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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der hervorragendste Charakterzug des Habichts ist in dem eben geschilderten Erlebniß klar genug ausgesprochen. Die ganze Familie der Habichte, von der unser Hühnerhabicht Haupt und Repräsentant ist, theilt diesen unbändigen Trieb zum Raub und Mord. Wenn schon der gemeine Sperber, ein vergleichsweise kleiner Räuber, sich in Zeiten der Noth an alte Eichhörnchen wagt, wie vielmehr lassen sich derartige und weit verwegenere Angriffe von dem viel größeren und stärkeren Hühnerhabicht erwarten! Wir selbst haben einen Angriff des Sperbers auf ein Eichhörnchen im vorigen Winter beobachtet und nicht nur die Gewandtheit und List des Vogels, sondern auch seine Ausdauer zu bewundern Gelegenheit gehabt. Einer unserer Freunde, dessen Angaben wir völliges Vertrauen schenken dürfen, schilderte uns einen mit geringen Unterbrechungen über eine halbe Stunde dauernden Versuch des Habichts, eines Eichhörnchens habhaft zu werden. Fehlgehende Stöße, vergebliche Sprünge von Ast zu Ast, mißlungene Anwendung des Kreisens um den Baumstamm und die Aeste, erfolgloses stilles Auflauern – alle diese Unternehmungen zeugen von der großen Leidenschaft für Raub, Mord und Fraß. Die ersten Angriffe sind immer jäh und von blinder Hingabe an den Augenblick begleitet.

Ein Habicht, der auf Sperlinge stieß, welche sich in die Hecken stürzten, verwickelte sich vor unseren Augen dergestalt in das Dorngebüsch, daß er von uns erschlagen werden konnte. Ein zweiter sauste während des Stoßes auf eine in meiner Nähe Schutz suchende Taube so dicht an meinem Kopf vorbei, daß ich den Luftdruck deutlich fühlte. Ein dritter stieß mitten in die Fensterscheiben eines Hauses unserer Geburtsstadt, daß die Scherben klirrten und der Ungestüme bis in das Zimmer eindrang. Es war dies ein um so wichtigerer Beweis für die rasende Mordgier des Räubers, als er es vermag, während des Stoßens scharfe Wendungen zu machen. Wird aber der einmal fehlstoßende Berauschte ernüchtert, so handelt er mit Ueberlegung und Benutzung seiner Erfahrung. Je älter und erfahrener der Habicht ist, desto mehr List und Schlauheit wendet er zu seinem Vortheil und zur Täuschung der ausersehenen Opfer an.

Auf dem Hofe eines uns befreundeten Fabrikanten waren die Tauben durch die häufigen Nachstellungen von Seiten der Habichte äußerst vorsichtig und mißtrauisch geworden. Dennoch wurden sie durch die Klugheit ihrer Feinde überlistet und durch deren Ausdauer und Geduld überwunden. Halbe Tage lang saßen die Habichte auf der Lauer, die Gunst des Augenblicks mit reger Wachsamkeit bei anscheinender Gleichgültigkeit benutzend. So lange der Sohn des Hauses, ein Waidmann, ihnen mit der Flinte aufpaßte und manchen ihrer Sippschaft erlegte, wagten sie sich nur am frühsten Morgen in die Nähe des Hofes; kaum war dieser aber aus seiner Heimath weggezogen, so wurden sie wieder dreist und verwegen. Der Habicht weiß sich also trotz seiner Mordlust gewissermaßen und nach Umständen zu beherrschen, ja, er vermag dies sogar in solchen Fällen, wo das in’s Auge gefaßte Thier ganz in seiner Nähe wandelt, aber die Umstände noch immer einige Zeit Geduld erheischen.

Der ältere, erfahrene Hühnerhabicht ist ein verschmitzter, verschlagener Räuber voller Verstellungsgeschicklichkeit. Wahrlich, man steht es dem Stilllauernden nicht an, daß sein Naturell heißblütig, rasch, entschlossen, zur That fortwährend bereit ist. Mit aufgeblasenen Federn verweilt er stundenlang an einem und demselben Plätzchen fast regungslos, um das Ziel seiner Hintergedanken zu erreichen. Aber in seinem wachen Blick leuchtet unheimlich und verstohlen das Feuer der Mordlust; der Bau seiner kurzen, abgerundeten Schwingen, die jetzt lose am Leibe herabhängen, spricht für das Vermögen, den Vogel wie einen Pfeil unter mächtigem Rauschen durch die Luft zu tragen, und der über acht Zoll lange Schwanz verräth seine Eigenschaft als wirksames Steuerruder im Meere der Lüfte. Und nun gar die zum Greifen und Schlagen so tüchtigen „Fänge“ an den hohen befiederten „Läufen“ und der seitlich zusammengedrückte, von breiter Wurzel in einer Wölbung scharf zulaufende, gedrungene Schnabel – welche nachdrucksvollen Waffen gegenüber der unbewehrten Schaar der Vögel, Säugethiere und Lurche!

Ja, dieser unermüdliche Wegelagerer, der aus seinem Hinterhalt hervorstößt, oder aus der Höhe herabrauscht, oder tief an der Erde her, womöglich in gedecktem Flug die Thiere überrascht, diese sogar nach unseren mehrfachen eignen Beobachtungen auf der Erde im Sprunglauf (worin er nicht ungeschickt ist) durch Gestrüpp und bis in die Hecken hinein verfolgt, er lehrt das ganze Contingent der befiederten Wald- und Feldbewohner vom Auerhahn bis zum kleinsten europäischen Vögelchen, dem Goldhähnchen, vom Rebhuhn bis zur Pieplerche, er lehrt das Federvieh auf dem Bauernhof von der Gans bis zum Zwerghuhn, von der leichtbeschwingten Taube bis zum Küchlein herab die ihnen zu Gebote stehenden Rettungsmittel gebrauchen, die weitaus am meisten nur Mittel der Flucht sind. Der todesmuthige, tapfere Haushahn weiß ihm freilich manchmal zu begegnen und durch seine Tollkühnheit Achtung einzuflößen. Im Frühjahre vorigen Jahres stieß ein Habicht vor unseren Augen auf ein Huhn in einem Gehöfte. Der herbeieilende Hahn stürzte sich muthig auf den Räuber, der nach einem wiederholten vergeblichen Stoß auf das Huhn durch den mit Nägeln, Schnabel und Flügeln gegen ihn Wüthenden zum Rückzug gebracht wurde. Nicht selten greift auch der Habicht den Hamster und selbst das sich windende und beißende Wiesel vom Boden auf, oder er gleitet in leisem Flug über das Wasser des Flusses oder Teiches hin, um das Bläß- und Teichhuhn oder die Ente zu erfassen, welche sich überraschen läßt oder im Eifer des Ernährungsgeschäftes den Kopf unter das Wasser oder zu tief in die Wasserpflanze gesteckt hat. Sein scharfer Sinn hat mit Hülfe des vortrefflichen Gedächtnisses die Absicht des wiederholt am Bachufer nach den Wildenten schleichenden Schützen erforscht. Er weiß, daß er die Wildente im Flug ohne große Schwierigkeit stoßen kann, während sie auf dem Wasser fast immer vor ihm sicher ist. Wachen Auges folgt er dem Schützen und benutzt kühn entschlossen den Augenblick, wo sich die Enten vor diesem erheben. Dann fährt er plötzlich unter sie, „schlägt“ eine derselben und strebt mit ihr wiehernd vorwärts. Sein Ungestüm ist da zuweilen Ursache, daß er, vom Hagel getroffen, die Ente fahren lassen muß und statt ihrer oder auch mit der gleichfalls Getroffenen zum letzten Mal den Weg zur Erde zurücklegt.

Manchmal verfolgt er die Enten in geradeaus gehendem Flug. Mehrmals waren wir Zeugen dieser interessanten Verfolgung. Bei dem Wechseln der Enten von einem Gewässer zum andern halten sich die Flüge immer hoch, so daß der lauernde Habicht, wenn er nicht etwa in der Höhe schwebt, genöthigt ist, erst aufzusteigen und dann hinter den Flügen herzukommen. Eines Tags an der Nidda in der Wetterau auf der Entensuche thätig, bemerkten wir plötzlich von fern zwei immer näher sich rückende Punkte in der Luft. Bald erkannten wir deutlich eine Stockente, welche von einem Hühnerhabicht gejagt wurde. Die Ente, anfänglich dem Verfolger bedeutend voraus, hatte sich allmählich in schiefer Richtung gesenkt und jetzt noch einen Raum von mehreren hundert Schritten bis zum Bett der Nidda zurückzulegen. Immer kleiner wurde der Raum zwischen ihr und dem Habicht. Da auf einmal über dem Spiegel des Bachs fuhr die Ente mit ihrem langen Halse nach unten und stürzte sich vor dem nur noch einige Schritte hinter ihr her und nun über sie hinweg sausenden Dränger thurmhoch jäh in die Nidda herab. Ein andermal waren wir Zeugen, wie sich mehrere Pfeifenten, auf dieselbe Weise vom Habicht verfolgt, aus bedeutender Höhe in sausendem Fluge gerade vor uns in eine größere Pfütze sumpfiger Wiesen warfen, daß das Wasser um die Einfallenden mehrere Fuß hoch spritzte. Der über die Wasserfläche dahinstoßende Habicht ließ sogleich von der Verfolgung der im Schilfe sicheren Enten ab.

Auch die Elster ist vor dem Habicht, diesem lebendigen Schreck aus der Höhe, nicht sicher; er „schlägt“ und trägt leicht davon die von einem Baume zum andern oder über freie Feld- oder Wiesenflächen strebende Diebin. Die Geschlagene stößt verzweiflungsvolle Töne aus, und ihre Gefährten erheben unter sehr erregtem Gebahren lautes Gezänk. Insbesondere zeigt er sich zu derartigen Angriffen bei Schnee und Kälte geneigt. Tritt solche ungünstige Witterung noch zur Zeit der Paarung oder Nestbereitung ein, so wird, wie ich mich noch am ersten März dieses Jahres überzeugte, der eine und andere Gatte der Elsternpaare eines Habichts Beute. Die beliebten Plätze, wo er seinen Raub verzehrt, sind in Gärten vorzüglich Laubhütten und im Felde deckende Hecken und Hohlwege.

Bei solchem fortwährenden Bedacht auf Raub und Mord, selbst dann, wenn die schwer zu stillende Freßgier befriedigt sein sollte, läßt sich das Einzelleben des Habichts und seine entschiedene Abneigung gegen jegliche Geselligkeit, sogar mit Seinesgleichen außer der Brautzeit, zur Genüge erklären. Hielten sich die Habichte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_230.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)