Seite:Die Gartenlaube (1869) 178.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

zu jenem abscheulichen Monstrum aufgenestelt, das die Welt „Chignon“ nennt. … Trotz dieser entstellenden Haartracht war es doch ein verführerisch schönes Weib, das leichten Fußes durch die thaufrischen Gebüsche schritt.

Der Platz im Walde, wo gefrühstückt werden sollte, lag nicht weit vom See – ein schmaler Durchhau umfaßte ein Stück - seines Spiegels und ließ es hinüberleuchten auf die engbegrenzte, von Buchen beschattete Waldwiese. Diese kleine Oase hatte Prinz Heinrich sehr geliebt zierlich gemeißelte steinerne Tische und Bänke standen umher, und unter dem Lieblingsbaum des fürstlichen Herrn, einer prachtvollen Rothbuche, erhob sich auf einem Sockel von Sandstein seine lebensgroße, in Erz gegossene Büste. … Auch hier lief die Grenze des Zweiflingen’schen Forstes ziemlich nahe vorüber – einzelne eingestreute Weißbirken blinkten fernher durch das Unterholz und bezeichneten gleichsam die Scheidelinie, und bei stillem Wetter drang das Dohlengeschrei von den Thürmen des Waldhauses, herüber.

Die Baronin Fleury beschleunigte ihre Schritte, als sie in den Wald eintrat. Ihr schönes Gesicht zeigte nichts von jenem stillbehaglichen Genuß, den ein Spaziergang im morgenfrischen Wald gewährt – es lag vielmehr ein Ausdruck von Spannung und Neugier in den schwarzen Augen. … Sie umschritt den See und betrat den Holzweg, an dessen Mündung die junge Gräfin vorgestern den Kahn angelegt hatte, während die Kinder sangen. Durch das Gebüsch schimmerte unfern das weiße Tuch, welches die Lakaien über den Frühstückstisch gebreitet hatten, aber die Dame huschte mit einem scheuen Blick nach den hantirenden Domestiken weiter auf dem Weg, der direct in das alte Zweiflingen’sche Revier lief. … Bis zu einer gewissen Stelle, die gleichsam den Knotenpunkt zweier sich abzweigender Pfade bildete, war sie auch früher gar manches Mal gewandelt, weiter aber nicht – diese schmalen Schlangenlinien mündeten ja in der Nähe des Waldhauses. Die hochgestiegene letzte Zweiflingen gestattete weder ihrem Gedächtniß, noch ihrer Umgebung, sie je an die Zeit des Mangels und der Erniedrigung zu erinnern, und aus dem Grunde hatte sie nie wieder die Schwelle des alten Jagdhauses betreten.

Heute aber wurde der Rubicon überschritten. Die Vögel, die im Dickicht brüteten, schwirrten aufgescheucht in die Baumkronen und schrieen mit vorgestreckten Hälsen auf die Frauengestalt nieder, die geschmeidig zwischen den feuchten Zweigen hineilte, ohne daß ein Thautropfen ihr helles Gewand benetzte. … Die Weißbirken lagen längst hinter ihr, und nun wurde allmählich der Weg breiter, die Bäume traten auseinander, und hinter dem Gebüsch, das schleierartig zerstoß, erschien das graue Gemäuer des Waldhauses.

Die Baronin trat hinter einen Strauch, bog die Zweige auseinander und sah hinüber – sie hatte die Façade vor sich.

In A. war dies alte Schlößchen mit seinem neuen fremdartigen Bewohner das Tagesgespräch. Man erzählte sich Wunderdinge von den fabelhaften Reichthümern des Portugiesen… : Dieser Herr von Oliveira – die Deutschen können sich nun einmal keinen hervorragenden Menschen ohne das „von“ oder einen Titel denken – hatte ja das schönste Haus in A. für eine Unsumme gemiethet; man wußte ganz genau, daß er den Winter in der Residenz zubringen und sich bei Hofe vorstellen lassen wolle, und wer so bevorzugt gewesen war, ihn einmal von fern zu sehen, der schwur, daß er dem schönsten Cavalier, den das Fürstenthum je gesehen, dem verstorbenen Major von Zweiflingen an Ritterlichkeit und aristokratischer Würde in der äußeren Erscheinung völlig gleichzustellen sei – das Waldhaus aber sollte er in einen wahren Feensitz umgewandelt haben.

Das konnte die schöne Lauscherin nun zwar nicht finden, allein ein originelles Gepräge hatte der alte Bau jedenfalls erhalten.

Der schmale Wiesenfleck, der sich ehemals vor seiner Fronte hinstreckte, beschrieb jetzt einen weiten Bogen, er war mit Kies bestreut, nur in seiner Mitte dehnte sich ein geschorenes Rasenrund. Früher hatte hier ein Brunnen primitivster Art gestanden, ein Steintrog, in welchen das perlende, frische Quellwasser aus hölzerner Röhre floß – jetzt lag auf der Grasfläche ein kolossales Granitbecken, aus dessen Mitte ein mächtiger Wasserstrahl hoch in die Lüfte stieg. Diese unmittelbar aus dem Herzen des Waldes emporschießende krystallhelle Säule mit ihrem buntfarbigen Aufsprühen, Rauschen und Plätschern inmitten der vielhundertjährigen Eichenwipfel hauchte einen wahren Märchenzauber in das Stück Waldeinsamkeit. … Der unwillkürliche Gedanke an Verzauberung wurde befestigt durch das undurchdringliche Gespinnst der Aristolochia, deren dünne, grüne, in’s Unendliche wachsende Arme sich fast dämonisch gewaltsam des grauen Gemäuers bemächtigten – da standen die zwei in’s Horn stoßenden Edelknaben zu beiden Seiten der Treppe, wie die im hundertjährigen Schlaf erstarrten Gestalten des Märchens; die grünen Schlangen umstrickten die schlanken Glieder und ließen ihre riesigen Blätter von den steinernen Schultern flattern. Bis hinauf über die Thurmzinnen krochen sie, um muthwillig in das uralte Dohlengeniste zu gucken, und streckten sich von dort aus - begehrlich nach den Eichenwipfeln – es sah aus, als sollten allmählich Wald und Haus und der springende Wasserstrahl in eine grüne Dämmerung zusammengesponnen worden.

Die Fenster jedoch hatten sich der gefährlichen Umarmung entzogen – der neue Besitzer schien Luft und Licht zu lieben. Statt der erblindeten in Blei gefaßten, runden Glastafeln umschloß der steinerne Fensterrahmen jetzt ungeheure Spiegelscheiben; durch sie fiel das Licht von zwei Seiten in die Halle, deren beide sich gegenüberliegende Thüren weit zurückgeschlagen waren.

Der schönen Frau kam auch nicht das leiseste Gefühl der Wehmuth, als ihre Blicke über die mit Holztapeten bekleideten Wände hinglitten, die Jahrhunderte hindurch die Ahnenbilder der Zweiflingen auf ihrer Fläche getragen hatte sie doch mit froher Hast die Erlaubnis zum Verkauf des „alten Nestes“ gegeben, und der Erlös das ganze Erbtheil der letzten Zweiflingen – war gerade hinreichend gewesen, zwei brillante Pariser Hoftoiletten zu bezahlen.

Auf den Steinfließen der Halle lagen Tiger- und Bärenfelle; schwere, ziemlich derb gearbeitete Stühle und Tische von Eichenholz standen gruppenweise in der Mitte und in den vier Ecken, und am Plafond hing ein prachtvoller, aus Waffen zusammengesetzter Kronleuchter. Verweichlicht schien der neue Bewohner nicht zu sein; da sah man weder Polster, noch Vorhänge, und auch nicht eine Spur jener zierlichen Nippes und Gerätschaften ohne Zweck, mit denen sich die Elegants unserer Tage umgeben – wohl aber bezeugten die am Boden liegenden Thierfelle und eine auserlesene Waffensammlung an der südlichen Wand, daß der Mann es liebe, seine Kraft im Kampfe mit den grimmigsten Feinden des Menschen zu erproben.

Auf der Terrasse stand ein gedeckter Tisch, und das sämmtliche auf demselben befindliche Trinkgeräth bestand aus gediegenem Silber, das erkannte das geübte und verwöhnte Auge der vornehmen Dame sofort. Der Herr des Hauses hatte ohne Zweifel hier gefrühstückt, in diesem Augenblick jedoch stand sein Stuhl leer, und diese Abwesenheit nutzte ein Papagei weidlich aus, indem er das liegengebliebene Weißbrod auf dem Tische umherzerrte. Nach jedem Bissen, der ihm vortrefflich zu schmecken schien, schrie er aus Leibeskräften: „Rache ist süß!“ lief auch wohl bis an den Rand des Tisches, so weit seine Kette reichte, und belferte nach einem der steinernen Edelknaben, auf dessen Schulter ein allerliebstes Löwenäffchen kauerte – es saß bewegungslos und starrte melancholisch in den deutschen Wald hinein.

Plötzlich fuhr die lauschende Dame auf, und ein finsterer, gehässiger Zug entstellte die feinen Lippen – wie kam der widerwärtige Mensch hierher? … Mußten denn das Waldhaus und diese verhaßte Erscheinung immer und ewig mit einander verknüpft sein? …

Es war der alte Sievert, der aus der Halle trat. Auch ihn hatte die Baronin nicht wiedergesehen. … Das war noch dasselbe dunkle Gesicht mit den harten, grobzugehauenen Zügen, welches einst so frech gewesen, der unwiderstehlichen Jutta von Zweiflingen stets und immer eine unerbittliche Strenge entgegenzuhalten – aber gealtert hatte der Mann nicht, und jetzt, wo ein Sonnenstrahl über seinen Kopf hinlief, sah man die helle, frische Röthe einer gekräftigten Gesundheit auf seinen Wangen leuchten.

Er schalt den Papagei und klopfte ihn mit einem silbernen Löffel auf den Rücken, worauf sich das Thier schreiend aus dem Staube machte und schleunigst auf seinen Ring zurückkletterte. Der alte Soldat räumte das Geschirr zusammen, nahm einige auf den Stühlen umherliegende aufgeschlagene Bücher, um sie sorgfältig auf dem Tische zu ordnen, rückte einen Cigarrenkasten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_178.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)