Seite:Die Gartenlaube (1869) 128.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Nordwesten des heutigen Athen trat die Procession zusammen. Priester eröffneten sie, hinter ihnen wurden die bekränzten Opferthiere hergeführt. Dann folgten die Metöken, die in Athen ansässigen Fremden, welche die zum Opfer nöthigen Geräthe und Gefäße trugen. Ihnen zunächst schreiten im Zuge ausgewählte Jungfrauen von edlem Geschlecht, die wir uns den Mädchenbildern dort am Erechtheion ähnlich denken mögen, Körbe auf den Häuptern, welche heilige Gerste, Honig und Opferkuchen enthalten. Neben ihnen gehen Metökentöchter her, die sie mit Schirmen gegen die Sonnenstrahlen schützen. Aus der Mitte des Zugs der Jungfrauen ragt ihr Werk, das Prachtgewand, empor, mit dem das Holzbild Athene’s im Erechtheion bei diesem Feste neu bekleidet wurde. Es war ein Gewebe aus Scharlachtuch und Goldfäden, dessen Stickerei Thaten Athene’s darstellte, und beim Zuge war es segelartig am Maste eines Schiffes aufgespannt, welches auf Rädern fortbewegt wurde. Unter dem Vortritt von Musikchören folgen dann mit Myrthen bekränzte Jünglinge, die einen Choral zu Ehren der Göttin ertönen lassen. Dem Zuge der Jünglinge schließt sich der Zug der zum Dienst in schwerer Rüstung verpflichteten Männer an. Sie sind ebenfalls mit Myrthen geschmückt, aber auch mit Schild und Lanze bewaffnet. Ihnen folgt eine Schaar auserlesener Greise, Oelzweige in den Händen zu Ehren der göttlichen Spenderin des Oelbaums. Hinter ihnen wieder werden die Preise für die Sieger in den Wettspielen, welche das Fest begleiten, getragen, Olivenkränze und Krüge gefüllt mit Oel von den heiligen Olivenbäumen Athene’s. Den Schluß der Procession bilden die Gespanne und die Reitpferde, welche um jene Preise laufen sollen, und hinter diesen die gesammte vornehme Jugend Attika’s zu Rosse.

Mit Gesang und Musik bewegt sich der Zug, der die ganze Macht und Herrlichkeit des attischen Staates entfaltet, durch die schönsten Straßen der Stadt, die von den Freigelassenen mit Eichenlaub geschmückt sind, nach der Akropolis herauf. Die Opferthiere brüllen, die Rosse wiehern, Massen von Landleuten sind herbeigeströmt, Niemand darf sich sehen lassen, der nicht ein weißes Gewand trägt. Oben angekommen, theilt sich der Zug an der Westseite des Erechtheion, um am Eingang desselben auf der Ostseite wieder zusammenzutreffen. Die Bewaffneten legen Schild und Lanze nieder. Ein Herold spricht mit lauter Stimme das Gebet für das Heil aller Athener. Das Opferfeuer auf dem Altar vor dem Tempel wird angezündet, die Thiere werden geschlachtet, und während die Fettstücke brennen, ertönt rauschend der Päan zu Ehren Athene’s.

Wir haben von der Vergangenheit geträumt. Noch scheint die alte Sonne auf Athen und die Akropolis, noch glänzen die Berge wie einst, und noch ist über die Ebene die Heiterkeit von ehedem ausgegossen. Aber der Zug der Panathenäen erscheint nicht mehr vor der Burg Athene’s. Er ist zerronnen, verschwunden, zurückgekehrt nach dem Kerameikos und dort in die Gräber gestiegen, die sich in dieser Gegend des alten Athen befanden.




Blätter und Blüthen.

Das Geheimniß der alten Mamsell. Das nachfolgende Actenstück, welches wir einer freundlichen Einsendung aus Thüringen verdanken, wird sicherlich allen den zahlreichen Lesern von E. Marlitt’sDas Geheimniß der alten Mamsell“, welches, beiläufig, eben in seiner dritten Auflage versandt wird, von hohem Interesse sein, da es den authentischen Bericht der Fürstlichen Behörde über den merkwürdigen Vorfall giebt, der die erwähnte Novelle einleitet.

Arnstadt. 
Untersuchungs-Acten
wegen der hier zu Tode gekommenen Emilie von Linsky bei Gelegenheit der von ihrem Ehemann Louis von Linsky auf hiesigem Rathhaussaale dahier gezeigten mechanischen und physikalischen Kunstfertigkeiten.
Ergangen 
beim Fürstlichen Justiz-Amte Arnstadt 1829.     



Actum Arnstadt, den 9. November 1829,
Nachmittags ½3 Uhr. 

Als ich, der unterzeichnete hiesige Beamte, im Begriff stand, mich zur gehorsamsten Befolgung des vorliegenden hochverehrlichen Fürstlichen Regierungs-Rescripts zur vorzunehmenden Section des Leichnams der Frau von Linsky (zur Erläuterung des Nachstehenden bemerken wir, daß die Behörde eine gerichtliche Section der Erschossenen angeordnet hatte. Die Redaction) in dem hiesigen Gasthof zum goldenen Greif, in welchem die von Linsky’sche Familie bei ihrem jetzigen Hiersein logirt, abzugehen, wurde ich zu Seiner Excellenz dem Herrn Geheimen Rath von Kaufberg gerufen, und traf daselbst einen fremden Herrn an, welcher sich den Vater des angeblichen Ehemanns der erwähnten Frau von Linsky nannte und sich den Namen Ludwig von Linsky aus Warschau, 65 Jahre alt, beilegte.

Seine Excellenz der Herr Geheime Rath von Kaufberg eröffnete mir hierauf, daß dieser Herr die angeordnete Section seiner verstorbenen Frau Schwiegertochter soeben aus dem Grunde dringend verbeten habe, weil er befürchte, daß, wenn diese Section vor sich gehe, sein Herr Sohn, welcher gleich anfänglich derselben zuwider gewesen sei, in seiner bisherigen, durch das traurige Ereigniß herbeigeführten großen Schwermuth und Verzweiflung auf’s Aeußerste werde gebracht werden und hieraus die schlimmsten Folgen entstehen möchten, und daß daher – und weil überdies, dem Vernehmen nach, die Verstorbene kurz vor ihrem Ende gegen den Herrn Dr. Hunnius dahier geäußert haben solle, daß sie nicht möge secirt werden – um nicht das Leben einer zweiten Person auf’s Spiel zu setzen, in Voraussetzung der Richtigkeit dieser Aeußerung, die angeordnete Section unterbleiben möge.

Ich ging hierauf in den hiesigen Gasthof zum goldenen Greif, um in Betreff der von der Verstorbenen angeblich verbetenen Section mit dem Herrn Dr. Hunnius, welchen ich dieser Section wegen hier anzutreffen glaubte, nähere Rücksprache zu nehmen, und hörte von selbigem, den ich auch hier antraf, Folgendes: Die verstorbene Frau von Linsky äußerte gegen mich während ihrer Krankheit und kurz vor ihrem Ende, daß sie wünsche, es möchten die Kosten ihrer Beerdigung durch milde Beiträge bestritten werden, und es möge mit ihr weiter nichts vorgenommen werden; des Ausdrucks aber: sie möge nicht secirt werden, hat sie sich gegen mich nicht bedient.

Ich übertrug hierauf dem ebenfalls hier anwesenden und hieher bestellten Herrn Regierungs-Advocat und Amts-Actuarius Winter, diese Vernehmlassung des Herrn Dr. Hunnius Seiner Excellenz dem Herrn Geheimen Rath von Kaufberg zu hinterbringen und auf deren Grund sich weiteren hohen Befehl zu erbitten, welchen derselbe auch kurz darauf dahin überbrachte, daß der gebrauchte Ausdruck der Verstorbenen wohl nicht füglich anders als auf eine verbetene Section zu beziehen sei, und daher die vorgewesene Section unterbleiben möge.

Diese hohe Anordnung wurde hierauf von mir den ebenfalls zum Behuf der fraglichen Section anwesenden Herren Hofrath und Dr. Ortlepp, Rath und Dr. Rauch, Doctoren Wilhelmi, Nicolai und Hunnius, sowie dem Herrn Amts-Chirurgus Naumburg eröffnet, und wir alle schieden dann wieder von hier. Nachrichtlich wie oben. J. W. B. Franke.     
Das vorstehende Protokoll habe ich heute durchgelesen und ich bestätige die Richtigkeit desselben in Betreff meiner durch meine Namens-Unterschrift.
Arnstadt, den 10. November 1829. Ludwig v. Linsky.     




Geschehen 

Arnstadt, den 10. November 1829,     

Nachmittags 2½ Uhr. 

Begab sich der Herr Beamte, der Gerichts-Rath und Justiz-Amtmann Franke, nebst Unterzeichnetem Actuario in den hiesigen Gasthof zum goldenen Greif zu dem Herrn von Linsky in der unteren Gaststube. Der Herr Beamte eröffnete hierauf jenem, von der Fürstlichen Regierung dahin beauftragt worden zu sein, von ihm zu vernehmen: ob und in wiefern er in Hinsicht des vor einigen Tagen sich mit seiner nunmehr verstorbenen Ehegattin zugetragen habenden traurigen Ereignissen Jemand eine Schuld beimesse.

Derselbe ließ sich darauf also vernehmen: Ich heiße Louis v. Linsky, bin 28 Jahre alt, aus Warschau, katholischer Religion. Jener Unglücksfall hat sich blos dadurch ereignet, daß der Soldat, der meine verstorbene Frau erschossen hat, die ihm zugestellte Patrone an demjenigen Ende abgebissen hat, an welchem sich das Pulver, nicht aber die Kugel befand, welche letztere er, meiner Instruction gemäß, abbeißen sollte. Uebrigens kann aber auch die Schuld zum Theil an dem Unterofficier liegen, welcher die Patrone nicht mit der Kugel vorweg unter den Patrontaschenriemen gesteckt hat, sondern mit dem Pulver vorneweg, so daß der Soldat das heraussehende obere Ende mit der Kugel in die Hand bekam. Ob nun dieses der Fall ist, oder ob der Soldat die Patrone, die richtig unter dem Patrontaschenriemen mit der Kugel vorneweg stak, in der Hand vor dem Aufbeißen umgedreht hat, das kann ich nicht sagen. Vor der Vorstellung habe ich auch die Soldaten hinlänglich instruirt, dem Unterofficier habe ich vier Patronen gegeben, und dieser hat einem jeden der vier Soldaten eine mit der Kugel vorweg unter den Patrontaschenriemen gesteckt, und auf das erforderliche Commando hat auch jeder seine Kugel von der Patrone abgebissen und mir zugestellt. Nach diesem unglücklichen Ereigniß habe ich auch von drei Soldaten die Kugel wieder zurückerhalten, von dem vierten nur ein Stück leeres Papier. Uebrigens wünsche ich, daß weder der Unterofficier noch der Soldat zur Rechenschaft möge gezogen werden.

Vorgelesen und genehmigt und unterzeichnet

L. von Linsky.
 Nachrichtlich wie oben

M. Winter, Actuarius.     

 Zu gedenken,
daß, nachdem am 10. d. Mts. die vorliegenden Acten an die Fürstliche Regierung allhier brevi manu abgegeben worden, selbige von Hochderselben heute wieder anhier zurückgegeben worden sind.

Arnstadt, den 12. November 1829. J. W. B. Franke.     


Inhalt:


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_128.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)