissen kann man heute noch in den Schlössern und im Privatbesitz in Cassel sehen; eins davon stellt ihn nach dem Geschmack der Zeit und nach dem Vorbild seines kaiserlichen Bruders in einer Art von imperatorischem Krönungscostüm dar, mit welchem die sehr unbedeutende Figur und die nichts weniger als königlichen Züge des Herrn in einem geradezu lächerlichen Contrast stehen. Der Moment, in dem sich der König seinem Hofe in diesem feierlichen Ornat vorstellt, ehe er seinem Maler sitzt, ist der Gegenstand der vorstehenden Illustration.

Nach dem Aufhören der siebenjährigen Fremdherrschaft wurde Wilhelmsthal allmählich vernachlässigt. Die leichtlebige Fröhlichkeit der französischen Gäste war der knauserigen Sparsamkeit des wiedereingesetzten Kurfürsten gewichen. Nur gelegentlich tafelte eine fürstliche Jagdgesellschaft in seinen Räumen, welche unbenutzt und verödet blieben und schließlich selbst der Schaulust neugieriger Wanderer verschlossen wurden.

An einem Junimorgen im Jahre 1866 kam von Wilhelmshöhe herüber ein sechsspänniger Hofwagen unter militärischer Escorte im raschesten Trabe am Gitter des Parkes von Wilhelmsthal vorüber. Ein alter Herr mit einem grauen Schnurrbart beugte sich vor und griff, den am Thore stehenden Castellan des Schlosses freundlich grüßend, an die Mütze. Es war der letzte Kurfürst von Hessen, der hier einen scheidenden Blick auf eines seiner reizendsten Besitzthümer warf, ehe ihn preußische Reiter als Kriegsgefangenen nach Stettin brachten.

K.     




Blätter und Blüthen.

Schlaf und Traum. In Nr. 9 der Gartenlaube lese ich in dem vortrefflichen Aufsatze über Schlaf und Traum von Ewald Hecker das Beispiel eines Verbrechens im Traume. Dabei erinnere ich mich aus der Zeit von 1841 bis 1843, während welcher ich als Referendar beim Ober-Landesgericht zu Naumburg referirte, aus Criminalacten eines ähnlichen Beispiels, welches damals großes Aufsehen erregte. Zwei Gutsbesitzer, Vater und Sohn, die Namen sind mir entfallen, bewirthschaften gemeinschaftlich ein Gut. Sie schlafen in einem Zimmer im obern Stock, dessen Ausgang auf einen schmalen Gang mündet, an dessen anderm Ende sich ein Appartement befindet. Von letzterem aus waren wiederholt Einbrüche versucht worden. Eines Abends kommen Vater und Sohn von der Jagd. Während des Abendbrods, welches sie mit der Familie einnehmen, wird über die Einbruchsversuche gesprochen, und Vater und Sohn nehmen auf Anrathen des erstern, als sie sich nach ihrem Schlafzimmer begeben, aus diesem Grunde geladene Gewehre mit. Etwa eine Stunde später werden die übrigen Hausbewohner durch einen Schuß geweckt und finden den Sohn in dem oben beschriebenen Gange im Hemde bei dem verscheidenden Vater knieen, das abgeschossene Gewehr aber in der Thür des Schlafzimmers liegen. Der Sohn hat den Vater erschossen.

Derselbe giebt bei seiner Vernehmung an: Er habe geträumt, daß am entgegengesetzten Ende des Ganges eingebrochen werde. Erst habe er im Traume das Geräusch des Einbrechens gehört, dann die gegenüberstehende Thür sich öffnen und den Dieb auf das Schlafzimmer zukommen sehen. Von einem Schusse sei er erwacht und habe, als er zur Besinnung gekommen, aufrecht im Bette sitzend bemerkt, daß er das Gewehr, welches er am Abend neben sein Bett gelehnt, in der Hand hatte. Er sei nun auf den Gang geeilt und habe dort seinen Vater am Boden liegend und verscheidend gefunden. Die Vernehmung des Getödteten war nicht mehr möglich gewesen. Es muß aber zur Vervollständigung des Herganges wohl angenommen werden, daß der Vater in der Nacht aufgestanden, daß das dadurch verursachte Geräusch in Verbindung mit dem Gespräch am Abend beim Sohne den Traum erweckt, daß eingebrochen werde; daß er dann auch im Traume das Geräusch des Oeffnens der am Ende des Ganges liegenden Thür gehört, sich im Bette aufgerichtet, durch die vom Vater offen gelassene Stubenthür diesen vom halbfinstern Gange her zurückkommen gesehen und dann immer noch im Traume oder Schlaftrunke das neben dem Bett stehende Gewehr ergriffen und geschossen habe. Dahin sprach sich auch das sehr umfangreiche, wenn ich nicht irre, in Hitzig’s Annalen abgedruckte Gutachten der Sachverständigen aus, dessen Resultat auf „Verübung der That im bewußtlosen Schlaftrunk“ lautete. Für die Annahme einer Absicht des Sohnes sprach weder das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, welches das innigste war, noch irgend ein anderer Grund. Der Unglückliche wurde freigesprochen. Plesch, Justizrath.     




Die Annalen der gerichtlichen Medicin werfen eine große Reihe von strafbaren Handlungen auf, die im Zustande der Schlaftrunkenheit begangen wurden. Der vorstehend mitgetheilte Fall (über den Dr. Suckow in Henke’s Zeitschrift 1851 berichtet) gehört sicherlich zu den interessantesten. Der Zusammenhang zwischen der That und ihren in den äußeren Verhältnissen liegenden Motiven ist hier ziemlich klar. Die Phantasie des Sohnes war offenbar durch die am Abend geführten Gespräche über Diebseinbrüche in einen erregten Zustand versetzt und es wurden dahin bezügliche Vorstellungen aus dem wachen Zustande mit in das Traumleben hinübergenommen. Das Knarren der Thür gab nun, wie leicht erklärlich, dem Traume eine bestimmtere Gestaltung und weckte gleichzeitig den Schläfer zu einem Zustande von Schlaftrunkenheit, in dem er noch ganz umfangen von den Traumvorstellungen sein Gewehr ergriff und es blindlings nach der Richtung der Thür abschoß. Daß er den Vater traf, war ein besonderer unglücklicher Zufall. Während seiner Haft im Untersuchungsgefängniß wurde am Inculpaten einmal ein ähnlicher Zustand von ängstlichem Aufschrecken aus dem Schlafe beobachtet. Bemerkenswerth ist ferner, daß ein Bruder des Angeklagten an Schwindel, Beängstigungen und ängstlichen Träumen vielfach litt, so daß es sich hier wohl um die erbliche Anlage einer nervösen und gerade zum Zustand der Schlaftrunkenheit besonders disponirten Constitution handelt. – Als sehr auffallend will ich schließlich noch anführen, daß Fälle von Schlaftrunkenheit bisher überhaupt nur bei Personen männlichen Geschlechts beobachtet worden sind. Ein auch nur einigermaßen plausibler Grund läßt sich dafür kaum angeben. Dr. Hecker.     




Zum Humboldtfest. Wie vor zehn Jahren der hundertjährige Geburtstag Schiller’s die Deutschen zu dem größten aller bis dahin begangenen Nationalfeste vereinigte, so rüsten unsere Landsleute allerwärts sich bereits für eine Humboldtfeier von derselben Großartigkeit. Die erste überseeische Nachricht geht uns darüber aus Amerika zu, und wir halten uns für verpflichtet, sie unseren Lesern vollständig mitzutheilen:

„Geehrter Herr Keil! Wie Sie aus obigem Circular ersehen, beabsichtigen die hiesigen Deutschen im Verein mit hervorragenden Amerikanern unserem großen Landsmann an dessen hundertjährigem Geburtstage (14. September) ein Denkmal (im Centralpark und neben dem Schillermonument, welches 1859 dort enthüllt wurde) zu errichten. Es freut mich, hinzufügen zu können, daß das Geld dafür bereits beschafft ist. Wir werden ferner dahin wirken, daß der genannte Jahrestag in allen Schulen, Vereinen, Gesellschaften etc. festlich begangen werde.

Es wäre wünschenswerth, wenn dasselbe Fest in allen Ländern, wo Deutsche wohnen, in ähnlicher Weise gefeiert würde. Da zur Anregung und Verbreitung eines solchen Vorschlages kein Organ so geeignet ist, als Ihre patriotische Gartenlaube, so erlauben wir uns, Sie um geeignete Besprechung zu bitten.

New-York, 9. März 1869.   Mit vollkommener Hochachtung

Ihr ergebener     
Wm. Aufermann.“

Wir zweifeln nicht daran, daß New-York’s Beispiel würdige Nachahmung überall finden wird, wo Deutsche mit dem Gefühl des Stolzes und der Dankbarkeit auf ihre großen Männer blicken.




Rafael’s Geliebte. (S. S. 245.) In der jedem Kunstfreunde wohlbekannten Galerie des Palastes Barberini in Rom ist es vorzüglich ein Bild, welches die Augen der fremden Besucher auf sich zieht. Es ist das Portrait eines in üppigster Jugendfülle prangenden Weibes mit schwellenden Formen und echt römischer Farben- und Sinnengluth, welches die Meisterhand Rafael Santi’s von Urbino, des Lieblings der Musen und Grazien, mit unnachahmlicher Kunst auf die Leinwand gezaubert hat. Auf der goldenen Armspange der reizenden Frau hat Rafael selbst seinen Namen eingeschrieben, so daß an der Echtheit des Gemäldes kein Zweifel bleibt, die Geschichte aber kennt das schöne Original des Bildes als Rafael’s Geliebte, die sogenannte Fornarina (die Bäckerin), zu welcher der große Künstler bald nach seiner Ankunft in Rom in solcher Leidenschaft entbrannt sein soll, daß seine Neigung erst mit seinem Leben selbst erlosch. Diese Fornarina, die, wie behauptet wird, der Maria auf seiner unvergleichlichen sixtinischen Madonna, der Perle des Dresdener Museums, zum Modell gedient, hat sich nun der Zeichner unserer heutigen Illustration, welcher in Rom selbst das Portrait mehrfach nachgebildet, zum Vorwurf genommen und den Moment gewählt, wo das verführerische Weib den schon kränkelnden Meister, jedenfalls nach längerer Sitzung vor der Staffelei, mit erfrischender Spende aus dem eigenen Garten zu erquicken sucht.



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