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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Ungestört, treibt es das Chamäleon im Freien genau eben so wie in Gefangenschaft. Es bewegt sich sehr wenig, ohne Noth kaum oder nicht. Vermittels seiner Klammerfüße und des Wickelschwanzes an einem oder mehreren Zweigen festgeheftet, erwartet es Beute, mit einer Beharrlichkeit und Ausdauer, mit einer Anstandsruhe und Unbeweglichkeit, welche sich jeder Sonntagsjäger zum Muster nehmen kann. Wie ein in Erz gegossenes Bildniß verharrt es, ohne sich zu regen, stundenlang auf einer und derselben Stelle; aber ununterbrochen drehen und wenden sich die großen, bis auf den sehr kleinen Stern mit harten Lidern gedeckten Augen nach allen Seiten, um eine Beute auszukundschaften. Das eine schaut nach vorn und unten, das andere nach hinten und oben; dieses dreht sich rechts, jenes links; beide durchforschen jetzt gemeinschaftlich ein und dasselbe Gesichtsfeld, während im nächsten Augenblicke jedes einzelne wiederum unabhängig von dem anderen seine Bahnen beschreibt. Eine kleine Heuschrecke schwirrt, eine Fliege summt daher und läßt sich auf einem Zweige in der Nähe nieder. Das rollende Auge nimmt sie wahr, das andere vergewissert das Hirn dieser Thatsache. Unbeweglich starren beide nach dem Gegenstande. Er ist nah genug, nicht über fünf Zoll von der Spitze der Schnauze entfernt, könnte aber eben so gut auch sechs bis sieben Zoll weit sitzen, der Zungenpfeil des überaus geschickten Schützen würde ihn doch erreichen. Jetzt öffnet dieser langsam und bedächtig das Maul, so weit, als eben nöthig, die dickkolbige Zungenspitze wird zwischen den Lippen sichtbar, – und heraus schnellt das wunderbare Werkzeug mit einer fast unfehlbaren Sicherheit, buchstäblich pfeilschnell, und ist im nächsten Augenblicke mit der angeleimten Beute wieder in das Maul zurückgezogen worden. Ist der Anstand ergiebig, so wechselt das Chamäleon seinen Standort nicht um eines Haares Breite; fiel die Jagd in der letztvergangenen Zeit ungenügend aus, so versucht es wohl auch, ein Wild zu beschleichen. Letzteres thut es unter allen Umständen, wenn es sich um Hochwild handelt, um eine Raupe z. B., eine Käferlarve und dergleichen, weil es erfahrungsmäßig weiß, daß solches Gethier nicht, wie die Fliege, die Heuschrecke, der Schmetterling, planlos umherschweift, sondern seines einmal unternommenen Weges stetig fortgeht, also verfolgt werden muß. Hierbei entfaltet der raubsüchtige Schütz eine überraschende Behendigkeit, und alle Künste des Kletterns, alle Fähigkeiten der einzelnen Glieder kommen zur Geltung. Nicht allein die Zangenfüße werden unter solchen Umständen beansprucht, sondern auch der Wickelschwanz muß ausgiebige Dienste leisten: gar nicht selten hängt an ihm das Chamäleon sich schwebend auf und dehnt und reckt sich, so lang es kann, um noch einen nach der Tiefe gerichteten Treffer zu gewinnen.

Wahrhaft belustigend wird solche Jagd, wenn sie, in Zeiten des Mangels, nach Anstandswild unternommen wird. Eine langsam dahinkriechende Raupe wird bald eingeholt, eine unruhige Fliege nicht immer so leicht berückt. Da sitzt sie, behaglich sich sonnend, mit einem Vorderbeine sich putzend, außer aller Schußweite auf einem Blatte oder Zweige, ohne sich zu bewegen, ohne Miene zu machen, den Standort zu verändern. Lange Zeit haftet das eine Auge des verderbensinnenden Feindes auf ihr, als könne dieser der Hoffnung nicht entsagen, sie doch noch, ohne Aufwand besonderer Anstrengung, zu erreichen. Sie aber rührt sich nicht von der Stelle und hält vielleicht aus, wenn versucht wird, sie zu beschleichen. Bedächtig setzt der Jäger einen Fuß um den anderen wechselständig vor; langsam rückt er weiter, Zoll um Zoll; scharf heften sich seine Augen auf das ersehnte Ziel; schon öffnen sich die Kiefer – da summt die Fliege davon und das Chamäleon hat das Nachsehen. Ein anderer Räuber würde wahrscheinlich ablassen von aller Verfolgung: unser Thier aber besitzt nicht blos Beharrlichkeit, sondern auch grenzenlose Geduld und läßt es sich nicht verdrießen, wiederholt demselben Wilde nachzugehen, so schwierig, so entmuthigend es auch sein mag, es wiederum aufzufinden, sich ihm wiederum zu nähern und, wiederum betrogen, den Waidgang von Neuem anzutreten.

Wie das Chamäleon eigentlich verfährt, um sich einer Beute zu versichern, habe ich noch immer nicht mit Gewißheit erkunden können. Es sieht aus, als leime es dieselbe an den Zungenkolben an; es will aber auch wiederum scheinen, als ob es diesen wie eine Greifzange zu verwenden wisse. So viel habe ich bestimmt wahrgenommen, daß ein getroffenes Kerbthier fast ausnahmslos verloren ist. Nach den mit Mehlwürmern angefüllten Freßnäpfchen eröffneten unsere gefangenen Chamäleons ein wahres Kreuzfeuer von Schüssen, und niemals zog sich eine Zunge ohne Beute zurück, ja, sehr oft hingen zwei oder drei Mehlwürmer an dem Zungenkolben, ohne daß einer von ihnen beim Einziehen desselben abgestreift worden wäre. Die Sicherheit der Schnellschüsse erregte stets unsere Bewunderung, so gewohnt uns diese Treffgeschicklichkeit der Schützen schließlich auch werden mußte.

Verträgliches Zusammenleben ist unter Kriechthieren die Regel und erklärt sich naturgemäß aus der geringen geistigen Begabung der Mitglieder dieser Classe. Unter mehreren Chamäleons aber giebt es oft genug Uneinigkeit, Streit und Kampf. Ein bequemer Sitzplatz in Schußnähe des Freßnäpfchens kann den Neid eines minder Bevorzugten erregen und zu drohenden Fratzen und wirklichen Angriffen Veranlassung geben; viel ernster jedoch gestaltet sich die Sache, wenn das Gefühl, welches wir Liebe nennen, sich geltend macht. Während der Paarungszeit beißen sich die Männchen, vielleicht auch die Weibchen, ganz wüthend, ohne sich jedoch gegenseitig erheblich zu schädigen.

Bei solchen Streitigkeiten, wie bei jeder Erregung überhaupt, wird der vielbesprochene Farbenwechsel am deutlichsten ersichtlich, weil er schneller vor sich geht als sonst. Von ihm macht man sich gemeiniglich eine falsche Vorstellung, indem man glaubt, daß er ohne eigentliche Veranlassung stattfinde. Dies ist nicht der Fall. Der Wechsel geschieht unverkennbar in Folge eines Nervenreizes, gleichviel, ob dieser von äußeren Einflüssen oder innerer Erregung herrührt. Ueber Färbung und Zeichnung eines sich wohlbefindenden Chamäleons läßt sich im Allgemeinen nur soviel sagen, daß der grüne Grund mit helleren oder dunkleren Längsstreifen und regellosen Flecken von sehr verschiedener Färbung geziert ist und daß diese bald deutlicher, bald undeutlicher hervortreten. Dieses Kleid geht oft allmählich in ein düstergraues über, anscheinend dann, wenn das Thier geistig unthätig ist oder schläft, während es bei besonderer Erregung nach und nach lebhafter wird und allgemach die verschiedensten Schattirungen durchlaufen kann. Jenes grauliche Gelb oder Lederfarb, welches ich bei den verschmachteten Chamäleons beobachtete, deutet stets auf Unbehagen oder Krankheit des Thieres, während sehr lichte Färbung sich wiederum gerade bei der höchsten Erregung, gelegentlich der Paarung, bemerklich macht. Licht und Dunkel, Wärme und Kälte äußern einen entschiedenen Einfluß auf den Wechsel, weil sie das Behagen oder Unbehagen des Thieres hervorrufen. Uebrigens ändert sich die Färbung unter gleichen Umständen keineswegs bei allen Stücken in derselben Weise, so daß man also von einer Regel nicht sprechen darf, eine solche mindestens noch nicht hat feststellen können. Ein vom Kinn längs der Bauchseite verlaufender lichter Streifen und die Innenseite der Beine behalten ihre Färbung unter allen Umständen bei.

In Andalusien hält man Chamäleons als Hausthiere behufs Vertilgung der lästigen Fliegen. So leicht die Thiere dort, in dem heimathlichen Klima, die Freiheit verschmerzen, so schwierig ist es, sie bei uns zu Lande vor den verderblichen Einflüssen des Winters zu schützen. Abgesehen von der Nothwendigkeit, ihnen die erste Bedingung zum Wohlsein, eine gleichmäßige Wärme von mindestens achtzehn Graden, zu gewähren, hat man seine liebe Noth, ihnen zusagendes Futter zu verschaffen. Mehlwürmer sind und bleiben immer nur ein Nothbehelf: ihr Verlangen richtet sich auf fliegende Kerbthiere, unter denen sie Fliegen aller Arten den Vorzug geben.

Der Anfang der späteren Herbsttage ist der Beginn ihres Mißbehagens. Sie hören auf zu fressen, welken und sterben dahin. Dazu kommt, daß viele der gesundesten und kräftigsten Weibchen über dem Eierlegen zu Grunde gehen – ein Beweis, daß ihnen auch sorgsame Pflege die Freiheit mit allen ihren Freuden nicht ersetzen kann. Am besten halten sie sich in Gewächshäusern, deren gleichmäßige feuchte Wärme ihnen selbst eine längere Fastenzeit überstehen hilft; im Zimmer dagegen bringt man sie nur in seltenen Ausnahmefällen durch den bösen Winter. Auch wir haben fast alle verloren und dürfen erst nach Beendigung der für sie bestimmten, auf behagliches Leben der Kriechthiere überhaupt berechneten Wohnräume erwarten, sie vor den Unbilden unseres Winters genügend zu schützen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_135.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)