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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die junge Dame aber riß in zorniger Verlegenheit ein Epheublatt ab und zerzupfte es in kleine Stücken – das gleichmäßige Rauschen eines Seidenkleides klang ununterbrochen bis in die Fensternische; die Gouvernante marschirte dicht vor der offenen Salonthür wie eine Schildwache auf und ab.

„Ich begreife nicht,“ stieß Jutta mit funkelndem Blick hervor, „wie Du dazu kommst, mich in so abgeschmackter Weise an meine Pflicht zu erinnern! – Beweise mir, daß ich sie verletzt habe!“ –

„Sogleich, Jutta! – Es giebt keinen Rückweg vom Fürstenhof in das Hüttenhaus!“

„Das sagst Du – nicht ich!“

„Ja, das sage ich! … Und wenn Du wirklich zu mir zurückkehrtest ich verschlösse mein Haus vor Dir. … Ich will keine Frau, die Hofluft geathmet hat! Ich will eine ursprüngliche, unberührte Seele neben mir, wie ich sie einst im Waldhause gefunden! … O, ich bin ein Thor gewesen, ein Wortbrüchiger der alten, blinden Frau gegenüber! Nicht eine Stunde durfte ich Dich im weißen Schlosse lassen! Du bist schon vergiftet – der Plunder, mit dem Du Dich so wohlgefällig behängst,“ er zeigte auf das strahlende Kleid – „hat auch den Thau von Deiner Seele gestreift!“

Das war eine tief einschneidende Verurtheilung, und der sie ernst zürnend aussprach, trug den ganzen Glanz eigener fleckenloser Seelenreinheit auf der Stirn.

Frau von Herbeck kam tiefbesorgt über die Schwelle gerauscht – der streng sittliche Mensch kann in gewissen Momenten für frivole Naturen geradezu furchtbar werden, er hat Gewalt über sie – aber Jutta winkte ihr, zurückzukehren – sie wollte allein fertig werden, sie brauchte keinen Beistand.

„Jutta, kehre um!“ fuhr der Hüttenmeister in bebendem Tone fort, während er beschwörend die Linke der jungen Dame ergriff und sie an sich heranzog.

„Um keinen Preis – ich werde mich nicht so lächerlich machen!“

Er ließ ihre kleine, kalte, sich unwillkürlich krümmende Hand sinken.

„So – dann habe ich Dich nur noch zu fragen, wessen Fürsprache Du Deine brillanten Aussichten verdankst?“

Sie sah ihn unsicher an – diese starre Ruhe hatte etwas Furchtbares.

„Meine Freundin, Frau von Herbeck –“ entgegnete sie zögernd.

„Wer unsere stolzen Herrschaften kennt, der weiß auch, daß eine Untergebene des Ministers keinen directen Einfluß haben kann,“ schnitt er die offenbar ausweichende Antwort kurz ab.

Die Gouvernante fuhr auf ihrem Lauscherposten zurück wie von einer Natter gebissen.

„Jutta, ich persönlich habe Dir nicht ein Wort mehr zu sagen – ich habe keinen Theil mehr an Dir – das ist vorbei!“ fuhr er in erhobenem Ton fort. „Aber im Namen Deiner Mutter muß ich sprechen! … Gehe, wohin Du willst – Deine altadelige Abkunft wird Dir an allen Höfen Zutritt verschaffen – nur bleibe nicht hier! Du darfst nicht Gunstbezeigungen aus den Händen Derer nehmen, denen Deine unglückliche Mutter geflucht hat! … Jutta, er, der Minister –“

„Ah, jetzt kommt die Revanche!“ unterbrach ihn das junge Mädchen wildauflachend – sie floh aus der Fensternische in das Zimmer zurück. „Schmähe ihn, so viel Du willst!“ rief sie wie rasend vor Leidenschaft. „Nenne ihn einen Mörder, einen Teufel! … Und wenn es die ganze Welt schreit und beschwört – ich glaube nichts, nichts – ich höre nicht!“

Ihre kleinen Hände fuhren unter die Locken und legten sich auf die Ohren.

Die bleichgewordenen Lippen des jungen Mannes preßten sich bei diesem Anblick auf einander, als wollten sie verstummen für immer und ewig. Langsam streifte er seinen Verlobungsring ab und reichte ihn der jungen Dame hin – sie griff hastig nach dem ihren, und jetzt – zum ersten Mal während der ganzen stürmischen Scene – wurde ihr Gesicht dunkelroth in Scham und Verlegenheit … also deshalb hatte ihre zarte Rechte unverdrossen das schwere Bouquet gehalten – die unschuldigen Blumen mußten den beraubten Goldfinger bedecken – dort in der Perlmutterschale, auf die der unsichere Blick der treulosen Braut fiel, lag der Ring – sie hatte ihn ja bereits abgelegt. …

Der Hüttenmeister stieß ein markerschütterndes Lachen aus und taumelte durch die Thür, die der Student in demselben Augenblick öffnete, und aus dem Salon eilte Frau von Herbeck herüber und legte zärtlich ihre Arme um „die Standhafte“.

„Er hat es nicht anders gewollt, der Thor!“ murmelte die junge Dame trotzig, indem sie sich ziemlich unsanft der Umarmung entzog. Sie athmete einen Augenblick eine erfrischende Essenz ein, dann warf sie sich eine Handvoll Reispuder in’s Gesicht – als Präservativ gegen das hautverderbende Echauffement.


9.

Die beiden Brüder flohen förmlich nach dem Ausgang des Schlosses. War es doch, als sei selbst die schmeichelnde, parfümirte Lust der langen Gänge mit Verrath und Lüge erfüllt.

Unten in der offenen Thür des Musiksalons stand der Schloßverwalter und rief nach Leuten – der Flügel sollte anders gestellt werden. Man konnte den ganzen brillanten Raum übersehen. Die purpurseidenen Vorhänge waren dicht zugezogen, am den Wänden brannten bereits die Armleuchter, ein helles Feuer loderte im Marmorkamin, und die Diener arrangirten einen Kaffeetisch – lauter Anstalten, den Musiksalon Seiner Excellenz gemüthlich und anheimelnd zu machen. … Das Notturno von Chopin wurde jedenfalls heute noch gespielt, und während man die silbernen Kuchenkörbe leerte und Kaffee aus Meißner Porcellan trank, moquirte man sich über den Verabschiedeten, der sich unterfangen hatte, unmöglich gewordene Ansprüche an die künftige Hofdame Ihrer Durchlaucht der Fürstin von A. geltend zu machen.

In einem dem Kamin nahegerückten Lehnstuhl lag die kleine Gisela. Die schmalen Füßchen lässig gekreuzt, schmiegte sie den kleinen, unscheinbaren Kopf an die farbenreiche Stickerei der Lehne. Als sie die beiden jungen Leute durch das Vestibüle eilen sah, hob sie den Kopf und sprang auf den Boden. Sie war offenbar einen Moment ohne alle Aufsicht, denn in dem Augenblick, wo der Hüttenmeister hinaus auf den Kiesplatz trat, stand sie neben ihm und berührte seine Hand. Sie griff in die Tasche und holte, eine Handvoll nagelneuer Kupferdreier heraus.

„O, nehmen Sie!“ flüsterte sie athemlos. „Ich habe sie gesammelt, weil sie hübsch sind – es ist sehr viel Geld, nicht wahr?“

Der Hüttenmeister blieb zwar mechanisch stehen, allein ein völlig verständnißloser Blick fiel auf das Kind – es sah aus, als habe plötzlich ein verheerender Hauch dieses blühendfrische Körper- und Seelenleben angeweht.

„Rühre ihn nicht an!“ drohte der Student in ausbrechendem Schmerz und stieß die Kleine weg. Er lachte bitter auf, als die Geldstücke aus der Hand des erschrockenen Kindes klirrend über den Kies hinrollten. „Weißt Du kleine Natter auch schon,“ rief er, „wie die Hochgeborenen die Seelenwunden Anderer, behandeln? … Mit Geld, mit Geld! … Was an Dir ist denn hochgeboren, Du gebrechliches, häßliches kleines Menschenkind?“

Seine jugendlich kräftige Stimme hallte alarmirend in dem Vestibüle wider, an dessen Wände sonst fast nur das Geräusch leiser Sohlen und das gedämpfte Geflüster der Lakaien schlugen. Die Diener und der Schloßverwalter fuhren mit langen Hälsen aus der Thür des Musikzimmers, und im Hintergrund des Vestibules erschien Lena. Sie schlug die Hände zusammen, als sie die kleine Gräfin mit allen Zeichen des Schreckens, ohne Umhüllung und mit entblößtem Kopf draußen im Freien stehen sah; dazu hörte sie die beißende Frage des Studenten – bestürzt lief sie hinaus und zog das gräfliche Kind aus dem Bereich des „frechen Menschen“.

In demselben Augenblick raffte eine weiße Hand die zugezogene Gardine eines Fensters im Erdgeschoß zurück, und das bleiche Gesicht des Ministers erschien hinter den Scheiben. Bei diesem Anblick wurden die fieberischen Flecken aus den eingefallenen Wangen des Studenten zur dunklen Gluth. … Er trat dicht an das Fenster heran – der Minister fuhr in sichtlicher Bewegung zurück, allein die langen Lider legten sich sofort wieder über die Augen – der junge Mann hatte keine Waffe in der hochgehobenen Rechten.

„Ja, ja, sieh nur heraus und freue Dich!“ rief der Student mit weithin schallender Stimme. „Die Elende da droben hat ihre Sache gut gemacht – der Plebejer geht! … Fahre nur so fort,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_131.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2016)