Seite:Die Gartenlaube (1869) 207.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und Waldheegen und machen ihre Hauptbeute in den Frühstunden des Tages, wo selbst die dem zarten Vogel empfindlichen Nachtfröste den mächtigen Drang des Minneschlags oder der wohlbekannten Paarungsrufe nicht ganz zu bewältigen vermögen. Da der Zug der Nachtigall theils durch den Einfluß der Witterung, theils durch die fesselnde Beschaffenheit der unterwegs besuchten Herbergen unterbrochen wird und die Natur sie überhaupt auf ein Wandern von Strecke zu Strecke angewiesen hat, so läßt es sich denken, daß sie der Gefahr, gefangen zu werden, öfters ausgesetzt ist und manches Männchen in der alten Heimath vergeblich erwartet wird, weil es in dem Käfig oder Tuch eines Vogelhändlers vielleicht hundert Stunden oder Meilen weiter südlich zu Markte getragen wird.

Aber auch das Beschneiden unserer Hecken, das Vorwalten der Nutzen und Gewinn bringenden Behandlung unserer Gärten, das Auslichten der Gehölze, kurz, die ewig Wandlung und Veränderung bewirkende Cultur entfremdet uns die beliebten Sänger in hohem Maße. Verderblicher jedoch, als der Fang und jene örtlichen Störungen oder die gefahrdrohenden Zufälligkeiten und Entbehrungen auf der Wanderung, sind die Nachstellungen von Seiten der Italiener, welche im Herbst, wo der Genuß süßer Früchte die Vögel feist gemacht hat, mit rücksichtsloser Grausamkeit unter vielen anderen Sängern auch eine Menge von Nachtigallen zur Befriedigung des lüsternen Gaumens der Feinschmecker tödten.

Eine Nachtigall zu fangen fällt jedem leicht, der mit einem Schlaggarn umzugehen weiß und sich eines zappelnden Mehlwurms als Lockspeise bedient. Der Erwerbsinn, welcher nichts übersieht, was irgend wie auszubeuten wäre, hat dafür gesorgt, daß in größeren Städten das Schlaggarn in den Handel gekommen ist. Seine Einrichtung beruht auf denselben Grundsätzen, wie diejenige der gewöhnlichsten Art von Mausfallen, welche von umherziehenden Mausfallenkrämern feil geboten werden. Eine gewundene Feder von Draht verursacht das rasche Zuschnellen des in Halbkreisform gebogenen Drahtes, an welchem das Garn mit ziemlich kleinen Maschen befestigt ist. Ohne alle Bedeckung durch Blätter oder Gras stellt man das Schlaggarn mit einem an einem Häkchen mit dem Hintertheil angehängten oder in ein Stellholz geklemmten Mehlwurm da hin, wo sich die Nachtigall gern aufhält. Die beliebte Stelle wird von der Verscheuchten alsbald wieder besucht, wenn man sich in geeignete Entfernung zurückgezogen hat. Ihr scharfes Auge entdeckt unverzüglich den Mehlwurm. Mit vorgestrecktem und schiefgehaltenem Kopf blickt sie gierig hinab, giebt ihre Erregung und freudige Ueberraschung durch ein wie „tack“ klingendes Schnalzen und ein liebliches Knarren, das mit „vit gerr“ bezeichnet werden kann, zu erkennen und hüpft mit gesenkten Flügeln und abwechselnd auf und nieder schlagendem Schwanz von einem Zweig zum anderen zu Boden. Hier angekommen, fällt sie keineswegs ungestüm über den Mehlwurm her, sondern nähert sich ihm in bedächtigen Sprüngen, mit Blicken ihn musternd, welche die Vermuthung geben können, als traue sie nicht recht.

Sie beugt sich dann mit gestrecktem Leibe vor, um sich des Mehlwurms zu bemächtigen, schnappt nach ihm und wird im Nu von dem zuschlagenden Garn bedeckt. Tritt aber der Fall ein, daß das Garn fehlschlägt oder sie in dem Augenblick entschlüpft, wo eine ungeschickte Hand sie aus den Maschen des Netzes befreien will, so weiß sie oft ebenso klug den ferneren Nachstellungen auszuweichen, wie ihrer Vorliebe für Mehlwürmer zu widerstehen. Mit wahrer Verachtung würdigt sie den zappelnden Mehlwurm nunmehr kaum eines Blickes, fängt in der Nähe Spinnen und Käferchen, Fliegen und Nachtschmetterlinge, hüpft vorsichtig um das Netz herum, wendet die dünnen Blätter, Larven suchend, um und widerlegt durchaus den Ruf ihrer Dummdreistigkeit.

Auf Grund dieser letzteren Erfahrung und Beobachtung empfehlen wir den Freunden und Beschützern der Nachtigallen ein Mittel, welches in den meisten Fällen der Absicht entspricht, die Pläne der Vogelsteller zu vereiteln. Sogleich nach der Ankunft fange man die Nachtigall so oft, als sie sich von dem zappelnden Mehlwurm verführen läßt. Viele Nachtigallen meiden nach ein-, höchstens zweimaliger Deckung die Gefahr, und ihre Verfolger werden bald von ihren vergebliche Fangversuchen ablassen. Auch gelingt es nicht selten, eine der Neigung und Lebensweise der Nachtigall entsprechende Oertlichkeit mit diesen Sängern zu bevölkern, wenn man ein auf dem Zuge befindliches Männchen fängt und ihm einige der äußersten Schwungfedern auszieht, wodurch es genöthigt wird, zu bleiben, jedoch in den Stand gesetzt ist, kleine Strecken, wenn immerhin unbeholfen, zu durchfliegen und den Nachstellungen von Seiten der Raubthiere durch genügend raschen Aufschwung vom Boden sich zu entziehen. Gelingt es dem im Gesange dadurch nicht wesentlich gestörten Männchen ein vorüberziehendes Weibchen an sich zu fesseln so ist es besser, als wenn man anderwärts ein solches suchen und wie das Männchen behandeln muß. Die durch dieses Verfahren erzielten Jungen kehren, wenn ihnen kein Unheil in der Fremde oder auf dem Zuge widerfährt, im nächsten Frühjahr wenigstens zum Theil an den Geburtsort zurück.

Im Spätsommer läßt sich die Nachtigall auch mittels rother Hollunderbeeren fangen, obgleich sie dieselben nicht in dem Maße liebt, wie die schwarzköpfige und die graue Grasmücke. Die erstgenannte dieser Grasmücken ist ein allgemein beliebter Stubenvogel und erfährt darum vielerlei Nachstellungen. In den Sprenkel geht sie sehr ungern, und es führt selbst ein längeres „Anpöschen“ des Vogels gewöhnlich nicht zum Ziele. Sobald der Schwarzkopf den Sprenkel bemerkt, stößt er den ihm eigenen Angstton „Döh“ aus, bleibt eine Zeit lang unbeweglich sitzen, als ob ein Raubvogel sich gezeigt hätte, dann aber sträubt er die Federn der schwarzen Kutte und hüpft gätzend um die rothen Beeren, wobei sein Begehren mit dem erregten Mißtrauen kämpft und in den meisten Fällen überwunden wird. Mit sicherem Erfolg wird dagegen das Schlaggarn angewendet, welches jedoch zu diesem Zweck einen Durchmesser von mindestens einem Fuß haben und mit Laub bedeckt werden muß. Ehe aber dasselbe gestellt wird, befestigt man an den Zweigen des Gebüsches den Traubenhollunder und steckt auch ein mit diesem versehenes Stöckchen mit Aestchen, worauf die Vögel Fuß fassen können, in den Erdboden. Hat man so allmählich die Thierchen herabgewöhnt und vertraut gemacht, dann stellt man das Schlaggarn mit dem Hollunderköder, und der Erfolg ist gesichert. Die ganze Schwarzkopffamilie ist übrigens um die Zeit der Reife dieser Beeren noch vereinigt, und wenn man es auf das alte Männchen abgesehen hat, so muß man gewärtig sein, daß ihm ein junger Naseweis zuvorkommt und durch sein Schicksal den zurückhaltenden Vater zur Vorsicht mahnt. Nicht ganz so leicht, aber bei einiger List und Sorgfalt läßt sich die graue Grasmücke in derselben Weise fangen. Sie läßt sich gewöhnlich wie der Schwarzkopf von einem Zweige des Busches nahe der Erde plump auf die Beeren nieder.

Beide Grasmückenarten erscheinen ihrer Lebensweise nach im Spätsommer und Herbste wie umgewandelt. Im Frühling sind sie die flinken, unruhigen, im Gebüsch und auf Bäumen bald in der Tiefe, bald hoch in den Kronen hin und her wandernden Sänger; im Herbst aber ist die Zeit des Fettansatzes und der Trägheit. Treten wir in warmer Mittagsstunde unter einen alten Hollunderbaum, um uns die faule Gesellschaft zu betrachten. Der unkenartige Ton des Schwarzkopfs „Döh“ ist das Erste, was wir vernehmen. Noch liegt der Vogel platt auf dem Bauch und läßt Flügel und Schwanz lose herabhängen. Er kann sich kaum entschließen, sich aus der behaglichen Ruhe zu erheben. Nur langsam hüpft er nach Ausreckung der Glieder von Ast zu Ast weiter. Ihm zur Seite sitzt in gleicher Weise eine graue Grasmücke, über und unter ihm ruhen junge und alte Schwarzköpfe. Junge und alte „Müllerchen“ (klappernde Grasmücken) lugen neugierig herab und gätzen, und an der Außenseite des Baumes, der Sonne zugekehrt, sind der große und der kleine Weidenzeisig mit Familie beschäftigt, Insecten zu fangen und von den Zweigen und Beeren abzulesen und dazwischen eine der letzteren zu verschlucken. Eben läßt sich eine graue Grasmücke vom Nachbarbaume hoch oben auf eine Dolde nieder und zerrt Beeren lüstern los und verschlingt sie in Eile. Ein altes Fitismännchen scheint von Lenz und Liebe zu träumen, den leise entringt sich seiner Kehle die rührende Strophe und noch leiser lispelt der kleine Weidenzeisig sein „Tiltell“. Nach und nach verläßt die ganze Gesellschaft den Baum, da beim Anblick unserer Gestalten es ihr doch allmählich unheimlich geworden ist. Aus der Trägheit gerüttelt, drückt ein ausgemauserter Schwarzkopf seine Belebung durch den überraschenden Ueberschlag aus, der sich aus dem Gezwitscher der jungen melodisch heraushebt.

Aber der eigentliche Beweggrund des Gesanges fehlt - die süße, mächtige Liebe. Aus den jungen Nachtigallen, Schwarzköpfen

und grauen Grasmücken, welche man im Herbste fängt oder gar

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_207.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)