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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Einsickerung, die Einströmung des Wassers durch kleinere Spalten und Ritzen, ist eine erwiesene Sache. Damit sind auch gewiß viele Knochen hinabgespült und in dem Lehm mit abgesetzt worden. Man findet scheinbar hermetisch geschlossene Steinsärge zuweilen voll Erde, und auf den ersten Blick scheint es uns unmöglich, zu begreifen, wie dieselbe hineingekommen. Ein paar Würzelchen haben den Deckel etwas gehoben, das im Erdboden sickernde Wasser hat einige Krümchen Erde eingeführt, und nach und nach hat sich der Sarg angefüllt. Stete, höchst geringe Wirkung, lange Zeit hindurch fortgesetzt, bringt meist dieselben Resultate hervor, wie kurze, heftige Wirkung, die schnell vorüberrauscht, und häufig sind es nur die begleitenden Umstände, welche entscheiden, ob die eine oder andere stattgefunden. Der Backzahn eines Mammuth, der zwanzig und mehre Pfunde wiegen kann, und der vielleicht in dem Schwemmgebilde auf einem Bergrücken liegt, in welchen ein zu einer Höhle führendes Kamin mündet, wird gewiß nicht unmittelbar von einigen Regentropfen weiter bewegt. Aber diese Regentropfen unterwaschen seine etwas geneigte Unterlage und machen sie schlüpfrig – er gleitet, vielleicht nur um den Bruchtheil einer Linie, aber nach und nach kommt er doch an die Oeffnung des Kamins und wird durch diese den Ablagerungen der Höhle zugeführt. Das kann im Hintergrunde der Höhle geschehen, während in einer Seitennische die Hyäne ihre Jungen mit Resten einer Mammuth-Leiche füttert und in der Vorgrotte der wilde Mensch ein eben erjagtes Mammuthkalb als Festmahl verzehrt. Der wilde Mensch! Und mit ihm sind wir auf einen Kernpunkt der Höhlenfrage angelangt.

Andere Höhlen haben die unzweideutigsten Beweise des Zusammenlebens des Menschen in Mitteleuropa mit dem Höhlenbären, dem Mammuth, dem Nashorn und später mit der ganzen nordischen Fauna der Rennthierzeit geliefert. Man hat nicht nur seine aus Kiesel, Horn und Knochen gearbeiteten Waffen und Geräthschaften gefunden, die Heerde aufgedeckt, auf welchen er am Feuer seine Fleischnahrung röstete, man hat auch aus den Knochen und Geweihen selbst nachgewiesen, daß der Mensch und nur der Mensch sie bearbeitet und benutzt hat. Die festen Röhrenknochen der Dickhäuter und großen Grasfresser kann kein Raubthierzahn öffnen und bewältigen. Der Mensch zerschlägt sie, um das Mark herauszunehmen, er öffnet die Schädel, um das Gehirn zu verzehren, er schleppt von seiner Jagdbeute nur bestimmte Stücke nach Hause, während er die andern an Ort und Stelle verzehrt oder liegen läßt. Es giebt Höhlen in Menge, die nur von dem Menschen bewohnt, nur von ihm angefüllt worden sind, es giebt andere, um deren Besitz Höhlenthiere und wilde Menschen gekämpft, die sie abwechselnd in Besitz genommen haben, andere wieder, in welche vor der Eröffnung in unserer Zeit der Mensch nie einen Fuß gesetzt hat. Wie leicht begreiflich, können Höhlen, in dieser Hinsicht grundverschieden, in derselben Gegend sich finden und haben sich auch z. B. in Belgien gefunden. Wie verschieden zeigen sich ferner die Höhlen in Beziehung auf ihre Benutzung durch den Menschen nach Zeit und Art der Benutzung! Dort wohnte er permanent, hier hielt er sich nur zu bestimmten Zeiten auf; jene Grotten dienten in ihrem Hintergrunde als Begräbnißstätten, unter ihrem Vordache als Wohnungen und Zufluchtsörter, manche Höhlen waren bewohnt von der Periode des Mammuth an bis in die periodischen Zeiten hinein, in manche flüchteten sich die Umwohner nur bei Gefahr und Verfolgungen; jene wurden zu verschiedenen Zeiten umgewühlt, um Leichen oder Schätze zu begraben oder letztere aufzusuchen, diese blieben unberührt von Anbeginn an. Alle diese verschiedenen Verhältnisse lassen sich aus den durch genaue und bis in’s Kleinste durchgeführte Untersuchungen gewonnenen Thatsachen erschließen – für alle liegen analoge Vorkommnisse vor.

Was haben nun die westphälischen Höhlen in dieser Beziehung bis jetzt geleistet? Nur wenige Thatsachen liegen vor, nicht genug zu zwingenden Beweisen, zu viel, um auf gänzliche Abwesenheit zu schließen.

Die menschlichen Knochen aus der nun zerstörten Grotte des Neanderthals gehören mit größter Wahrscheinlichkeit der Periode des Höhlenbären an. Fuhlrott hat aus der Lagerung und Beschaffenheit des Lehmes, in dem sie sich fanden, und aus den allgemeinen Verhältnissen der anderen Grotten im Neanderthal und der Umgegend, Schaaffhausen aus der Bildung des furchtbaren, niedrig gestalteten Schädels, dem jetzt mehrere andere zur Seite stehen, die Beweise geführt, so weit sie sich irgend aus den vorhandenen Thatsachen führen lassen. Aber durchaus zwingend sind diese Beweise nicht. Außer den menschlichen Knochen wurde kein Thierknochen in der Grotte gefunden und die entsetzlich thierische Bildung, die freilich mit derjenigen eines Schädels übereinstimmt, der im Canstatter Kalktuff mit Mammuthknochen zusammengefunden wurde, beweist zwar ein sehr hohes Alter, aber gerade nicht absolut die Einreihung in die Periode des Höhlenbären.

Ebenso geht es mir mit einigen anderen Andeutungen. Ich habe bei Apotheker Schmitz in Letmathe zwei Röhrenknochen gesehen, die ich, hätte ich sie unter einem Haufen anderer, ebenfalls vom Menschen zerschlagener Knochen gefunden, unmittelbar für vom Menschen bearbeitet angesehen haben würde. Man sieht, an dem einen namentlich, Eindrücke, ähnlich denen, welche von den halbscharfen Steinäxten erzeugt wurden, mit denen man die Knochen aufschlug. Findet man hunderte und tausende solcher Knochen, so ist der Zufall beseitigt, findet man aber unter hunderten nur zwei, so darf man zweifeln. Es giebt kaum eine Höhle, in welcher nicht eine Menge großer und kleiner Bruchstücke liegen, die von der Decke abgestürzt sind. Konnte nicht ein solches Felsstück einen Bären erschlagen, seine Knochen zertrümmern?

In einer Höhle am Bärentroß oberhalb Schwyz fand man das Skelet eines Bären, dessen Vorderpranken von einem herabgestürzten Felsstück, das noch auf den Knochen lag, zerschmettert worden waren. Konnte nicht ein ähnlicher Zufall in einer westphälischen Höhle sich ereignet und die gefundenen Knochen zerschlagen haben?

So viel ich weiß (ich lasse mich gern über meinen Irrthum belehren), haben die westphälischen Höhlen noch keine Spur jener roh zugeschlagenen Kiesel-Aexte und -Messer und noch weniger jener feineren Instrumente und Bildwerke geliefert, von denen andere Höhlen wimmeln. So viel ich weiß, sind außer den Neanderthaler Menschenknochen noch welche an anderen Orten, aber auch nur in sehr geringer Zahl, gefunden worden; über die Lagerung derselben herrscht aber keine Gewißheit. Höhlen-Untersuchungen aus früheren Zeiten können hier keinen Ausschlag geben, sie wurden zu einer Zeit angestellt, wo man die Bedeutung der Kieselinstrumente noch nicht kannte und deshalb nicht besonders auf sie achtete. Der Beweis, daß Menschen, und zwar jedenfalls Wilde, zur Zeit des Höhlenbären in den westphälischen Höhlen lebten, ist demnach bis jetzt noch nicht mit derjenigen Schärfe hergestellt, die er verdient. Die Wahrscheinlichkeit aber ist nachgewiesen, und es handelt sich darum, sie zu solcher Gewißheit zu erheben, daß nur Knak und Spießgesellen sie leugnen können.

An’s Werk also, ihr Söhne der rothen Erde! Die Mark mit ihren Höhlen muß ebenso classischer Boden für die Urgeschichte des Menschen werden, wie Belgien und Südfrankreich! Neben der Kohle, dem Eisen und dem Gußstahl müssen noch andere Schätze aus dem Boden gewühlt und an das Tageslicht gebracht werden, und wie die persönliche Initiative in der Industrie, so muß sie auch hier auf wissenschaftlichem Gebiete vorangehen. Zu dem ehrenden Luxus, den der Wohlhabende sich gewähren kann, gehört der Aufwand für Kunst und Wissenschaft! Beide brauchen Geld, sogar viel Geld, und so lange die Staaten den besten Theil ihrer Einkünfte zur Zinszahlung ihrer Schulden und zur Erhaltung derjenigen verwenden, welche die Schulden machen, so lange muß die freie Association eintreten für allgemeine wissenschaftliche Zwecke! –

Dies mag etwa der Inhalt der Gespräche und der Discussionen gewesen sein, welche unter der Gesellschaft während des Besuches der Höhle und auf dem Wege nach Iserlohn gepflogen wurden, wo die Gastfreundschaft unser mit offenen Armen wartete. Soll ich nun noch erzählen, wie die Einen Abends in den Strudel social-politischen Treibens hineingerissen wurden, während die Andern den letzten Zug benutzten, um der Heimath zuzurollen, und wie ein kleiner Bruchtheil der Gesellschaft, nicht zufrieden mit den Ergebnissen des einen Tages, noch am folgenden Morgen die Höhlen von Sundvig durchkroch, von den freundlichen Besitzern geleitet, um dort mit eigenen Augen sich von der frevelhaften Zerstörung der Tropfsteine und von der fabelhaften Anhäufung von Knochenlehm zu überzeugen, die noch jetzt, nach jahrelanger Ausschürfung, in diesen Höhlen zu finden ist? Ich denke, es wäre genug!




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