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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Schloßthurm mit einer invaliden Zugbrücke, welcher als letzter Rest einer verschwundenen Ritterburg heute zur Sommerfrische dient. Das Beste am Ganzen ist ein prächtiger Orangengarten, wo ich die schönsten Cederbäume der Welt gesehen habe.

Der Empfang war diesmal verhältnißmäßig großartig. Im großen Saal gab’s gothische, wappengeschmückte Stühle in Hülle und Fülle zum Sitzen, und die nubischen Diener des Prinzen boten den Gästen, unter denen der ganze hungrige Schloßadel vertreten war, sogar Erfrischungen an. Der Ton war im Allgemeinen mehr höhnisch, als höflich, und man sah es all den Titelgruppen an der Stirn an, daß sie durch ein Wort zu viel einen Theil ihrer angestammten Würde einzubüßen fürchteten. Niemand unterfing sich, meine Aehnlichkeit mit dem Prinzen auch nur zu bemerken, in der Besorgniß, das Mißfallen des erlauchten Bräutigams zu erregen. Daß Niemandem diese Zurückhaltung erwünschter sein konnte, als mir, kann nach dem eben Erzählten keinem Zweifel unterliegen. Während der Prinz sich mit der schönen Tochter vom Hause zu schaffen machte, fragte ich den alten Sommariva, ob er keinen Sohn habe.

„Ich hatte einen Sohn,“ seufzte der Marquis, „aber seit fünfzehn Jahren ist er verschollen!“

Ich wußte genug. Sodann einen freien Augenblick des Prinzen erspähend, näherte ich mich demselben, vom Marquis begleitet, und warf ihm die Frage in’s Gesicht: „Sind Sie, bester Prinz, nicht vielleicht dem jungen Sommariva auf Ihren mannigfachen Irrfahrten begegnet?“

Kaiman bohrte mir einen tiefen Forscherblick in’s Auge und verneinte flüchtig.

Einige Zeit darauf traf ich den Abenteurer im Garten. „Prinz, Sie verdienen wirklich Strafe,“ begann ich lachend, „ist es wahr, wie mir Markopoliti erzählte, daß Sie jenseits des Zeaberges mit einer verschleierten Dame, einer Türkin, gesehen worden sind? Welch’ Verbrechen, wenn man in vierzehn Tagen das schönste Mädchen des Archipels heirathet!“

Der Prinz warf mir einen Natterblick zu und drehte mir, ohne meine indiscrete Frage einer Antwort zu würdigen, den Rücken.

Am nächsten Tage hörte ich, daß Prinz Kaiman mit seinem ganzen Gefolge in der Nacht plötzlich auf einer Brigantine, nach Samos sagten Einige, nach Nikaria Andere, abgereist sei. Für mich, der ich den Schlüssel zu dieser nächtlichen Flucht besaß, war „durchgebrannt“ der allein richtige Ausdruck. Meine Anspielungen hatten gefruchtet, und mein Zweck, die liebenswürdige Marchesina von einem Schurken zu befreien, war zunächst erreicht. Während man sich allenthalben noch in Naxia, von der Fischerstadt bis zum Schloßbezirk, über das unerwartete Verschwinden des Prinzen den Kopf zerbrach, schiffte ich mich nach siebenzehntägigem Aufenthalte wieder nach Syra ein, und zwar zufällig wieder auf dem „Panhellenion“, der eben von Santorin zurückkehrte. Der Capitän beklagte sich bitter, daß er anstatt der in Ausbesserung begriffenen „Hydra“ auch diesmal die Tour habe machen müssen.

„Aber Sie haben doch hoffentlich den Trost, die Falschmünzer an Bord zu führen?“ rief ich lachend.

Der Syrot seufzte. „Leider nicht, ich muß mich damit begnügen, die Gensd’armen zurückzuführen.“

In der That hatte ich eben erst die Blauröcke auf dem Vorderdeck bemerkt. In diesem Falle, glaube ich, hätte der Führer des „Panhellenion“ die Spitzbuben den Sicherheitsorganen vorgezogen. Dienstag Abends war ich in Syra. Von hier schrieb ich nun einen detaillirten Brief an den Marquis Sommariva und seine liebenswürdige Tochter, in welchem ich ihnen den Charakter, die sociale Stellung und das Treiben des prinzlichen Bräutigams ausführlich schilderte, wobei natürlich, aus leichtbegreiflichen Rücksichten, die Mitschuld des jungen Sommariva mit Stillschweigen übergangen wurde. Tags darauf bestieg ich den Lloyddampfer, der Mittwochs die Smyrnareise macht. Donnerstag lagen wir für ein paar Stunden vor Chio. Ich stieg aus, um, so viel als thunlich, die „Mastixinsel“ zu durchforschen. Nach einem kurzen Ausfluge zu den Felsen der „Schule Homer’s“, wohin die Chioten den Geburtsort des größten aller Rhapsoden verlegen und allwo in einigen Sculpturen der Engländer Chandler eine Cybele zwischen zwei Löwen und sein honorabler Landsmann Pococke einen Homer zwischen zwei Musen entdeckte, durchschlenderte ich die Gassen von „Miniaturgenua“, wie die Einwohner so gern ihre Stadt „Castro“ zu tituliren belieben. Im Bazar kaufte ich eine Schachtel Räucherpastillen und ein Sandelholzbüchschen mit einheimischem Harz zum Kauen, um auch ein Localproduct mitzunehmen. Der schwarze Turbanlaken und mehr noch die fabelhaften Preise verriethen in dem Verkäufer den Juden aus der alten Schule, der die Touristenprellerei als einen Artikel des mosaischen Gesetzes betrachtet.

Ich bot ein Viertel des verlangten Preises.

Der Alte rief, sich den Bart zerraufend, voll Verzweiflung: „Haiman Prinz ist ein blutarmer Mann, was soll er verlieren von seinem eigenen Geld?“

„Haiman Prinz?“ – der Name frappirte mich. Ich fragte den Alten, ob er nicht einen Sohn in Aegypten habe.

Der Jude griff sich an die Augen. „Der Gott Abrahams und Jakobs beschütze ihn,“ murmelte er. „Seit bald sechszehn Jahren hab’ ich keine Nachricht von meinem Sohn. Weiß der gnädige Herr etwas von ihm?“

Ich verneinte, denn täuschten mich meine Vermuthungen nicht, so war Haiman’s Sohn besser todt für seinen Vater.

Der Jude erzählte mir dann noch, daß sein Vater aus Ungarn in Chio eingewandert sei und hier das edle Geschlecht der Haiman Prinze als türkischer Tributzahlender fortgepflanzt habe.

Welch’ wunderbare Fügung des Zufalls! dachte ich. Nichts leichter, als den Ursprung des Prinzen Kaiman auf diese Weise zu erklären. Der Spitzbube hatte sich nur irgend einen Schutzpaß von einer europäischen Gesandtschaft zu erschleichen gehabt, „Haiman“ mit einem Federzug in „Kaiman“ zu verwandeln, den Namen „Prinz“ voranzustellen, und das Kunststück war gemacht, der Prinz Kaiman stand fix und fertig da. Uebrigens konnte der abenteuerliche Prinz ohne Weiteres ein Chiot sein, indem das Sprüchwort von diesen Insulanern sagt: „Ein braver Chiot ist so selten wie ein grünes Pferd.“

Am folgenden Tage langten wir in Smyrna an. Nach einem fünftägigen Aufenthalt bestieg ich Dienstag den Lloyddampfer nach Constantinopel. Wie groß war mein Erstaunen, im Salon erster Classe den Prinzen Kaiman wiederzufinden, den ich, trotz seines gründlich abrasirten Vollbartes und seines neuen Costüms mit Turban und Kaftan, im Augenblick wieder erkannte. Seine Herrlichkeit, von meiner Begegnung nichts weniger als erbaut, bemühte sich auf das Kläglichste, meinen Blicken aus dem Wege zu gehen. Ich dagegen redete den „Durchgebrannten“ sehr artig an, erkundigte mich auf das Respectvollste nach seiner schönen Braut und bot ihm zuletzt von meinen Pastillen mit der Bemerkung an, er kenne vielleicht ihre ausgezeichnete Qualität, indem ich sie erst vor acht Tagen bei Haiman Prinz in Chio gekauft habe. Der Prinz erbleichte leicht und holte sich mit zitternder Hand ein paar Pastillen aus der Schachtel heraus.

Soweit hätte ich gegen die Anwesenheit des verkappten Spitzbuben auf dem „Pluto“ nichts einzuwenden gehabt; als ich jedoch bei der großen Menge der Passagiere genöthigt war, mit diesem Individuum die Kajüte zu theilen, beschloß ich, die Sommernacht lieber auf dem Verdeck zuzubringen. Abends berührten wir Mytilini, während Kaiman in unserem gemeinschaftlichen Schlafcabinet den Schlaf der Gerechten schlief. Tief in der Nacht hielten wir Capo Baba. Als das Schiff um’s Cap herumbog, überwältigte mich die Müdigkeit. Ich stieg mit Widerwillen in die Kajüte hinab. Mein Reisegefährte war verschwunden. Ich revidirte allsogleich mein Handgepäck, es fehlte nichts, Prinz Kaiman hatte sich keine Zerstreuung in Bezug auf mein Eigenthum zu Schulden kommen lassen. Er war, wie mir der Capitän am Morgen sagte, in Capo Baba ausgestiegen, obwohl seine Fahrkarte bis Stambul lautete. Also zum zweiten Mal durchgegangen! Glückliche Reise!

Während ich auf dem Verdeck in der herrlichen Morgenluft schwelgte, fiel mir unter den Frachtgütern ein auf ähnliche Weise verpacktes ausgestopftes Krokodil auf, wie ich es auf dem „Panhellenion“, für das Pritvatmuseum des Prinzen Kaiman bestimmt, gesehen hatte. Die Gegenwart dieses Nilbewohners war mir, als directes Andenken an meinen saubern Doppelgänger, unbeschreiblich unangenehm.

Mittwoch Abend liefen wir in’s goldne Horn ein. Wie gebräuchlich, übergaben wir unsere Pässe einem Officier des Schiffes, der sie an das türkische Polizeibüreau in Pera abzuliefern

hat, wo man sie am folgenden Tage abholen läßt. Das Ganze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_251.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)