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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

vom Tode bedroht war. An sich selbst dachte sie kaum, und ihr Mann war für sie blos ein Unglücklicher, dessen Geschick für einen Moment mit dem ihrigen verbunden gewesen war. Sie betrachtete ihn nicht mit der Liebe, welche sie für ihre Eltern und ihre Schwestern empfand. Sie hatte ihn nur aus Gehorsam geheirathet, niemals als seine Gattin mit ihm gelebt und ihn überhaupt nur wenige Tage gekannt. Daß ihr Gatte mit Liebe ihrer gedacht habe, möchten wir nicht behaupten, obgleich die Inschrift an einer Gefängnißmauer „Jane“ von seiner Hand herrührt.

Ein toller Aufstand brachte die arme Johanna fast in Vergessenheit. Die Männer von Kent erhoben sich, nicht für Johanna oder Elisabeth, auch nicht gegen die Königin Marie, sondern nur gegen den Plan ihrer Verheirathung mit dem spanischen Philipp. Den Anführer spielte ein Edelmann Wyat, ein Tollkopf und Lebemann, der bei der Flasche für sich warb. Die spanischen Rathgeber Mariens aus dem Lande zu jagen, war ein Plan, der unter den Landedelleuten und Pächtern den rauschendsten Beifall fand. Die Männer von Kent setzten sich in Bewegung und fanden einen solchen Zulauf, daß der Thron Mariens in ernstliche Gefahr gerieth. Wyat stand bereits vor London, dem Tower gegenüber, auf der anderen Seite des Flusses, als sein gutes Herz ihn einen verhängnißvollen Fehler begehen ließ. Vom Tower wurde ein Feuer auf die ärmlichen Häuser eröffnet, die er besetzt hielt, und die Eigenthümer baten ihn so flehentlich, sie nicht um ihr einziges Besitzthum zu bringen, daß er abzog, um den Uebergang über die Themse, der ihm an diesem Punkte sehr leicht geworden sein würde, weiter oben zu suchen. Dort fand er aber die Brücken abgebrochen, und als er endlich mit seinen stark zusammengeschmolzenen Männern von Kent das andere Ufer erreichte, stand ihm eine ganze Armee gegenüber, vor der er die Waffen streckte.

Der Tower bekam neue Bewohner. Der Aufstand der Männer von Kent machte die Königin den grausamen Einflüsterungen Renard’s geneigt. Die Hinrichtung Johanna’s, die doch vielleicht gefährlich werden konnte, wurde beschlossen. Am Aschermittwoch, sieben Monate nach ihrer neuntägigen Regierung, wurde ihr angezeigt, daß sie zu sterben habe. Pater Feckenham, der Beichtvater der Königin, ein rauher, kein schlechter Mann, übernahm die Botschaft. Er staunte über das demüthige Lächeln, mit dem Johanna seine Ankündigung annahm. Ihre Ergebenheit kam ihm unnatürlich, fast unchristlich vor. Was er auch mit dem Eifer eines Priesters, der die Macht, zu binden und zu lösen, in seinem Besitz weiß, zu ihr sprechen mochte, immer blieb sie ruhig und mild, mit Gott und mit der Welt im Frieden. Endlich bat sie ihn, sie zu verlassen, da sie die wenigen Stunden, die sie noch zu leben habe, alle zum Gebet brauche.

Pater Feckenham kehrte zur Königin zurück, um ihr mit Bestimmtheit zu erklären, daß die Hinrichtung am nächsten Morgen nicht stattfinden könne. Es sei nicht möglich, dieses Mädchen in einem kurzen Wintertage zu bekehren! Die Königin willigte ein, aber als ihr Beichtvater von einer zweiten Unterredung mit dem armen Opfer zurückkehrte und gestehen mußte, daß alle seine Bemühungen vergeblich gewesen seien, gerieth sie vor Wuth außer sich. Einer ihrer Secretäre mußte den Befehl zur Hinrichtung ausfertigen, ein zweiter Johanna’s Vater aus seinem Gefängniß in der Nähe von London herbeiholen. Es giebt Mittel, die Bitterkeit des Todes zu vermehren, und die blutige Marie studirte und benutzte sie alle. Sie konnte Johanna und ihren Mann in den letzten Lebensstunden von einander trennen; sie konnte Guilford unter Johanna’s Fenster zur Hinrichtung führen lassen; sie konnte Befehl geben, daß der Karren mit seiner Leiche vor ihrer Thür vorbeifahre; sie konnte das Blutgerüst vor Johanna’s Augen aufschlagen lassen; sie konnte den Vater zwingen, die Tochter sterben zu sehen; sie konnte Johanna einen Geistlichen ihres Glaubens verweigern; sie konnte sie durch Jesuiten und andere Bekehrer quälen lassen. Das Alles konnte Königin Marie thun, und das Alles that sie.

Die Priester, welche die Königin in den Tower schickte, waren Johanna’s schlimmste Folter. Sie ließen sich nicht abweisen, drängten die beiden Hofdamen zurück und gingen nicht wieder, wenn sie einmal im Zimmer waren. Die langen Berichte, welche diese Jesuiten über ihre mißglückten Bekehrungsversuche veröffentlicht haben, mischen Wahres und Falsches durcheinander. Am Montag sollte die Hinrichtung stattfinden und erst am Sonntag ließen die Peiniger von Johanna ab. Sie betete und sagte ihrem Vater, dessen Nähe sie nicht ahnte, und ihrer Schwester Katharine ein schriftliches Lebewohl. Eine letzte Zusammenkunft, um die ihr Gemahl bat, lehnte sie ab. Ein Theaterabschied schicke sich nicht für sie, ließ sie ihm sagen.

Am nächsten Morgen war es noch nicht Tag, als die Zimmerleute vor ihrem Fenster bereits das für sie bestimmte Blutgerüst errichteten. Als sie hinaussah, marschirten eben die Bogenschützen vorbei, die ihren Gatten zum Tode führten. Sie setzte sich mit gefalteten Händen nieder und wartete, bis die Reihe an sie komme. Eine Stunde ging langsam vorüber, und dann hörte sie einen Karren auf dem Pflaster rollen. Sie wußte, was er enthalte, und wollte an’s Fenster treten. Ihre Edelfräulein, beide in Thränen aufgelöst, suchten sie zurückzuhalten, aber Johanna schob sie sanft zur Seite, blickte hinaus und winkte der Leiche ihres Gatten ein Lebewohl zu.

Jetzt wurde sie geholt. Ihre Damen vermochten kaum zu gehen, aber sie schritt festen Ganges, mit dem Gebetbuch in der Hand, durch die Reihen der Soldaten, bestieg das Blutgerüst, wendete sich gegen den Haufen der Zuschauer und sagte mit sanfter Stimme: „Ihr guten Leute, ich komme hierher, um zu sterben. Was gegen der Königin Majestät geschah, war ungesetzlich, aber was meinen Antheil dabei betrifft, so wasche ich vor Gott und vor Eurem Angesicht meine Hände in Unschuld.“ Sie machte eine Pause und fuhr fort: „Ich bitte Euch Alle, Ihr guten christlichen Männer, mir zu bezeugen, daß ich als wahre Christin sterbe und meine Seligkeit blos von Gott und von dem Blut erhoffe, das sein Sohn, unser Herr Jesus Christus, für uns vergossen hat. Und nun, Ihr guten Leute, unterstützt mich, so lange ich noch lebe, mit Eurem Gebet.“ Sie kniete nieder und fragte den Pater Feckenham, der auf Marie’s Befehl allein neben ihr sein durfte: „Darf ich diesen Psalm beten?“

„Ja,“ stammelte der Priester, gerührt von der Unschuld und dem Muth dieses jungen Mädchens, und nun sprach sie mit heller Stimme:

„Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.“

Als sie die letzten Worte gesprochen hatte, stand sie auf, zog die Handschuhe aus, schenkte ihr Gebetbuch einem der Officiere, die im Gefängniß die Wache gehabt hatten, und knöpfte ihr Kleid oben auf. Dem Henker, der ihr helfen wollte, schob sie die Hände sanft zurück und band sich ihr weißes Taschentuch um die Augen. Der maskirte Scharfrichter sank ihr zu Füßen und bat sie um Verzeihung. Sie flüsterte ihm einige beruhigende Worte in’s Ohr und sagte dann laut: „Ich bitte Sie, verfahren Sie rasch.“ Vor dem Block niederknieend, fühlte sie mit geöffneten Händen nach ihm. Einer der Umstehenden führte ihre Arme nach dem Platze, den sie suchte, worauf sie das schöne Haupt niederlegte und mit den Worten: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ zur ewigen Ruhe einging.




Die Hörnerschlittenfahrt im Riesengebirge.

Trotz der Eisenbahn, die seit zwei Jahren von allen vier Winden in die nächste Nähe unseres Gebirges führt, entspricht wenigstens der Winterbesuch desselben durchaus nicht den gehegten Erwartungen. Nicht die Zeitverhältnisse allein tragen daran die Schuld, sondern weit mehr der Mangel an Kenntniß von den großartigen Winterschönheiten unseres Gebirges. Auf einige dieser Reize aufmerksam zu machen, erachte ich für meine Pflicht. Es geschieht nicht blos im Interesse meines heimathlichen Winkels, nach Seume ja eines der „reizendsten der Erde“, sondern auch im Interesse Derer, welche Naturschönheiten zu würdigen wissen und sich den Hochgenuß einer Winterpartie in’s Riesengebirge nicht zu versagen brauchen.

Die meiste Beachtung verdient unbedingt die wundervolle Beleuchtung der mit Schnee und Eis bedeckten kolossalen Gebirgsmauer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_186.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)