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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Von der Nachfolge Christi und
Von den Gesinnungen beim Empfange der heiligen Communion.

Unter diesen Vorträgen waren die Betrachtungen über die Qualen der Hölle und über den Tod besonders erbaulich.

„Hölle,“ begann der fromme Mann seinen Höllenvortrag in voller Ekstase, „Hölle, welch’ ein Wort! Welcher gute Katholik sollte nicht betend ein Kreuz schlagen, sollte sich nicht zur Buße und Reue wenden, wenn ihm dieses Wort genannt wird? Wer sollte nicht zittern vor den Qualen, vor dem Heulen und Zähneklappern jenes grauenvollen Ortes, der dem Teufel und seinem Anhang bereitet ist, jenes Ortes, in dem der Auswurf der Menschheit für seine Laster, für seine Frevelthaten schreckliche Strafen erleidet? Die Hölle, ja, sie ist ein fürchterlicher Aufenthaltsort, und fürchterlicher noch ist die Erfahrung, daß der Mensch in seinem Hange zum Irdischen, in seiner Neigung zu den verbotenen Freuden der Welt nur zu leicht auf dem schlüpfrigen Pfade des Lasters zu jenem Orte des Grauens gelangt. Woher kommt es, daß die Gottesleugner, d. h. Religionsspötter, zuerst den Glauben an die Hölle und den Teufel fallen lassen? Sie thun es, um ihr Gewissen zu beschwichtigen, um die in ihrem Innern wache Stimme, die ihnen zuruft: ‚Es giebt ein Jenseits, es giebt eine Vergeltung im Jenseit, es giebt einen Ort der Strafe‘, zu tödten und verstummen zu machen. Blicket hin in die heilige Schrift, und auf jeder Seite werdet Ihr einen Beweis für das Dasein der Hölle finden. Die Hölle ist also ein sicheres Uebel. Sie ist aber auch ein schreckliches Uebel.

Nimmer ist ein Ende oder eine Milderung abzusehen; immer treiben und quälen den Verdammten die Furien seiner Leidenschaften, die er aber nicht befriedigen kann, immer werden die Verführer von den Verführten verflucht, ein schreckliches Geheul und Wehklagen, heftige Wuthausbrüche gegen Religion und Gott werden ausgestoßen. Und diese Qual endet nimmer; sie dauert fort in alle Ewigkeit. Welche Zeit aber wird von der Ewigkeit gefaßt? Wäre die Erde ein demantener Ball und alle tausend Jahre käme ein Vöglein, um nur wenige Minuten an ihr zu picken, – welche ungeheure Zeit würde es wohl nöthig haben, um diesen Koloß in Staub zu verwandeln? Aber selbst diese Ewigkeit würde nur einen winzigen Theil der Ewigkeit der Höllenleiden ausmachen. Wenn von hundert zu hundert Jahren eine Ameise über den größten, den härtesten Felsen unseres Planeten einmal hinliefe und Gott den Verdammten der Hölle ein Aufhören ihrer Qual verhieße, sobald der ganze Felsen von den Füßen des Thierchens zertreten wäre, ja – dann würde ein großes Frohlocken entstehen, sie würden ihre Leiden im Hinblick auf die einstige Erlösung mit Freuden ertragen. Aber sie enden nie, die Qualen der Hölle. Das ewige Ticktack der Höllenuhr lautet: ‚Immer, nimmer‘ – immer Qual, nimmer Errettung. – – –“

Ein feuriger Schluß endete die qualvolle Rede des Jesuiten, und die Zuhörer, die das Höllenfeuer an den Gliedern zu fühlen vermeinten, starrten entsetzt vor sich nieder, während der Pater sich still und mit gemessenem Schritt entfernte, erfreut über die Wirkungen seiner furchtbaren Höllenbeschreibung.

Auch mir neuem Seminaristen gab diese Rede vielen Stoff zum Nachdenken, und da ich sah, daß sich die anderen den Inhalt der Rede aufzeichneten, so that ich ein Gleiches, um hierbei die Aeußerungen des Jesuiten einer genaueren Prüfung unterwerfen zu können. Aber mein Geist, der nicht wie der der Anderen durch eine asketische Erziehung verkümmert war, erholte sich bald von dem niederschmetternden Eindruck des Vortrages. Ich hielt der strafenden Gerechtigkeit Gottes die Milde und Allbarmherzigkeit des Vaters aller Menschen entgegen, dem an der Errettung eines Verlorenen mehr gelegen ist, als an neunundneunzig Gerechten, der als frommer Hirt nicht Dunkelheit, nicht Mühe und Arbeit scheut, um ein verirrtes Schaf zur Heerde zurückzuführen, und auf diese Weise versüßte ich bald die von dem Pater in mein Herz geträufelten Wermuthstropfen.

In dem Tagebuche eines Seminaristen fand ich zu diesem Vortrag später folgende Bemerkung:

„Diese letzte Betrachtung von den Qualen der Hölle hat auf mich den tiefsten Eindruck gemacht. Ich wurde durch den Ernst und die tiefe Wahrheit derselben, durch die Gewißheit des Todes und Gerichtes und der damit verbundenen Gefahren sehr aufgeregt, und es ist mein fester Entschluß, durch religiösen Eifer und Verharren im Gebet mich des Himmels und seiner Seligkeiten würdig zu machen.“

Obgleich solche fromme Floskeln von Seminaristen öfter in ihr Tagebuch eingestreut wurden, damit sich der Präses, wenn er, wie häufig, die Pulte durchstöberte und in den Büchern der Alumnen las, von ihren frommen Gesinnungen überzeugen solle: so ist es dennoch möglich, daß gerade in diesem Falle der Commentator den wahren Eindruck der Rede niedergeschrieben hatte, und das um so mehr, als es der Jesuit verstand, durch lebhafte Darstellung der Belohnungen und Strafen im Jenseits das jugendliche Gemüth eines Seminaristen in eine derartige Aufregung zu versetzen, daß eine förmliche Furcht die Zuhörer zu guten, freilich wohl nicht nachhaltigen Vorsätzen antrieb.

Nachdem die Herzen der Alumnen drei Tage lang auf diese Weise bearbeitet worden waren, fand, wie schon oben erwähnt wurde, am Nachniittag des dritten Tages die Generalbeichte statt. Ich hatte das Glück, einen gutmüthigen westphälischen Geistlichen zum Beichtvater zu bekommen, welcher, ermüdet vom anstrengenden Beichtehören, mich sehr glimpflich abfertigte und schließlich noch belobte, weil ich mein Gewissen so sorgfältig erforscht habe. (Meine Sünden bedeckten nämlich einen vollen halben Bogen.) Aber wehe denen, die in thörichter Vermessenheit es wagten, einem ultramontanen, hyperorthodoxen Pfaffen oder gar dem Pater L. selber, der auch Beichte hörte, ihre Sünden zu gefälliger Inaugenscheinnahme, Beurtheilung und Absolution vorzulegen; – die frommen Männer zwickten die unglücklichen Sünder mit feurigen Zangen und, für ihr Seelenheil besorgt, gaben sie den Seelen derselben eine urkräftige Arznei, bestehend aus der Allerheiligenlitanei, fünf Paternostern, fünf Ave Marias und dreimaliger Erweckung von Glaube, Hoffnung und Liebe, – eine Arznei, die trotz ihrer Schärfe vom Seelenkranken dreimal des Tags genommen werden mußte und dies drei Wochen lang ohne Pausen!

Nachdem um sechs Uhr Abends alle Seminaristen ihrer Sünden bar und ledig geworden waren, begaben sie sich fröhlich auf den Arbeitssaal, wo es viel zu erzählen gab. Das dreitägige Schweigen hatte jeden Gedankenaustausch, die fortwährende Beschäftigung mit geistlichen Dingen jede Erzählung der Ferienerlebnisse verhindert, und jetzt war es Jedem Bedürfniß, sein Herz auszuschütten und dafür von Anderen Mittheilungen entgegenzunehmen. Erst jetzt wünschten sich die Seminaristen ein fröhliches neues Jahr, denn den meisten war es wohl bis jetzt nicht eingefallen, an die Vollendung des vergangenen Jahres zu denken.

Jetzt erst fragt ein neugieriger Alumne den andern, ob die Weihnachtsbescheernug bei ihm recht reichlich ausgefallen sei – kurz, Jeder hatte etwas Neues vorzubringen. Nur ich verhielt mich dabei, da ich fast Niemanden unter den Anwesenden näher kannte, ziemlich passiv, und es war mir daher lieb, als eine Glocke die Seminaristen endlich zum Abendessen rief.

Nach den außerordentlichen geistigen oder geistlichen Anstrengungen des Tages gab es heute ein ausnahmsweise sehr feines Souper, bestehend in nicht zu starkem Kaffee und einem dicken, kuchenartigen, mit Syrup überschmierten Gebäck, welches ein Lieblingsgericht der Seminaristen zu sein schien. Auch der Herr Präses Hochehrwürden nahm am Abendessen Theil und gab den Seminaristen eine Statistik des erfreulichen Aufblühens der katholischen Kirche in England zum Besten, welche natürlich mit großem Beifall aufgenommen wurde.

So endeten die geistlichen Exercitien. –

Als ich des Abends müde mein Lager suchte und die Erlebnisse der vorhergehenden Tage Revue passiren ließ, da kamen mir die Exercitien mit ihren Höllenvorträgen, ihren Tod- und Teufelsbetrachtungen, ihrem Schweigen und ihren unaufhörlichen Andachtsübungen wie ein schwerer Traum oder ein seltsames Märchen vor, und ich bewunderte den erfinderischen Geist der Leute, deren Frömmigkeit und deren Sorge um das geistliche Wohl der sündigen Menschheit die Exercitien, dieser raffinirte, aber fromme Zeittodtschlag, ihren Ursprung verdanken.




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