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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wurde sie in London unter lautem Jubel als Königin ausgerufen. Schön war der Tag, häßlich der Abend. Die arme Johanna sollte erfahren, daß sie ein Spielwerk fremden Ehrgeizes und an einen eiteln, eigensinnigen und schwachen Mann verheirathet sei. Man hatte ihr die Krone gebracht und dabei bemerkt, daß „die andere Krone“ schon bestellt sei. Für wen sollte diese zweite Krone gemacht werden? Für ihren Mann, Lord Guilford, wurde geantwortet, der mit ihr zugleich gekrönt werden solle. Verletzt und schweigend saß sie da, als ihr Gemahl in’s Zimmer trat. Da stand sie auf und sagte ihm, eine Krone sei kein Spielzeug für Mädchen und Knaben, zum Herzoge könne sie ihn ernennen, aber nur das Parlament habe die Macht, ihn zum König zu machen. Guilford begann zu weinen und lief aus dem Zimmer. Nach wenigen Minuten kam er mit seiner Mutter zurück und wiederholte schluchzend, König wolle er sein, Herzog sei ihm nicht genug. Die Königin blieb fest, und nach einer heftigen Scene führte die Herzogin von Northumberland ihren Sohn an der Hand mit sich fort, indem sie erklärte, daß er mit einer undankbaren Frau nicht leben sollte.

Am nächsten Tage kam eine böse Nachricht. Die Ritter, welche mit der Gefangennahme der Prinzessin Marie beauftragt worden waren, hatten das Nest leer gefunden. Trotz aller Veranstaltungen Northumberland’s war der Tod des Königs nicht verschwiegen geblieben. Der böse Graf Arundel hatte der Prinzessin Botschaft geschickt, daß ihr Bruder gestorben und sie in Leben und Freiheit bedroht sei. Rasch hatte sie sich auf’s Pferd geworfen und war die ganze Nacht durch geritten, bis sie jenseits der Ebenen von Suffolk ein festes Schloß erreichte, wo sie sich als Königin ausrufen ließ. Von dort erließ sie nach allen Seiten Aufforderungen, sich um sie, die rechtmäßige Königin, zu schaaren. Die Männer, welche ihr zuströmten, waren fast alle im Herzen gut englisch und gut protestantisch. Wohl befürchteten sie, daß Marie sich von ihren Beichtvätern und von ihren spanischen Freunden locken lassen werde, aber sie wollten es lieber auf diese Gefahr ankommen lassen, als auf einen Bürgerkrieg, der, einmal begonnen, lange dauern und einen furchtbaren Charakter annehmen konnte.

Noch hatte kein Monarch eines anderen Glaubens auf dem Thron gesessen, und erst die blutige Marie – diesen Namen hat die Geschichte ihr gegeben – sollte die Engländer durch ihre Scheiterhaufen belehren, was es heißen will, wenn eine Schülerin von Inquisitoren über ein protestantisches Volk herrscht. Jetzt glaubte man nicht, daß sie viel Schaden thun könne. Sie stand allein, war kränklich und starb wahrscheinlich bald, ohne einen Sohn zu hinterlassen. Dann fiel der Thron an ihre Schwester, die starke und schöne Elisabeth, die an Leib und Seele eine Engländerin war. Was Marie krumm gebogen hatte, richtete Elisabeth gewiß wieder gerade. Mithin war es besser, Mariens Regierung eine Zeitlang zu ertragen, als einen neuen Thronstreit hervorzurufen. Vor allen Dingen sprach das natürliche Recht für Marie. Sie war die älteste Tochter Heinrich’s des Achten, die nächste Thronerbin. Dieses Recht hatte ihr durch keine Scheidungsklage und durch keinen Parlamentsbeschluß genommen werden können.

Die vornehmen Herren hatten sich für Johanna erklärt, die Landedelleute, Bürger und Bauern sprachen sich für Marie aus. Kaum war ihr Banner erhoben, so strömte ihr das Volk in hellen Haufen zu und aller Orten riefen die Sturmglocken sie zur Hülfe. Die vornehmen Herren in Johanna’s Umgebung hielten einen Rath. Truppen mußten abgeschickt werden, aber wer sollte den Befehl übernehmen? Graf Arundel richtete seine Schlangenblicke auf den Herzog von Northumberland, den natürlichen Beschützer Johanna’s, den er entfernen mußte, um die Aermste verrathen zu können. „Der Herzog,“ sagte er, „sei der Feldherr der Partei, mit den aufrührerischen Gegenden bekannt und bei dem Volke wegen oft bewiesener Strenge in lebendigem Andenken.“ Northumberland fügte sich, indem er blos bemerkte: Er wisse ja, daß er die Königin in guten und treuen Händen lasse. Wenn große Namen und tüchtige Generäle den Ausschlag zu geben hatten, so war Marie jetzt verloren. Lauter große Herren, meistens in Kriegen bewährt, waren es, die mit dem Herzog in’s Land ritten, aber es waren Officiere ohne Soldaten, Lords ohne Gefolge. Northumberland bemerkte die Stimmung des Volks noch in London selbst. „Die Leute drängen sich auf unserem Wege zusammen,“ sagte er zu einem Begleiter, „aber nicht ein Einziger ruft: Gott sei mit Euch!“

Marie ergriff vor dem heranrückenden Feinde die Flucht. In einem einzigen Tage machte sie zu Pferde einen Weg von neun deutschen Meilen. Sie brachte sich dadurch in eine Gefahr, die so gut vorüber ging, daß sie nunmehr des glücklichen Erfolges sicher sein konnte. Sie begegnete nämlich Truppen, die der Königin Johanna zugeführt wurden, und sogleich gingen diese Soldaten zu ihr über, so daß die Officiere kaum schnell genug die Pferde herumwerfen und sich durch die Flucht retten konnten. Der Herzog mußte auf seinem Marsche bald genug nothgedrungen Halt machen. Er war unter lauter Feinden, sogar die Matrosen der königlichen Schiffe verließen die protestantische Königin. Nun wankten seine Soldaten, und die großen Herren in seinem Gefolge begannen ihn zu verlassen. Das kläglichste Schauspiel von Allem bot das Königsschloß in London dar. Die großen Herren hatten erkannt, daß das Spiel verloren sei. Diese Minister und Geheimen Räthe der Königin Johanna waren bis auf ihren Vater und einen Bischof alle falsch und suchten ihren Frieden mit der Königin Marie zu machen. Um die arme Johanna entstand eine Leere und am neunten Tage ihrer Regierung saß sie ganz allein auf ihrem Staatssessel unter dem Thronhimmel, als ihr Vater eintrat. „Komm’ herunter, mein Kind,“ sagte er, „dies ist kein Platz für Dich.“ Mild und ruhig, ohne einen einzigen Seufzer, stieg Johanna von ihrem Thron.

Graf Arundel war unter den ersten, welche Marie auf den Straßen von London als Königin ausriefen. Der böse Graf hatte noch ein Geschäft zu verrichten: seinen Feind Northumberland in Person zu verhaften. Dieser war inzwischen von Allen verlassen worden und hatte einen letzten Versuch zur Rettung gemacht. Mit einem Herold vor sich war er in drei Städten umhergeritten und hatte das Volk nicht für Johanna, sondern für die Königin Marie in Eid genommen. Er war jetzt in Cambridge und hatte sich nach diesem schändlichen Abfall von der Sache seines Sohnes und seiner Schwiegertochter zur Ruhe gelegt, als er im Vorzimmer schwere Tritte hörte. Böses ahnend, sprang er auf und öffnete die Thür. Graf Arundel stand vor ihm und sagte, während der Herzog vor ihm auf die Kniee fiel, mit rauher Stimme: „Mylord, die Königin schickt mich, und auf ihren Befehl verhafte ich Euch.“

„Ueben Sie Gnade gegen mich,“ stammelte der Herzog, dessen Muth vollständig gebrochen war.

„Mylord,“ antwortete der Graf, „Sie hätten früher um Gnade bitten sollen; ich muß nach Befehl handeln.“

Bis jetzt das Königsschloß Johanna’s, wurde der Tower jetzt ihr Kerker. Als eigentliche Gefangene wurde sie noch nicht behandelt, wohl aber hatten ihre Verwandten die ganze Härte des Schicksals von Besiegten zu empfinden. Die blutige Marie begann ihren Namen zu verdienen. Kein Engländer, sondern der spanische Gesandte Renard war ihr Rathgeber, und nicht mit englischem, sondern mit spanischem Maß wurde das Blut gemessen, das vergossen werden sollte. Keiner verdiente den Tod mehr, als der Herzog von Northumberland, der ehrgeizige Urheber der Thronbesteigung Johanna’s. Zum Tode verurtheilt, verscherzte er den letzten Rest von Achtung, auf den er vielleicht noch Anspruch machen konnte, indem er zum katholischen Glauben übertrat. Graf Arundel war sehr bereit, seinem Feinde das Abendmahl nach katholischem Ritus reichen zu lassen, aber er lud vierzehn der angesehensten Kaufleute Londons zu der feierlichen Handlung ein, damit Jedermann erfahre, daß der Herzog in der thörichten Hoffnung, begnadigt zu werden, seinen Glauben verleugne. Am nächsten Tage wurde er auf dem Hügel des Tower hingerichtet und in der Capelle des letzteren begraben.

Johanna hatte die Krone getragen und war wegen dieses Verbrechens, zu dem Andere die kindliche Jungfrau halb gezwungen hatten, zum Tode verurtheilt worden. Man hatte ihr einen Aufschub bewilligt, und die blutige Marie scheint den Tod dieser so harmlosen und edlen Nebenbuhlerin nicht gewollt zu haben. Der Gefangenen wurden ihre Edelfräulein gelassen und selbst ein gewisser Verkehr mit Fremden nicht abgeschnitten. Sie kam wohl die Treppe herunter, wenn bei ihrem Wächter Besuch aus London war, und bezauberte die Gäste durch ihre Jugend, ihre Bescheidenheit und Standhaftigkeit. Wenn sie nicht im Neuen Testament

las, so beschäftigte sie sich mit Sorgen um ihren Vater, der ihretwegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_185.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)