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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 29.0 Winterjagd.


Schon wochenlang anhaltender gänzlich schneeloser harter Frost eines Christmonats der jüngstverflossenen Jahre hatte die Sauen auf den ausgedehnten Revieren der Grafschaft S. z. K., meines schlesischen Jagdeldorado’s, von allen Ecken nach den mitten in der weiten Nadelholzwaldung vereinzelt liegenden Eichenbeständen getrieben, hier noch von den Ueberresten der im vorangegangenen Herbste reich gesegnet gewesenen Eichelmast ihren Hunger nothdürftig zu stillen, denn die von eisiger Kälte überall undurchdringlich gewordene Erdkruste wollte dem elastischen Gebräche der Sauen durchaus nicht mehr weichen, ihnen ihre karge Winterkost an Larven, erstarrten Lurchen, Mäusen etc. zu gestatten. Darum waren aber auch die borstigen Allesfresser wie toll auf Fallwild[1]. Und wehe jeder lebendigen Creatur, deren sie habhaft werden konnten, wie besonders Wilds- und Rehkälbchen, ja auch das infolge der bittern Kälte krank und darum unbeholfen gewordene Reh-, Dam- und Hochwild aller Altersclassen war, kamen die Sauen darüber, unrettbar und elendiglich verloren, denn es wurde von den freßgierigen Bestien sofort bei noch lebendigem Leibe angepackt und aufgezehrt. Durch solche Kost aber lüstern gemacht, war die marodirende Rotte auch leicht durch jedwedes Aas auf die dazu bestimmten Anstandsplätze und Fanggärten anzukirren, um dabei entweder todtgeschossen oder in die meilenweit umzäunte Wildbahn der dortigen Forsten eingelassen zu werden. So traf eines Tages, als ich mich eben zur Jagd dort befand, die Meldung des Wildmeisters im Schlosse ein, daß allabendlich ein starker Keiler auf dem Luderplatze im „Zumreviere“ sich einstelle, um den dort hingeworfenen Fraß zu holen. Durch die Güte des Jagdherrn ward mir die Vergünstigung, diesem Schwarzrock auflauern zu dürfen, um ihn womöglich zu erlegen.

Zu diesem Zwecke ward schon vor Mittag angespannt und hinausgefahren in die weite Haide; doch nicht etwa direct nach der bestimmten Saukirre, sondern um vorher noch eine Pürsche auf Damwild vorzunehmen. Bald saßen wir deshalb, der waidgerechte Herr der mächtigen Forsten und ich, im leichten Wagen, vor der giftigen Kälte wohlgeschützt durch massige Wildschuren, deren äußere Pelzverbrämung bald, von warmem Odem angehaucht, so dicht bereift war, wie unsere Bärte. Kurzen Trabes ging es vorerst durch den bis dicht an’s Schloß heranreichenden Föhrenwald, dessen Kronen vom eisigen Luftstrom brausend durchstrichen wurden, während unten, unter dem schützenden Wipfeldache, tiefe, wahrhaft heimliche Ruhe herrschte. Weiter hinaus freilich, wo der Weg zuweilen über mächtige Gehaue oder weite öde Brandflächen und Moore sich hinzog, fegte der heulende Nord auch unser Gefährt rücksichtslos durch, so daß die Mähnen der dampfenden Pferde wild um deren Köpfe schlugen, wir Menschenkinder aber die warmen Pelzhüllen fester an uns anzogen. Manche Strecke des verschiedensten Terrains hatten wir so schon zurückgelegt, als sich im hohen Holze, seitwärts von unserem Wege, ein Trupp Damhirsche zeigte, unter denen mehrere Halbschaufler waren, welchen die heutige Pürschfahrt ganz besonders galt. Ein Wink des Gebieters ließ mich schnell, aber ohne Hast meiner Wildschur entledigen und dann zur Büchse greifen. Geräuschlos glitt ich zunächst vom langsam weiterfahrenden Wagen herunter und schritt, denselben zwischen mir und dem Wilde behaltend, bis auf Schußweite an dasselbe hieran, hier gedeckt stehen bleibend, während die Pferde unbehindert weiter gingen und von den Hirschen mit neugierigen Blicken verfolgt wurden. Schnell hatte ich den mir zunächst und frei stehenden Schaufler auf’s Korn genommen, dann ein leiser Fingerdruck am Stecher – und der platschende Kugelschlag auf dem Getroffenen folgte unmittelbar dem scharfen Knall der Büchse. Flüchtig ging das Thier mit dem übrigen Trupp fort, doch nur ungefähr vierzig Schritte weit, dann brach es plötzlich, mit dem Kopfe gegen eine Kiefer rennend, zusammen und war bereits verendet, als ich mit frisch geladener Büchse an dasselbe herankam. Inzwischen war auch des Grafen capitaler Leibschütz, Namens Fuchs, zur Hand, den Schaufler mit der nur ihm eigenen fabelhaften Virtuosität in kürzester Frist aufzubrechen, um ihn gleich, hinten auf dem Pürschwagen aufgeschnallt, mit fortnehmen zu können.

Ohne weiteren Aufenthalt ward daher die Jagd fortgesetzt. Hierbei wurden mir – ehe es zum beabsichtigten Anstand auf Sauen kam – noch zwei Schüsse auf Damhirsche gewährt, die ich auch alsbald erfolgreich anzubringen so glücklich war. Mit dem einen erlegte ich kurz nach erhaltener Erlaubniß ohne bemerkenswerthe Umstände einen allein gehenden schwarzen Schaufler, der sich dadurch auszeichnete, daß er nur eine Stange auf dem Kopfe trug. Den dritten Treffer hingegen konnte ich nur nach mannigfachen Hindernissen anbringen. Es stand nämlich ein ganzer Trupp Mutterwild, darunter ein einziger weißer Spießer, im Stangenholz dicht an der Pürschlinie. Doch ehe wir noch auf Schußweite herankamen, ward der ganze Trupp in der dem Damwild so eigenthümlichen Gangart flüchtig, was übrigens nicht zum Verwundern war, da wir entschieden schlechten Wind hatten. So zäpperte die bunte Karawane, einen mächtigen Bogen schlagend, weit unterhalb unseres Wagens, über den Weg hinüber, um auf der andern Seite, eine tüchtige Strecke seitab, im hohen, mit Unterwuchs gemischten Holz erst wieder Halt zu machen. Da sie indeß dadurch für mich in besseren, ja sogar vortrefflichen Wind gekommen waren, pürschte ich ihnen unverzüglich nach; schon weil es mich reizte, gerade dem so vereinzelten weißen Spießer ein rothes Tüpfelchen auf seine blendende Jacke zu malen. Darum näherte ich mich mit ganz besonderer Vorsicht dem Trupp und ließ mich einen Umweg nicht verdrießen, auf dem ich unter vollkommener Deckung heranzuschleichen wohl erhoffen durfte.

Ein jahrhundertalter Fichtenbestand war es, durch den ich meinen Pfad gewählt und der mich den Blicken des Wildes völlig entzog, ohne daß ich mein weithin leuchtendes Ziel dabei gänzlich aus dem Auge verlor. So kam ich unbemerkt, wenn auch langsam, vorwärts bis zu einer von mächtigen Stämmen und Anflug umschlossenen kleineren Lichtung, von der aus ich plötzlich, zuerst durch das Ohr darauf aufmerksam gemacht, Zeuge einer Scene wurde, die mir zuerst vor Aufregung geradezu den Athem stocken machte und mich eine Zeit lang mein Ziel gänzlich außer Acht setzen ließ. Zwei capitale Keiler waren es, an die ich, bevor dieselben sich mir durch ihre ungestüme Sprache verriethen, ahnungslos schon bis auf halbe Schußweite herangekommen war und deren Anblick nun mein ganzes Ich gefangen nahm. Eben im Streite sich befindend um ein verendetes und bereits angeschnittenes Damwildkälbchen, von dem die Eingeweide und Hautfetzen zerstreut am Boden lagen, tauchten die urwüchsigen Geschöpfe plötzlich wie hervorgezaubert vor mir auf. Grimmigen Blickes, die stark bewehrten Köpfe trotzig gegen einander haltend, standen sich die borstigen Recken schlagfertig gegenüber, die streitige Beute zwischen sich. Keiner der ebenbürtigen Kämpen wollte weichen, vielmehr fuhren sie jetzt knappenden Gewäffs wüthend auf einander ein und verfochten mannhaft, Schlag auf Schlag gegeneinander führend, ihre Rechte, daß dabei die dunkelen, zornentbrannten Streiter gegen die mächtigen Wurzelstöcke und gebrochenen Stämme, die ihren Wahlplatz umhegten, polternd anflogen. Endlich, wahrscheinlich durch ungünstiges Terrain strauchelnd gemacht, verlor einer der Erbosten seinen Vortheil und mit ihm den Muth zur weiteren Gegenwehr; denn schleunigst ergriff dieser nun die Flucht vor dem unaufhaltsam nachdringenden Sieger.

Geradezu wie eine Erlösung wirkte es aber auf mich, als die hartköpfigen Raufbolde mir aus dem Auge entschwanden, denn mit der Büchse in der Hand doch nur zum Zusehen verdammt zu sein, hat etwas wahrhaft Dämonisches. Wohl hätte ich ja mit Leichtigkeit von Anbeginn des Straußes die Ungestümen durch eine wohlangebrachte Kugel trennen können, und es gehörte gewiß Selbstbeherrschung dazu, solches dennoch – selbst mit der Ueberzeugung im Herzen, daß der Schuß vom freundlichen Jagdherrn bestimmt gut geheißen werden würde – zu unterlassen.

Allein gerade das mir stets bewiesene Vertrauen meines gütigen Gönners bestimmte mich zur Entsagung; war mir doch

  1. Fallwild ist durch Krankheit oder Alter eingegangenes Wild.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_172.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2020)