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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

in welcher es gefunden wurde. Auf diese Weise hat Dupont jene wunderbaren Resultate gewonnen, die nachweisen, daß die verschiedenen belgischen Höhlen zu verschiedenen Zeiten sich anfüllten, daß die höher im Niveau über der Thalsohle gelegenen mit Thierresten aus älterer Zeit angefüllt wurden, weil die Gewässer, die im Thale strömten, damals einen höheren Stand hatten, während die tiefer gelegenen, von welchen sich das Wasser erst später zurückzog und ihre Oeffnungen freigab, auch erst in späterer Zeit bevölkert wurden. Während so einzelne Höhlen zu verschiedener Zeit angefüllt wurden, fanden in anderen Absätze aus mehreren Perioden statt und diese letzteren bilden dann gewissermaßen den Zeitmesser, welcher die Epoche angiebt, in welcher die nur in einer einzigen Periode erfüllten Höhlen ihre Einschlüsse erhielten. Aus den verschiedenen Niveaus aber ergeben sich wieder die mannigfachsten Schlußfolgerungen über die Gestaltung der Thäler, die Mächtigkeit der Gewässer, die sie durchströmten, die Ausdehnung der Binnenseen und Buchten, welche diese Gewässer aufnahmen. Alle diese Fragen harren noch ihrer Lösung für Westphalen – die Antworten daraus können aus den bisherigen Forschungen nicht entnommen werden.

Aus diesen unmittelbaren Resultaten kann nun auch wohl die relative Bestimmung der Epoche entnommen werden, in welcher die Anfüllung der Höhle oder einer bestimmten Schicht derselben geschah. Wir wissen jetzt mit vollkommener Sicherheit, daß, im Westen Europas wenigstens, die großen Fleischfresser und Dickhäuter früher lebten und früher vom Schauplatze verschwanden, als die nordischen Thiere, wie Rennthier, Eisfuchs und Vielfraß; – wir wissen, daß diese zugleich mit den Hochgebirgsthieren, wie Steinbock, Gemse und Murmelthier, selbst in den Ebenen lebten, die damals, wie heute die Ebenen anderer Continente, noch von wilden Pferden und Ochsen vorgezogen wurden; – läßt sich für Westphalen eine ähnliche Folge nachweisen oder wurden hier die ausgestorbenen Thiere unmittelbar durch die jetzigen und die Hausthiere ersetzt? Bis jetzt wurden, so scheint es, nur Höhlen aufgedeckt, welche der Zeit des Höhlenbären und der Höhlenhyäne entsprechen – aber beweist dies, daß die anderen fehlen? Vor zwei oder drei Jahren traf ich einmal mit meinem Freunde Dupont zusammen und machte ihn auf den schneidenden Contrast aufmerksam, der zwischen seinen Forschungen und denen seines längst verstorbenen Vorgängers Schmerling bestehe. „ich weiß es wohl,“ sagte er, „Schmerling hat nur Höhlen aus der Zeit des Bären und der Hyäne untersucht – ich habe bis jetzt, freilich etwas mehr westlich, nur Höhlen aus der Rennthierzeit gefunden. Ich weiß nicht, soll ich an einen specifischen Unterschied der Gegenden glauben, soll ich an Schmerling oder lieber an mir selbst zweifeln?“ Im Jahre darauf begrüßte er mich mit dem Ausrufe: „Jetzt habe ich Bärenhöhlen bei mir und Rennthierhöhlen im Gebiete Schmerling’s – Alles ist aufgeklärt – wir waren in zwei verschiedenen Niveaus mit unseren Untersuchungen geblieben!“

Für die Entscheidung der Frage, wie viel Jahre verflossen sein mögen, seitdem Bären, Löwen, Hyänen, Mammuthe und Nashörner auf der rothen Erde gehaust haben, dürften die westphälischen Höhlen kaum einen Beitrag liefern. Ein englischer Forscher, Vivian, hat den Absatz des Tropfsteins als Zeitmaß zu benutzen versucht. In der Kent-Höhle in Devonshire fand man römische Ziegel mit einer Tropfsteinkruste überzogen. Vivian maß die Dicke dieser Kruste und berechnete daraus die Zeit, die über der Bildung des Tropfsteinbodens der Höhle verstrichen sein mußte. Er kam auf 210,000 Jahre! Wer aber die Bedingungen der Tropfsteinbildung kennt und weiß, daß kein veränderlicheres Moment aufgefunden werden kann, als dieses, der wird auch unmittelbar zu dem Schlusse kommen, daß eine solche Berechnung keinen absoluten Werth in Anspruch nehmen kann. Dem Kundigen bietet diese Frage überhaupt nur geringes Interesse. Auf einige Nullen mehr oder weniger kommt es dabei nicht an – denn so viel ist wenigstens klar, daß man die Zeit nicht auf einige lumpige Tausende von Jahren zurücksetzen kann!

Wohl aber ist die Entscheidung anderer Fragen von höchster Wichtigkeit. Wie kamen die Knochen in die Höhlen?

Früher, wo man in der Geologie noch mit Revolutionen, Kataklysmen, Diluvialfluthen und ähnlichen Hochdruckmaschinen arbeitete, war es ein Leichtes, die Höhlen durch eine große Fluth ausfüllen zu lassen, welche über die Länder wegbrauste, fortriß, was ihr beliebte, in die Spalten und Höhlen hineinwarf, was Platz hatte, und dann verlief, ohne daß man wußte, wohin. Heute kommt man nicht so leichten Kaufes davon. In den wenigsten Höhlen nur findet man unzweideutige Beweise von Wirkungen bedeutender unterirdischer Wasserströmungen, wie Rollkiesel, Grus und Sand; die Gewässer, welche früher die Thäler bis zu bedeutender Höhe ausfüllten, verhinderten im Gegentheil Absätze im Innern, wie dies die belgischen und südfranzösischen Höhlen beweisen. Starke Strömungen reißen fort – die unterirdischen Flüsse im Karst und an anderen Orten erweitern die Klüfte, statt sie anzufüllen. In den westphälischen Höhlen ist, so viel mir bekannt, kein Beweis von stärkeren Durchströmungen zu finden – die dortigen Absätze müssen unter anderen Einwirkungen zu Stande gekommen sein.

Der Höhlenlehm ist ein Gemenge von phosphorsaurem Kalk (Knochenerde), von eingesickertem kohlensaurem Kalk und feingeschlämmten erdigen und unlöslichen Bestandtheilen. Ueber den Ursprung der Knochenerde kann man nicht im Zweifel sein. Viele Knochen sind zerfallen, andere in der Zersetzung begriffen; das verwesende Fleisch läßt phosphorsauren Kalk zurück, und die Excremente der Fleischfresser, ganz besonders der Hyänen, bestehen großentheils aus Knochenerde. Alles dieses hat sich zersetzt, in Pulver verwandelt und mit der seinen, eingeschlämmten Erde gemengt. An manchen Stellen findet man fast rein weiße Flecken, unbestimmt begrenzte Knollen, die gewiß aus zersetztem Koth und Knochen hervorgegangen sind – an anderen mehr schwärzliche Massen, die eher auf Entstehung aus faulendem Fleisch und Blut hindeuten dürften. Daß aber die in den Boden eindringenden Sickerwasser aus dem Lehm und Thon der Mark, den Jeder zu seinem Leidwesen kennen lernt, der dort einige Regentage zubringt, bedeutende Mengen einschlämmen und absetzen, kann Niemanden Wunder nehmen. So wäre also der Knochenlehm eine während langer Zeit hergestellte Mischung von zersetzter thierischer Substanz, eingeschlämmter Erde und eingesickertem Kalk, und es kann bei dieser Bildung nicht. auffallen, daß die Verhältnisse seiner bildenden Elemente bedeutend untereinander abweichen.

Aber die Knochen? Es giebt solche, die Spuren von Rollung durch die Gewässer zeigen, und diese mögen durch die offenen Spalten des Gebirges in die Höhlen hineingeschwemmt worden sein – die meisten aber gehören doch wohl Bewohnern der Höhlen selbst an oder wurden von diesen eingeschleppt. Die Brutstätten der reißenden Thiere, Säugethiere wie Vögel, sind wahre Schindanger, überfüllt mit halbverzehrten Aesern, mit Knochen und herumgezerrten Resten der Beute, welche den jungen zugetragen wird. Die jungen Thiere spielen damit, wie Kinder mit Spielzeug, und die Alten nagen zum Zeitvertreib daran, wenn sie sich von den Anstrengungen der Jagd ausruhen. Man hat viel Wesens aus dem Umstande gemacht, daß man von den meisten Thieren nur einzelne Stücke, unzusammenhängende Knochen findet – erklärt sich dies nicht auf die befriedigendste Weise in dieser Art? Die angenagten, zerknackten Knochen finden sich in großer Anzahl – kurz, alle Bedingungen sind vorhanden, welche die meisten Höhlen als von Fleischfressern bewohnt und von ihnen mit eingeschleppter Beute erfüllt erscheinen lassen.

Die alten Fleischfresser verendeten in diesen düsteren Wohnungen – grimmige Kämpfe fanden unter den Bewohnern statt, davon manches Opfer fiel – man kennt ja aus der Gailenreuther Höhle den vom alten Sömmering beschriebenen Schädel einer Hyäne, die einen grimmigen Biß auf den Kamm erhalten hatte und davon geheilt worden war – und daß der Humor und die Gesundheit dieser höhlenbewohnenden Thiere nicht stets blühend waren, beweisen uns die vielen kranken Knochen und hohlen, angefressenen Zähne. Man denke sich einen solchen Höhlenbären von der Größen eines Rindes hereinzottelnd mit grimmigem Zahnweh und fürchterlichen Schmerzen (obgleich ich nicht behaupten will, daß die Größe der Schmerzen nach der Größe der Zähne bemessen werden könne) und stelle sich nun vor, in welcher Weise er die Begrüßungen der Cameraden und die Liebkosungen der Familie mag aufgenommen haben!

Damit aber, daß die meisten Knochen von Raubthieren Höhlenbewohnern entstammen, daß die meisten Knochen von Pflanzenfressern durch die Raubtiere eingeschleppt sind, damit

sind andere Ausfüllangsarten nicht ausgeschlossen. Die langsame

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_158.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)