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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ist nur eine Formalität. Mein Paß war – ein Detail, das ich erwähnen muß – in einem rothen Saffianetui mit der Aufschrift „Passe-port“ eingeschlossen.

Als ich am nächsten Tage nach meinem Paß schickte, gab man zur Antwort, er sei nicht zu finden. Ich verfügte mich auf’s preußische Generalconsulat – keine Spur von meinem Legitimationspapier! Es vergingen mehrere Tage. Mein großes Gepäck, das ich schon vor vier Wochen von Piräus direct nach Constantinopel geschickt hatte, mußte angekommen sein. Ich begab mich auf das Zollhaus zu Galata, wo die europäischen Frachtgüter liegen. Keine Spur von meinem Gepäck. Vielleicht ist es über Smyrna gekommen, bedeutete man mir, und liegt auf der türkischen Mauth in Stambul, wo die asiatischen Waaren deponirt werden. Ich ritt hinüber nach Stambul, wo in der That meine Effecten lagen. Ich bat den Inspector um sofortige Durchsuchung und Auslieferung. Der Functionär, der mich mit ganz besonderer Aufmerksamkeit von Kopf bis zu Fuß gemustert hatte, verlangte darauf meinen Paß. Ich erklärte, daß er mir auf der Polizei in Pera verlegt worden sei, und zeigte mehrere Empfehlungsbriefe vor, um die Identität meiner Person zu beweisen. Der Türke schnitt eine geheimnißvolle Grimasse und bat mich in’s Bureau einzutreten. Nach wenigen Augenblicken erschien er wieder von einigen Polizeisoldaten begleitet, und zu meinem nicht geringen Erstaunen mein rothes Paßetui aus der Tasche ziehend fragte er.

„Ist dies Ihr Paß?“

„Natürlich,“ antwortete ich hocherfreut.

„Peki“ (gut), sprach er gelassen, den Soldaten winkend, die, Handschellen hervorziehend, hart an mich herantraten. Einen Moment stand ich wie betäubt, dann die Häscher mit einem kräftigen Stoße zurückschleudernd, verlangte ich, auf der Stelle vor den Pascha geführt zu werden, um die offenbare Verwechslung meiner Person aufzuklären. Mein Ton imponirte den Beamten, und einige Augenblicke später stand ich vor dem Pascha, der als Generaldirector der türkischen Mauthen fungirt. Der Würdenträger, ein alter Türke von wildem, gewinnbringendem Aeußern, hörte meine Erklärung mit Aufmerksamkeit an, da ihm jedoch an einigen Stellen mein Türkisch etwas unverständlich erschien, stellte er mir seinen Dolmetsch, einen außerst sprachgewandten Armenier, zur Verfügung, dem ich die Sache italienisch auseimamdersetzte. Nach der Verdolmetschung wurde der Paß aus dem Etui gezogen, wobei sich an der Stelle des meinigen der Paß des Prinzen Kaiman vorfand. Ich stieß einen Triumphschrei aus. Alles erklärte sich, der Schurke hatte bei unserer Reise von Smyrna meinen Aufenthalt auf dem Verdeck benutzt, um aus meiner Handtasche meinen Paß herauszustehlen und durch den seinigen zu ersetzen, der ihm kaum mehr seine persönliche Sicherheit zu garantiren schien. Da der verwechselte Paß fein sauber in’s Etui gelegt worden war, konnte ich durchaus keinen Argwohn hegen. Jetzt begriff ich das plötzliche Verschwinden des schurkischen Prinzen in Capo Baba. Ich erzählte den ganzen Hergang. Der Pascha schüttelte den Kopf und ließ sich den Paß, der englisch geschrieben und von Malta datirt war, übersetzen. Er lautete für „Prince Kaiman“, geboren zu Castro auf der Insel Chio, britischer Schutzbefohlener und zum Vergnügen reisend mit Gefolge. Das Signalement war natürlich das meinige.

Der Pascha antwortete darauf, daß er meiner Erklärung nicht unbedingt Glauben schenken könne, da ich angeklagt sei, türkische Tresorscheine gefälscht und verbreitet zu haben. Dies war mir denn doch ein bischen zu stark. Außer mir vor Wuth und nur auf meine eigene Sicherheit bedacht, berichtete ich Alles, was ich von Naxos aus über den vermeintlichen Prinzen Kaiman wußte. Darauf zeigte ich mehrere Empfehlungsbriefe für hochgestellte Personen in Stambul, darunter einen an den Großvezier Kyprisli Pascha, einen anderen für den englischen Botschafter Sir Henry Bulwer und einen dritten an den früheren englischen Marinecapitän Sir Adolphus Slade, der als Mushaver Pascha in türkischen Diensten steht. Alles dies jedoch überzeugte den Pascha noch nicht von meiner Unschuld. Mir schwindelte der Kopf! Ich bat nun, mein ganzes Gepäck vor Aller Augen zu durchsuchen, worauf sich der Pascha selbst in die Zollhalle verfügte. Ich lieferte die Kofferschlüssel aus, man öffnete, durchschnöberte und durchstöberte Alles, von den Strümpfen bis zur Theecassette, die man mit dem Dolche aufsprengte. Nirgends eine Spur von falschen Banknoten! Jetzt kam die Reihe an die Kisten, die man halb in Stücke schlug, halb erbrach. Meine Bücher, meine Manuscripte, Curiositäten, kurz Alles ward auf den Boden zerstreut, durchschnüffelt, durchsucht und mit Füßen getreten. Auch hier nichts!

Während dieser Vandalenscene bemerkte ich zufällig unter der gaffenden Menge ein Weib, das verstohlen ein Frachtgut untersuchte, welches mir sogleich bei meiner Ankunft in der Halle aufgefallen war. Es war das in Stroh verpackte Krokodil, welches mit mir die Reise von Smyrna hierher gemacht hatte. Wuchs, Bewegung und Kleidung des Weibes erinnerten mich allsogleich an die Türkin des „Panhellenion“, oder vielmehr an Sommariva, den verkleideten Spießgesellen des Prinzen Kaiman. Ein Gedanke blitzte in meinem Gehirn auf! Wenn das reisende Krokodil dort mit falschen Tresorscheinen ausgestopft wäre? Bei der unendlichen Schwierigkeit gerade zu damaliger Zeit, falsches Geld in gewöhnlichem Gepäck einzuführen, welch’ geniale Idee, auf diese Weise die Wachsamkeit der Zollbeamten zu überlisten! Wer mochte in dem Bauch eines Krokodils nach gefälschten Kaimehs wühlen?

Was zögerte ich? Mit einem Sprunge also war ich an der Seite des Weibes und riß ihr Schleier und Kopftuch herab. Ein Negerkopf kam zum Vorschein. Ein allgemeiner Schrei der Entrüstung war auf meine unerhörte That gefolgt! Oeffentlich eine Bekennerin des Propheten so frech zu beschimpfen!

„Haut ihn in Stücke, den Christenhund!“ brüllte die Menge, und die Soldaten schwangen ihre Kandschare. Ich aber, einen Revolver aus der Brusttasche ziehend, stand kalt und ruhig da.

„Wer einen Schritt macht, den schieße ich nieder!“ rief ich mit vibrirender Stimme. „Dies Weib ist ein Mann, ich kenne ihn, er ist der Mitschuldige des Prinzen Kaiman, durchsucht ihn, er ist kein Neger, sondern ein Franke aus Naxos und heißt Pietro Sommariva.“

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als das vermeintliche Negerweib, sich vor dem Pascha niederwerfend, dessen Kniee unter Thränen umklammerte und um Gnade wimmerte. Der Pascha jedoch, ihn mit dem Fuße von sich stoßend, winkte den Polizeisoldaten, die den entlarvtem Verbrecher in’s Zollhaus schleppten, dort entkleideten und wuschen, um ihn zuletzt im Hemd und vollkommen weißgewaschen, von Gesicht wenigstens, wenn auch nicht von Schuld, der aufgebrachten Menge zu zeigen.

Als man sodann auf meinen Rath das Krokodil untersuchte, fand sich in der That, daß der mächtige Saurier zweifelsohne an einer Indigestion von Kaimehs gestorben war, denn sein ganzer Bauch war damit angefüllt und obendrein hatte das gefräßige Thier noch die Kupferplatte verschluckt, nach welcher die Tresorscheine gedruckt worden waren. Die allgemeine Wuth über diese freche Gaunerei zu beschreiben, will ich meiner Feder nicht zumuthen.

Ich war frei, bezahlte meinen Dolmetsch, empfing die Entschuldigungen der Zollbeamten mit dem Glückwunsch des Paschas, raffte so gut als möglich mein verwüstetes Gepäck zusammen und ritt, von der neugierigen Menge begleitet, der Schiffbrücke zu. Der Proceß des jungen Sommariva wurde gleich durch den Großrichter von Rumelien, vor welche alle Criminalfälle der Rajahs gehören, instruirt, indem der Naxiot als Renegat dem türkischen Gesetze unterlag. Die Untersuchung stellte heraus, daß Sommariva sogleich nach seinem Uebertritt zum Islam bei einem der ersten Graveure Stambuls als Arbeiter in Dienste getreten war, wo er bald alle Welt durch seine unglaubliche Geschicklichkeit im Graviren in Erstaunen versetzt hatte. Angeklagt, das große Staatssiegel des Sultans nachgemacht zu haben, entfloh der Fälscher, da er durch dies Verbrechen sein Leben verwirkt hatte. Lange irrte er umher, bis er mit dem Prinzen Kaiman zusammentraf, der, überrascht von dem Graveurtalente des Renegaten, auf die Idee kam, mit ihm eine Geheimfirma zur Fabrikation falscher Kaimehs zu gründen.

Das Urtheil des Großrichters lautete auf „Todesstrafe“. Obgleich sowohl der oberste Rath in zweiter, als der Mufti in letzter Instanz den Urtheilsspruch aufrecht erhielten, so verwandelte doch der Sultan im Gnadenwege dasselbe in lebenslängliches Bagno. –

Als ich am Tage der Urtheilsverkündigung über den Fischmarkt in Stambul ritt, wo die verurtheilten Rajahs vor Antritt der Strafe ausgestellt zu werden pflegen, sah ich inmitten einer dichtgedrängten Menge eine Art Tribüne, wo an einem Pfahl ein bleicher Delinquent angekettet stand. Auf seiner Brust hing eine große Tafel, auf welcher zu lesen war:

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