Seite:Die Gartenlaube (1869) 215.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Mütze so sitzt, daß nur ein schmaler Streif der Haube hervorsieht. Im Sommer wird über diesem Ungethüm noch der Strohhut getragen. Trotz alledem sagt ein Mönchguter Sprüchwort:

„Twei Ehl Resch un ein Pund Wulle
Gifft eine gaude Paudenhulle.“[1]

Uebrigens wird die Mütze der Verheiratheten mit einem schwarzen Bande über die Nähte besetzt und mit einem schwarzen Seidenbande zugebunden, wogegen das Kinnband der Jungfrauen nur aus Wolle sein darf. Wie die Männer zwei Paar Beinkleider, tragen die Mönchguterinnen zwei Hemden, ein langes ärmelloses und darüber ein kurzes von feinerer Leinwand und mit Aermeln. Als Trauertracht legen sie ein kurzes schwarzes, von der Faltenmenge ganz steifes Mäntelchen um. Trauernde Frauen müssen außerdem noch beim Abendmahl den Kopf in ein großes weißes Trauertuch hüllen. Eine Wittwe darf in ihrem Trauerjahr in der Kirche nicht auf ihrer gewöhnlichen Bank, sondern muß quer gegen dieselbe auf einem kleinen Schemel sitzen. Wahrlich, die Eldenaer Mönche haben hier dauerhafte Arbeit hinterlassen!

Leider fand ich auch den Weg, den ich fürbaß schritt, und später die meisten nicht fürstlich Putbus’schen Wege auf Rügen von gleicher Allerthümlichkeit wie diese Trachten. Ich hatte die sogenannte Straße erreicht, welche von Thissow nach Göhren und Middelhagen heraufführt; sie nahm aber bald die Eigenschaften einer bloßen Radspur an, ein Bild der einfachsten Eindrücke in die liebe Natur. Nach etwa zweistündigem Marsche gelangte ich an Lobbe vorüber, dann auf einer schmalen Erdzunge und schließlich auf einem Steindamme, die beide zwischen dem Lobber See und den Hagen’schen Wiek hinführen, nach Middelhagen.

Es ist sehr freundlich von dem Ort, daß sein erstes Haus rechts das Wirthshaus ist und daß der Reisende hier gleich die hübschen Mönchguterinnen zum Zwecke seiner Dialektstudien in die fröhlichste Unterhaltung ziehen kann. Das hiesige Plattdeutsch klingt aus dem Munde der Männer eben nicht angenehm, weil sie es gar zu arg dehnen; viel lieblicher, kaum wieder zu erkennen, klingt dieselbe Sprache im zungenfertigeren Frauenmund, besonders wenn schöne Augen über ihm zum Unverstandenen den erquickenden Commentar liefern.

Der Mann meines Empfehlungszettelchens war leicht gefunden, und an einem Tische vor dem „Kruge“ sitzend, hatten wir uns bald in unseren Gegenstand, das Leben und die Sitten der Mönchguter, eifrig vertieft.

„Und wie steht’s,“ fragte ich unter Anderem, „mit dem sogenannten ‚Jagen‘ der Mädchen?“

„Auch diese noch bestehende Sitte ist wenigstens falsch gedeutet worden. Allerdings haben Wittwen und Mädchen das Recht, um einen Mann zu werben, aber dies geschieht nur, wenn sie eine Wirthschaft besitzen oder ihnen ein Ackerhof durch Erbschaft zugefallen ist. Eine solche schickt, wenn sie nicht eine besondere Neigung für einen Bestimmten hat, einen befreundeten Mann mit einer Liste ab, auf welcher diejenigen Mannsleute verzeichnet sind, die ihr gefallen. Dann heißt es aber nicht ‚Jagen‘, sondern mit dem richtigen Fischerausdruck: Sie stellt nach Dem und Dem aus. Wenn freilich dieses Ausstellen oft fruchtlos gewesen ist, so mag wohl gesagt werden: Sie jagt das ganze Land durch. Uebrigens gereichen noch so viele derartige ‚Körbe‘ der Ehewerberin keineswegs zum Nachtheil. Aber haben Sie schon von den Eheproben der Mönchguter gehört?“

Ich mußte dies verneinen.

„Das ist der seltsamste aller alten Bräuche, durch welchen mancher unglücklichen Ehe vorgebeugt wurde und der noch jetzt hie und da vorkommt. Wollen sich nämlich zwei junge Leute heirathen, so leben sie erst eine Zeitlang zusammen, um zu prüfen, ob sie auch zu einer zufriedenen Ehe zusammenpassen. Es thut der Ehre keines Theils Eintrag, wenn sie wieder auseinandergehen; schon manches Pärchen hat sogar die Probe wiederholt. Nur wenn die Zusammenlebenden sich folgenreiche Eherechte herausgenommen haben, müssen sie ungesäumt den Bund schließen.“

„Um so seltener,“ fuhr mein Begleiter fort, „waren ehedem Vergehen gegen die Sittlichkeit; die Gefallene sah sich zur entsetzlichsten Strafe nicht blos auf dieser Halbinsel, zur Ausstoßung aus aller Gemeinschaft mit den Einwohnern, verdammt. Noch aus den dreißiger Jahren erzählt man die Geschichte eines von einem Fremden verführten bildschönen Mädchens, das nach kurzer Zeit vor Gram über die öffentliche Schmach gestorben ist. Seitdem jedoch die größtentheils hoch und schlank gewachsenen jungen Mönchguter, trotz ihrer Wasserrattennatur, häufig nach Berlin zur Garde gezogen werden, droht dieser Sittenreinheit manche Gefahr.“

Sehr wohlthätig ist der Anblick der durchschnittlichen Wohlhabenheit. Ackerbau, Fischfang, besonders auf den Häring, und die Lootserei sorgen dafür, daß die etwa fünfzehnhundert Menschen des Mönchguts keine Noth leiden und keine fremde Hülfe brauchen, nicht einmal zum Heirathen, denn sie bleiben auch in dieser Beziehung unter sich. Und lustig ist das Völkchen bei seiner Rastlosigkeit. Das Schäkern der mit Netzestricken oder sonstigen Arbeiten beschäftigten Mädchen mit Alt und Jung erfreute uns fast vor jeder Thür bei unserem späten Abendgang durch den Ort im süßen Ländchen.

Am Morgen holte mein Begleiter, bereits festlich angethan, mich zeitig ab, um mich bei den beiden Familien der Brautleute einzuführen, welche heute ihre Hochzeit feierten. Die Braut war in Middelhagen daheim, der Bräutigam ein Lootse von Lobbe. Wir gingen zuerst in das Brauthaus und nahmen hier die Einladung für das Fest an, dann wanderten wir das halbe Stündchen nach Lobbe hinüber, um auch den Bräutigam und die Seinen zu begrüßen.

Die Sitte schreibt nämlich vor, daß jedes der Brautleute seine Verwandten und Freunde für und zu sich einladet und für sie auch die Kosten des Hochzeitschmauses allein trägt. Beide Theile versammeln sich auch nicht gemeinsam in einem Hause, sondern beginnen das Fest in derselben Geschiedenheit. Ist eines der Brautleute von einer anderen Ortschaft her, so wählt es wohl für sich und seine Gäste das Haus eines Verwandten im Kirchdorf. Die Herrlichkeit selbst beginnt am Nachmittag.

Wir begaben uns in’s Brauthaus. Die herzliche Begrüßung durch die Brauteltern und ein wenig scheues Anstaunen des Fremden von Seiten der Gäste, das war Beides nichts Auffälliges. Erst jetzt sah ich die Braut, ein schönes, stattliches Mädchen, und zwar in ihrem Schmuck. Farbe und Schnitt dieser Kleidung sind wie gewöhnlich, nur kam mir Alles zierlicher vor. Auf dem Haupte trug sie über dem heute nicht unter der dicken Wollmütze versteckten Haar, das vielmehr ganz besonders frisirt, mit Eiweiß geglänzt und aufgesteift war, einen Kranz und darüber eine Krone, beide von Buchsbaum, dessen Blätter stark von Gold- und Silberschaum schimmerten. Eine Guirlande von Buchsbaum und Blumen schmückte ihre schöne Büste wie eine Ehrenkette.

Der Zug setzte sich, ohne Bräutigam, in Bewegung. Als wir auf dem Kirchhofe ankamen, rückte von der anderen Seite der Bräutigamszug herein. Hier erst begrüßten sich die Brautleute, indem der Bräutigam seiner Verlobten die Hand reichte. Und nun nahm die Braut Abschied von ihren Eltern und Freundinnen, und obwohl ihr Schicksal sie nur eine halbe Stunde weit vom Heimathdorf führte, flossen da doch der Thränen so viel, als ging’s direct nach Amerika.

Auch der Bräutigam erschien in der gewöhnlichen Sonntagstracht, nur mit einem Strauß an der Brust und einen großen weißen Halstuch, einem Brautgeschenk, mit dem es eine besondere Bewandtniß hat. Die Zipfel desselben dürfen nur in dem Fall vorne lang herunterhängen, wenn der Bräutigam ein treuer Junggesell geblieben; außerdem müssen sie eingesteckt werden.

Unser Bräutigam ließ sie lang flattern, und es war ein stolzer Blick, den die Braut darauf warf, als sie an seinem Arm in die Kirche und zum Traualtar schritt.

Nach der Trauung führte der junge Ehemann seine junge Gattin, die wir aber noch immer Braut heißen, diesmal die Dorfmusik voran, die Gäste hinterdrein, von denen einige mit bunten Bändern geschmückte Kränze auf hohen Stangen trugen, blumenstreuende Kinder dazwischen und Jubel ringsumher, bis zum sogenannten Warmbierhause, wo er sie entließ, um mit allen männlichen Gästen in’s Bräutigamshaus zurückzukehren, während alle weiblichen hier zurückblieben.

Ob wohl keine Ausnahme mit den Fremden gemacht wird? Ich flüsterte dies meinem Begleiter zu und dieser vermittelte es, daß ich wenigstens die Einleitung dieser weiblichen Separatfeier mit ansehen durfte.

Nachdem man allerseits Platz genommen, überreichte eine

  1. Zwei Ellen Rasch und ein Pfund Wolle giebt eine gute Pathenmütze.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_215.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)