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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

bessere Zeit für Veronika an, und man glaubte vielfach, eine Pflicht der Pietät gegen Hebel selbst zu erfüllen, wenn man sich der Frau annahm. Der Name Hebel’s hat mit Recht einen guten Klang in seinem Vaterlande, und es leben noch manche von seinen Schülern, die ihn hoch ehren. Aus den Oberländer Gegenden kamen auch Beiträge zur Sammlung, und so konnte bald eine nicht unbedeutende Summe bei der Sparcasse angelegt werden, von welcher Vreneli, je nach Bedürfniß, von Zeit zu Zeit die zu ihrem Unterhalt nothwendigen Beträge holen konnte. Dazu kam noch ein äußerer Triumph zur Zeit der beiden Festlichkeiten im Museum und im großherzoglichen Hoftheater zu Ehren Hebel’s, da Jedermann gern das Original seines Vreneli gesehen und gehört hätte. Wir sagen gehört; denn das Vreneli hatte Hebel’sche Gedichte im Gedächtniß, ganz besonders natürlich „Hans und Verene“, welche es auf Verlangen im Dialekt hersagte, und so fand es seinen Weg selbst in die Schulen, wo es sich hören ließ. Bei der am 10. Mai 1860 stattfindenden Festvorstellung im großherzoglichen Hoftheater wurden sechs lebende Bilder nach Hebel’s Gedichten aufgeführt, unter ihnen auch „Hans und Verene“, und hierbei hatte das Urbild der Letzteren seinen Ehrenplatz im Publicum zwischen zwei Hofschauspielern. Es bot jene Aufführung das seltene Schauspiel, daß ein idyllischer Dichter und Prälat von der Bühne herab Huldigung empfing.

Dies war der Höhepunkt der Rolle, zu welcher Vreneli in ihrem Alter noch berufen war, auf dem sie jedoch natürlich sich nicht halten konnte; sie verschwindet wieder aus der Oeffentlichkeit, und wir haben nur noch beizufügen, daß sie ihre letzte Zeit im Diakonissenhaus in Karlsruhe zubrachte, wo sie am 8. Januar d. J. starb. Die neue badische Landeszeitung berichtet darüber in folgender Weise.

„Veronica Rohrer aus Grünwettersbach hat das Zeitliche gesegnet. Veronica Rohrer? werden Sie fragen, was ist denn das für eine hervorragende Persönlichkeit? Antwort: Es ist ‚Hebel’s Vreneli‘, land- und stadtbekannt, und der hiesige Liederkranz hat heute Nachmittag über dem geschlossenen Grabe die letzten Klänge der Huldigung für sie in gleichzeitiger freundlicher Erinnerung an unseren großen Volksdichter bei Anwesenheit einer zahlreichen Menge dargebracht. Einundneunzig Jahre waren dem ‚Vreneli’ auf dieser Welt beschieden; möge ihr, der treuen Dulderin, die Erde leicht sein.“

Sie starb an Altersschwäche, 89 (91?) Jahre alt, nachdem sie noch von einem Augenleiden heimgesucht worden war, und liegt auf der Nordostseite des Karlsruher Kirchhofs, in der Nähe des Preußen-Denkmals, begraben. Der Karlsruher Liederkranz, welcher überhaupt seine Pietät für Hebel’s Andenken in rühmlicher Weise stets bethätigt hat, wird ihr ein kleines Denkmal errichten lassen.

„Und’s Deckbett lit der, dick und schwer
In d' Höchi gschüttlet uffem Herz.
Doch schlofsch[WS 1] im Friede, ’s druckt di nit.
Schlof sanft und wohl!“

Dies ist in kurzen Zügen das Lebensbild des „Meidli“, auf welches Hebel die Idylle von der „Einzigen“ gedichtet hat. Die Selige verleugnete noch in ihren alten Tagen, in welchen sie der Verfasser dieses Aufsatzes kennen lernte, die Eigenschaften nicht, welche sie in ihrer Jugend ausgezeichnet und den Dichter für sie eingenommen hatten. Von dem „Dundersnett“ war freilich nichts mehr vorhanden, aber „flink“ war die alte Frau noch. Dabei trug ihr Aeußeres auch noch Spuren von ihrer vornehmen Abkunft an sich; denn sie hatte keine bäurischen Manieren an sich, und in ihrem Benehmen gab sich eine gewisse Gewandtheit und natürliche Gefälligkeit kund, welche man bei Leuten ihres Standes sonst nicht findet. Trotz ihres langen Lebens im Unterlande blieb sie mit Leib und Seele Markgräflerin und entsagte auch dem bekannten markgräfler Häubchen nicht. Freilich trug sie keine „goldige Chappe, mit de lange Zupfen und mit der längere Hoorschnur“, sondern nur ein kleines Häubchen, gerade hinreichend, um ihre Abstammung aus der Oberländer Gegend zu bekunden. Was die alte Frau besonders auszeichnete, war die ungemeine Munterkeit und die sich bis zur Begeisterung steigernde Lebhaftigkeit, wenn von Hebel die Rede war. Dazu kam noch die Ueberzeugung, die sie bei jeder Gelegenheit aussprach, daß der Herr „Prälat“ bei längerem Leben gewiß für sie gesorgt haben würde. Man muß die Frau selbst gesehen und beobachtet haben, um die Meinung Einiger, das Urbild sei nicht echt gewesen, als unrichtig mit Entschiedenheit betrachten zu können.

Das bisher Gesagte giebt uns schon den Fingerzeig zu einer richtigen objectiven Beurtheilung des Verhältnisses Hebel’s zu Vreneli. Wir müssen auch die leichteste Vermuthung einer gewöhnlichen Herzensangelegenheit hier zurückweisen. Hebel blieb zwar unverheirathet, war aber doch ein großer Verehrer des weiblichen Geschlechts und liebte besonders den Umgang mit Künstlerinnen; doch der Sänger des Liedes „Freude in Ehren“ wandelte stets „in der Unschuld G’leit mit Zucht und Sittsamkeit“. Selbst in den reichen Schatz von Anekdoten über ihn findet sich nicht eine, welche einen erotischen Charakter hätte, und Hebel entfernte sich nie über die Grenze der Sittlichkeit und des Anstandes, sondern hielt sich stets dem weiblichen Geschlecht gegenüber bescheiden zurück, ohne seinem Stande etwas zu vergeben, so daß von einem Liebesverhältniß auch hier nicht die Rede sein kann. Diesen Charakter bewahrte auch sein zartes Verhältniß zu Gustave F. Sein Gedicht ist der joviale Erguß eines augenblicklich angeregten Gemüthes, die Schilderung eines angenehmen Eindruckes, den der Dichter selbst wieder im weiteren Verlaufe einem Dritten zuweist. Ueberhaupt hält sich Hebel gern im Hintergrunde, er schickt seine Gestalten vor und tritt bescheiden wieder zurück. Hebel’s Gedichte sind die Erzeugnisse des Heimweh’s, aber dieses Heimweh war kein düsterer, finsterer Geist, der lebensüberdrüssig in tiefem Trübsinn hinbrütete, sondern ein sanfter, stiller Genius, der mit freundlich grüßendem Blick nach dem heimathlichen Thale zurückdeutete: „Dort schwebt mi muntere Blick, und schwebe mini Gidanke.“ Kein anderer Grundton darf in seinen Gedichten gesucht werden, am wenigsten der einer romantischen Liebe!

Für denjenigen Theil des Publicums, welchem Personen und Sache, auch Hebel’s Gedichte besonders um ihres Dialekts willen ferner liegen, wird die hier mitgetheilte anspruchslose Erzählung wenigstens das Interesse haben, daß sie einen neuen Beweis liefert, wie liebliche Jugenderinnerungen eine belebende, verjüngende Kraft haben, daß sie einen verklärenden Schein auf die Schatten des späteren Alters werfen, daß die Jugendideale nicht welken oder sterben und daß die Poesie auch das Geringste und Kleinste zu adeln vermag.




Von den Geheimnissen der Vogelstellerei.

Von Karl und Adolph Müller.
3. Nachtigall und Grasmücke und das Schlaggarn.

Allgemein ist die Klage über Verminderung unserer Nachtigallen. Weniger empfindlich zeigt sich die Abnahme der Bevölkerung dieser edelsten Sänger in den englischen Anlagen, nahe den Städten, wo das Auge der Polizei mit einer Schärfe wacht, welche die List des schlauesten Vogelstellers durchschaut, und die Strafe jeden noch so begierigen Fänger schreckt, so lange das Ehrgefühl nicht unter der Macht seiner Leidenschaft gelitten hat. Aber in Gegenden, wo die diesen eigensinnigen und wählerischen Vögeln zusagenden Oertlichkeiten nur vereinzelt zu finden sind, muß es der Wanderer oder Spaziergänger für ein besonderes Glück halten, wenn ihm Tags oder Abends der unvergleichliche Schlag der Königin des Gesanges zu Ohren dringt. Das Publicum hat eben so sehr ein Recht und Interesse, nach den Ursachen der Entvölkerung zu fragen, als es Pflicht der Naturkundigen ist, dieselben zu erforschen und bekannt zu machen.

Sehen wir uns zunächst in unserer Umgebung um, so finden wir in dem Wegfangen der Nachtigallen einen unverkennbaren Grund ihrer Verminderung. Leichter läßt sich wohl kein Vogel fangen als dieser arglose. Die Vogelhändler durchziehen im Frühjahr von der Mitte des April bis Mai die Thäler, Gärten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schloffch
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_206.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)