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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dasselbe Ereigniß aus dem Morgenlande beibringen, welche schon deshalb, weil sie die Sache aus einem anderen Gesichtspunkte auffassen, von Interesse sein dürften.

In der Stadt Hira, in der Nähe des alten Babylon, am Euphrat, herrschte ein König mit Namen Numan Abu Kabus, als Vasall des Königs Chusrav Parviz von Persien, gegen das Jahr 600 unserer Zeitrechnung. Obgleich das Christenthum schon frühzeitig nach Babylonien vorgedrungen war, so hatte es doch nur geringe Fortschritte in jenen Gegenden gemacht; die persische Regierung zeigte sich demselben von jeher feindselig und die Mehrzahl der Bewohner Hira's waren Heiden, mit ihnen der König. Dieser mochte eben nicht viel mit Regierungssorgen gequält sein; das Vielregieren war damals überhaupt noch nicht Mode und ist es bei den Arabern nie gewesen; um seine müßigen Stunden, deren er des Tags ungefähr vierundzwanzig hatte, auf eine angenehme Weise auszufüllen, hatte er sich ein paar gute Freunde ausgesucht, mit denen er sich täglich berauschte. Einmal aber scheint er dem Weine mehr zugesprochen zu haben als gewöhnlich, und befahl in seinem Rausche, seine beiden Zechgenossen lebendig zu begraben, ein Befehl, der nur zu pünktlich ausgeführt wurde. Nach der Ernüchterung empfand er eine große Reue; der Tag, an welchem er sich so weit vergangen hatte, galt ihm als ein Unglückstag; so oft derselbe wiederkehrte, brachte er ihn am Grabe seiner Zechgenossen zu, und Niemand durfte sich ihm dort bei Todesstrafe nähern.

Eines Tages verirrte er sich auf der Jagd und kam in das Zelt eines Arabers vom Stamme Tai, den er um Gastfreundschaft bat; nach echt arabischer Weise nahm der Tajite ihn auf, ohne sich nach der Herkunft und dem Stande seines Gastes zu erkundigen, und als Numan am folgenden Morgen beim Abschiede sich zu erkennen gab und ihm erlaubte, sich irgend eine Gnade zu erbitten, erwiderte er freimüthig: für jetzt brauche er nichts; sollte dies aber später der Fall sein, so werde er nicht ermangeln sich an ihn zu wenden. Numan ritt fort, und nach einiger Zeit traf es sich wirklich, daß der Tajite sich in großer Verlegenheit befand. Auf Zureden seiner Frau begab er sich nach Hira, aber es war gerade der Unglückstag Numan's. Der Tajite, der von diesem Umstande nichts wußte, ging zu ihm und brachte sein Anliegen vor; der König fühlte sich sehr bedrängt; einerseits wollte er sein Gelübde nicht verletzen, andererseits waren ihm die Rechte der Gastfreundschaft zu heilig, als daß er den Ankömmling, der ihn um Hülfe anflehte, umbringen lassen sollte. Er wählte einen Mittelweg und bot ihm an, nach Hause zurückzukehren und seine irdischen Angelegenheiten zu ordnen und nach einer bestimmten Frist wieder zu kommen, um hingerichtet zu werden; doch sollte er als Unterpfand seiner Rückkehr einen Bürgen stellen. Ein Höfling übernahm die Bürgschaft und ließ sich in's Gefängniß führen. Die Zeit war bis aus einen Tag verstrichen, die Anstalten zur Hinrichtung wurden getroffen, und noch war der Tajite nicht angekommen; schon neigte sich auch dieser letzte Tag zum Untergange und Numan war im Begriff, die nötigen Befehle zu ertheilen, als einer seiner Beamten ihm bemerklich macht, er müsse wenigstens das Ende des Tages abwarten. Wirklich kam der Tajite noch Abends an, zum großen Verdruß Numan's, der ihn anfuhr. „Wer hat Dich wiederkommen heißen, nachdem ich Dich habe gehen lassen?“ Ruhig antwortete der Tajite: „Meine Religion.“ - „Welche Religion?“ fragte Numan; der Araber sagte ihm, er sei ein Christ. Numan war begierig, eine solche Religion kennen zu lernen; die Hinrichtung wurde aufgeschoben und der König ließ sich mit seiner ganzen Familie taufen. Von einer ferneren Feier des Unglückstages, von einer Hinrichtung des Tajiten oder seines Bürgen war nicht weiter die Rede.

So lautet die Erzählung bei Meidani in seinem großen Werke über die Sprüchwörter der Araber. Die Bekehrung Numan's zum Christenthum ist eine historisch beglaubigte Thatsache, und wenn wir auch die Erzählung Meidani's über die Beweggründe dieser Bekehrung als einen Mythus oder als eine phantastische Anknüpfung an die Freundschaft der Pythagoräer ansehen wollen, so bin ich doch überzeugt, daß die große Mehrzahl meiner Leser ihr den Vorzug vor der albernen Erzählung des Syrers Amru geben werde. Dieser behauptet nämlich, Numan sei einst vom Teufel besessen gewesen, und nachdem seine heidnischen Opferpriester die Heilung vergebens versucht hätten, wäre er durch die inbrünstigen Gebete des Bischofs Simeon von Hira, des Bischofs Sabarjesu von Laschum und des Mönchs Jesuzacha geheilt worden, worauf er und seine beiden Söhne Mundir und Hassan das Christenthum angenommen hätten.

Die Erzählung Meidani's scheint in Deutschland wenig bekannt zu sein, obgleich sie schon vor mehr als zweihundert Jahren übersetzt und gedruckt worden ist in dem Buche „Specimen Historiae Arabum“ von E. Pocock, Oxford 1650. Dagegen las ich kürzlich in einer arabischen Handschrift noch eine andere Erzählung, welche von der vorstehenden in mehreren wesentlichen Punkten abweicht; sie lautet wie folgt:

In der Nähe von Medina hatten zwei Araberstämme ihre Wohnungen aufgeschlagen. Eines Tages war ein Kameel, Eigenthum eines Arabers von dem einen Stamme, in einen Garten der zum andern Stamme gehörte, eingedrungen und hatte dort die Eier einer Henne zertreten. Der Eigenthümer des Gartens tödtete das Kameel, und der Eigenthümer des Kameels tödtete diesen dafür. Darüber entstand ein Zwist, der endlich dem Kalifen Omer vorgetragen wurde. Omer ließ den Mörder und die Angehörigen des Ermordeten in die Rathsversammlung kommen, und da der Mörder seine That eingestand, der Vorwand des getödteten Kameels aber als zu geringfügig angesehen wurde, so lautete der Urteilsspruch des Gerichts auf Todesstrafe, die auch sogleich vollzogen werden sollte.

Der Mörder unterwarf sich willig dem Ausspruche, bat aber um einen Aufschub, damit er nach Hause gehen und dort seine Familienangelegenheiten ordnen könnte. Omer fragte ihn, welche Sicherheit er für seine freiwillige Rückkehr bieten könnte. Ohne sich lange zu besinnen, wandte sich der Mörder an einen der Richter und bat ihn um die Bürgschaft. Dieser erklärte sich auch sofort bereit, diese Bürgschaft zu übernehmen und, falls der Mörder nach abgelaufener Frist nicht zurückkehren würde, für ihn der Familie des Ermordeten den Preis des vergossenen Blutes mit seinem eigenen Blute zu zahlen. Der Mörder wurde also entlassen, der Bürge dagegen in's Gefängniß abgeführt.

Am letzten Tage der Frist war der Verurtheilte noch nicht erschienen, und Omer ertheilte Befehl, den Bürgen zu enthaupten, falls der Mörder vor Sonnenuntergang nicht zurückgekehrt sein würde. Schon waren alle Anstalten getroffen, das Schwert und der Scharfrichter bereit, die Sonne neigte sich zum Untergange, als die Thorwächter von Medina schon von Weitem den Mörder in voller Eile heranlaufen sahen. Athemlos stürzte er zur Stadt hinein, stellte sich dem Kalifen und verlangte dringend, daß der Bürge freigelassen würde. Voller Erstaunen über eine solche unerschütterliche Treue befahl der Kalife den Bürgen vorzuführen, denn das ganze Ereigniß schien ihm so außerordentlich, daß er sich näher darüber unterrichten wollte. Er fragte den Bürgen, in welchem Verhältniß er zu dem Verbürgten stehe, der Bürge erklärte, er habe diesen Menschen vorher nie gesehen oder gekannt. „Und was konnte Dich veranlassen, Dich für einen Mörder zu verbürgen, den Du vorher gar nicht gekannt hast?“ fragte Omer. „Ich wußte,“ entgegnete dieser, „daß er als ein wahrer Moslim sein Wort halten würde“ - „Und Du,“ sich an den Verurtheilten wendend, „was veranlaßte Dich, einen Menschen, den Du vorher nie gekannt hast und der Dich zum Tode verurtheilt hat, um eine solche Bürgschaft anzusprechen?“ - „Während des Verhörs machten die Gesichtszüge dieses Richters auf mein Gemüth einen solchen Eindruck, daß ich mich unwillkürlich gefesselt fühlte, und als ich von Dir aufgefordert wurde, einen Bürgen für meine Rückkehr zu stellen, wandte ich mich an ihn in der festen Ueberzeugung, daß er als wahrer Moslim einem Moslim diese Gefälligkeit nicht verweigern würde.“ - Der Kalife bewunderte diese echt islamitische Gesinnung, die jeden Gläubigen als einen Bruder anzusehen befiehlt, und indem er dem Mörder die Todesstrafe erließ, sorgte er dafür, daß den Angehörigen des Ermordeten der Blutpreis in Kameelen und Schafen ausgezahlt wurde.

Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, welche von diesen Erzählungen der historischen Wahrheit gemäß ist, oder ob sie alle nur Nachklänge und Ausschmückungen eines noch älteren Ereignisses sind, ebenso wenig fühle ich mich berufen, zu erörtern, ob die Pythagoräer diese Erzählung durch Vermittelung ihrer Verbindungen mit dem Morgenlande nach Europa gebracht und ihrer Lehre zugeeignet haben, oder ob die christlichen oder mohammedanischen

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