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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

schon alle eine Stunde vor dem anberaumten Termin da. Nicht leicht war mehr Schmutz, lumpige Kleidung und Elend beisammen gesehen worden. Einige waren junge Männer, andere wahre Kinder, nur sechs Jahre alt. In Haltung und Aussehen waren sie sehr verschieden. Manche sahen gut und frisch, wie Knaben aus anständigen Familien, aus; andere trugen die Spuren aller Laster auf den Zügen. Anfangs war ihr Benehmen sehr unordentlich. Wüstes Geschrei, Flüche, Katzengeheul, Hundegebell – kurz jede Art von Tönen ließ sich hören. Neunzehn hatten ihre Eltern noch, neununddreißig nur noch den Vater, achtzig waren Doppelwaisen. Fünfzig waren professionirte Bettler, sechsundsechzig notorische Gewohnheitsdiebe. Als eine nähere Untersuchung ergab, daß die meisten Diebe waren, erhob sich ein ungeheurer Applaus. Viele waren bereits im Gefängniß gewesen und zwar schon mehrmals; darunter fünf zwanzigmal, sechs vierundzwanzigmal, einer neunundzwanzigmal.

Je öfter einer im Gefängniß gewesen, desto größeren Beifall spendete ihm die Versammlung. Als ein neunzehnjähriger Bursche erklärte, daß er schon neunundzwanzigmal eingesperrt gewesen sei, brach ein wahrer Sturm des Beifalls, ein dröhnendes Bravo, vermischt mit Händeklatschen und Katzengeschrei, los. Viele bekannten, daß sie von ihren Eltern zum Stehlen abgerichtet oder daß sie in Lodging-Häusern zu Dieben gemacht worden seien. Dreiundsechzig konnten lesen und schreiben, und gerade diese waren der Mehrzahl nach Diebe. Fünfzig erklärten, sie hätten die vulgären Diebsgeschichten und den Kalender von Newgate gelesen, und viele aus diesen betheuerten, daß gerade diese Lectüre sie zum Diebsleben verführt habe. Als sie gefragt wurden, was sie von dem berüchtigten Räuber Jack Sheppard hielten und ob sie sein möchten wie er, hieß es: Ja, wenn die Zeiten wie damals wären. Auf die weitere Frage, ob der Anblick von Hinrichtungen auf sie keinen abschreckenden Eindruck gemacht hätte, erklärten sie, nur das erste Mal, bei oftmaligem Sehen hätten sie sich ganz daran gewöhnt.

Einige mußten auf einen erhöhten Platz steigen und ihre Lebensgeschichte erzählen. So oft nun einer seine Diebereien berichtete, riefen die Andern: Schön, sehr gut! Sobald aber einer bekannte, daß er in den Logir-Häusern zum Fall gebracht worden sei, wurde ihm gedroht und zugerufen, er solle schweigen. Alle gestanden, unglücklich zu sein und an ihrer Lage keinen Gefallen zu finden. Mayhew richtete darum die Frage an sie, ob sie ihr gegenwärtiges Leben verlassen wollten. Einstimmig wurde mit Ja erwidert. Und als er constatirte, daß ihr Unglück aus den Lodging-Häusern stamme, gaben sie es Alle zu. Hierauf wurde darüber berathen, wie ihnen geholfen werden könne.

Zuletzt machte Mayhew ein Experiment, indem er ihnen erzählte, daß er schon oft alte notorische Diebe bei sich empfangen habe und daß ihm auch nicht um sechs Pence Werth weggekommen sei. Einmal hätte er einem Dieb einen Sovereign gegeben, um ihn wechseln zu lassen, und dieser habe das Geld wirklich zurückgebracht. Er frug sie nun, ob sie in gleicher Weise handeln wollten. Einige riefen, sie wollten es, Andere, sie wollten es nicht; und wieder Andere, sie wollten es nur ihm, aber keinem Andern. – Darauf gab Mayhew einem Buben von dem schlechtesten Aussehen, welcher bereits sechsundzwanzigmal abgestraft worden war, einen Sovereign, damit er ihn wechseln lasse. Zugleich wurde ihm versichert, daß, wenn er mit demselben entfliehe, ihm kein Leids geschehen solle. Kaum, daß er einige Minuten abwesend war, richteten sich schon Aller Augen gegen die Thür, ängstlich wartend, daß er zurückkomme und die Treue bewähre. Alle fühlten, daß ihre Ehre auf dem Spiele stehe, und Einige erklärten, sie würden den Buben tödten, wenn er nicht zurückkäme. Einige Minuten verstrichen in peinvoller Erwartung, und man begann bereits sein Ausbleiben zu fürchten. Endlich kam er – und nun brach die Freude der Anderen in lauten Jubel aus und sie trugen ihn triumphirend auf die Emporbühne.

Eng an die Diebe reihen sich die professionsmäßigen Bettler an, welche gewöhnlich kleine Entwendungen und Betrügereien nicht verschmähen. Sie ziehen im ganzen Lande umher – Mayhew giebt die Zahl der ständigen Vaganten beiderlei Geschlechts in England und Wales auf hundertzehntausend an. Sie bedecken alle Straßen und bringen mit sich eine Fluth von Unreinlichkeit Immoralität und ansteckenden Krankheiten. Den Tag über betteln sie, Nachts suchen sie ein Workhouse (Arbeitshaus) auf, wo sie zwischen sechs bis zehn Uhr Abends zugelassen werden und diejenigen, welche vor neun Uhr kommen, auch noch Brod und Milchsuppe bekommen. Am anderen Morgen erhalten sie dasselbe zum Frühstück, wenn sie dafür drei Stunden arbeiten wollen. Wegen des Ungeziefers, mit dem sie gewöhnlich bedeckt sind, kann man ihnen nur selten ein Bett geben. In einigen Landstrichen bestehen diese Vaganten zu gleichen Theilen aus Engländern und Irländern, in andern bilden die letzteren zwei Drittel. Einige von ihnen treten hie und da anständig gekleidet auf, und die Lumpen, welche ihre Weiber als Reisebagage mitschleppen müssen, werden erst dann angezogen, wenn sie einem Orte nahe kommen, wo sie betteln wollen. Sie erkundigen sich überall nach den wohlhabenden Leuten, nach ihren Gewohnheiten und Sympathien, endlich auch nach ihren Verwandten, um sich bei ihnen als gute Freunde derselben einzuführen, wodurch mitunter eine gute Beute abfällt. An den Hausthüren, wo sie gebettelt oder gestohlen haben, schreiben sie dem Uneingeweihten unverständliche Hieroglyphen an, die aber den später kommenden Genossen sagen, welch’ eine Art von Geschäft hier zu machen sei.




Hebel’s Vreneli.

 Hans und Verene.

Es gfallt mer numme eini,
Und selli gfallt mer gwis!
O wenni doch das Meidli hätt,
Es isch so flink und dundersnett,

5
     so dundersnett,

I wär im Paredies!

’s isch wohr, das Meidli gfallt mer,
Und ’s Meidli hätti gern!
’s het alliwil e frohe Mueth,

10
E Gsichtli hets wie Milch und Bluet,

     wie Milch und Bluet,
Und Auge wie ne Stern.

Und wenni ’s sieh vo witem,
Se stiigt mer’s Blut ins Gsicht;

15
Es wird mer übers Herz so chnapp,

Und ’s Wasser lauft mer d’Backen ab,
     wohl d’Backen ab,
weiß nit, wie mer gschicht.

Am Zistig früeih bi’m Brunne,

20
Se redt’s mi frei no a:

„Chumm, lüpf mer, Hans! Was fehlt der echt?
Es ist der näume gar nit recht,
     nei gar nicht recht!“
I denk mi Lebtig dra.

25
I ha ’s em solle sage,

Und hätti’s numme gseit!
Und wenni numme riicher wär,
Und wär mer nit mi Herz so schwer,
     mi Herz so schwer,

30
’s gäb wieder Glegeheit.


Und uf und furt, jez gangi,
’s wird jäten im Salat,
Und sag em’s, wenni näume cha,
Und luegt es mi nit fründli a,

35
     nit fründli a,

So bini morn Soldat.

En arme Kerli bini,
Arm bini, sell isch wohr.
Doch hani no nüt Unrechts tho,

40
Und sufer gwachse wäri jo,

     das wäri scho,
Mit sellem hätts ke G’fohr.

Was wisplet in de Hürste,
Was rüehrt sie echterst dört?

45
Es visperlet, es ruuscht im Laub.

O bhüetis Gott der Her, i glaub,
     i glaub, i glaub,
Es het mi näumer ghört.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_203.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2022)