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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


malen versuchte. Wir stehen auf einem der Türkenberge inmitten der Ebene von Attika. Der Rauch zur Linke steigt von Athen auf. Der eine der zerklüfteten Felsen auf dieser Seite ist der Areopag, wo das höchste peinliche Gericht der Athener seine Sitzungen hielt und wo Sophokles das Geschick des Oedipus enden läßt, der andere, der höher und ferner aufstrebt, der Lykabettos. Die beiden mächtigen Berge am nördlichen Horizont sind der Parnes und der Pentelikos, jenseit dessen Marathon, die erste Siegesstätte der Griechen im Perserkriege, liegt. Der gewaltige Höhenzug rechts im Osten ist der bienenumschwärmte Hymettos, die Ruinensäulen unter seinen Ausläufern in der Fläche gehörte einem Tempel korinthischen Stils an, den Kaiser Hadrian dem Zeus erbaute. Das weinroth schimmernde Meer im Süden trug die Flotte des Xerxes zur Schlacht bei Salamis. Der Hügel in der Mitte der Landschaft aber, der mit seinen Hallen- und Tempeltrümmern so hehr und still auf uns herniederschaut, ist die Akropolis von Athen, einst die Burg der Theseusstadt, der Wohnsitz ihrer höchsten Götter, der Brennpunkt alles dessen, was dem Volke Attikas als das Heiligste galt, die Verkörperung seiner edelsten Kunstgedanken, jetzt eine Ruinenstätte, aber die stolzeste und reichste in ganz Griechenland.

Steigen wir an der Hand der Erinnerung hinauf, um zu sehen, was die Akropolis einst war, als Perikles und Phidias ihre künstliche Ausschmückung vollendet, und was sie jetzt ist, nachdem Jahrhunderte der Barbarei über sie hinweggegangen. Ein Gefühl, gemischt aus Bewunderung und Wehmuth, wird uns begleiten, eine Fülle holder und erhabener Empfindungen uns aus allen Richtungen der Burg Pallas Athene’s zuströmen.

Der Hauptbau der Akropolis war im Alterthum der Parthenon, ein Tempel der jungfräulichen Göttin Athene, der unter der Leitung des Perikles und der besonderen Aufsicht des Phidias auf der Stelle eines von den Persern zerstörten älteren Heiligthums von Iktinos erbaut wurde und in welchem man zugleich den Schatz der Athener aufbewahrte. In geringer Entfernung davon, nach Nordwesten hin, erhob sich ein kleinerer Tempel, welcher eine Zusammensetzung mehrerer Heiligthümer, vorzüglich aber dem Erechtheus-Poseidon geweiht war, weshalb er jetzt den Namen des Erechtheions führt. Das Ganze war mit Mauern umgeben, die den heiligen Gipfel zugleich zur Citadelle von Athen machten. Den Eingang zu dieser Tempelburg ließ Perikles von dem Baumeister Mnesikles mit einer prachtvollen Thorhalle, den Propyläen, schmücken, zu der eine breite Freitreppe emporführte und neben welcher ein dritter, sehr kleiner Tempel sich erhob, welcher der Nike Apteros, d. h. der ungeflügelten Siegesgöttin, gewidmet war. Das Material aller dieser Bauwerke war der alabasterweiße Marmor vom Pentelikos, der indeß, da in ihm Eisentheile sind, im Laufe der Zeit gelblich wurde und überdies, wie jetzt feststeht, an vielen Stellen bunt bemalt war.

Von den Bildhauerarbeiten, welche die Akropolis zierten, können hier nur die bedeutendsten angeführt werden. Im Parthenon stand die Kolossalstatue der Athene als Jungfrau, die von Phidias aus Elfenbein und Gold geschaffen wurde. Zwischen jenem Heiligthum und den Propyläen erhob sich im Freien das sechszig Fuß hohe eherne Riesenbild derselben Göttin als Stadtbeschützerin, eine Statue, die mit der blitzenden Spitze ihrer Lanze den Schiffern draußen auf der See als Leuchtfeuer diente und deren ernstes Antlitz die Gothen Alarich’s von der Plünderung Athens zurückgeschreckt haben soll. Unten bei der Freitreppe lag eine eherne Löwin ohne Zunge, das Werk des Amphikrates, welches symbolisch die heroische Verschwiegenheit der Geliebten des Tyrannentödters Aristogeiton feierte. Weiter nach dem Areopag hin standen die Statuen Aristogeiton’s selbst und seines Freundes Harmodios, von denen ein bei athenische Gelagen beliebtes Lied sang:

„Im Myrthenzweig will ich tragen das Schwert,
0 Wie Harmodios und Aristogeiton,
Als sie den Zwingherrn erschlugen
0 Und den Athenern gleiches Recht schufen.“

In späterer römischer Zeit endlich erhob sich über der Freitreppe dem Niketempel gegenüber die Reiterstatue des Marcus Vipsanius Agrippa als Dankzeichen der Wohlthaten, die derselbe den Athenern erwiesen.

Von den gedachten Bildwerken ist jetzt nichts, von den Bauten dagegen sind sehr bedeutende Reste noch vorhanden, die wir nun in Augenschein nehmen wollen.

Die große Freitreppe, welche nach der Säulenhalle der Propyläen hinaufführt, ist jetzt zum Theil durch eine wahrscheinlich erst im Mittelalter erbaute Mauer verdeckt, in der sich ein hohes, nach oben sich verjüngendes Thor öffnet. Nur bei besonderer Veranlassung wird das Eisengitter aufgeschlossen, welches vor diesem Thore angebracht ist. Der gewöhnliche Aufgang zur Akropolis ist ein etwas weiter rechts befindlicher tiefer gewölbter Thorweg, durch den wir in einen schmalen Vorhof gelangen, welchen links Gemäuer überragt, während man zur Rechten in die Tiefe des Odeions des Herodes hinabblickt, eines in den Felsen gehauenen antiken Opernhauses, dessen halbkreisförmige Sitzstufen und dessen Bühne jetzt vollständig wieder ausgegraben sind. Weiter hinauf führt ein zweiter Thorweg in den Hof, in welchem die Veteranen wohnen, die mit der Bewachung der Akropolis beauftragt sind. Einer von ihnen geleitet die Fremden in’s Innere, und zwar nicht sowohl als Führer – denn diese alten Kriegsbärte sprechen nur griechisch – wie als Beaufsichtiger, eine Vorsichtsmaßregel vorzüglich gegen die Engländer, die alle einen Zug von Lord Elgin, dem Plünderer der hiesigen Kunstdenkmäler, zu haben scheinen und die, unbeobachtet, in nicht langer Zeit Parthenon und Erechtheion, Propyläen und Niketempel mit Meißel und Hammer zu Briefbeschwerern verarbeitet haben würden. Durch einen dritten Thorweg treten wir auf die halbe Höhe der großen Freitreppe hinaus, deren untere Hälfte Stufen zeigt, welche über die ganze Breite zwischen den Umfassungsmauern hinlaufen, wogegen die obere in der Mitte einen stufenlosen Raum für Wagen freiläßt und so sich in zwei Treppen theilt.

Von der Treppe zur Rechten steigen wir auf fünf kleinen Stufen nach einem bastionsartigen Vorsprung empor, auf dem der Niketempel steht. Derselbe sieht neben dem mächtigen Bau der Propyläen wie ein Kind neben der Mutter aus, ist aber älter als jene, da er kurz nach den Perserkriegen von Kimon erbaut wurde. Bei einer der Belagerungen, welche die Akropolis in den Kriegen Venedigs mit den Türken auszuhalten hatte, wurde er von einer Bombe zerstört, aber anderthalb Jahrhundert später setzten ihn kunstverständige Hände nach Beschreibungen von Reisenden, die ihn unzertrümmert gesehen, aus den umhergestreuten Bruchstücken wieder zusammen. Das Tempelchen, welches gegen Osten und gegen Westen eine Vorhalle von je vier schlanken ionischen Säulen hat und unter dessen Dach ein Fries mit stark verstümmelten Relieffiguren hinläuft, ist ein Muster von Ebenmaß und Zierlichkeit.

Die Propyläen, die wir, vom Niketempel wieder auf die große Treppe herabgestiegen, in nächster Nähe vor uns haben, gliederten sich einst in drei Theile: in der Mitte befand sich eine doppelte Eingangshalle, rechts und links sprangen Flügel nach Westen vor. Von diesen Flügeln ist nur der zur Linken, im Norden, noch sichtbar. Der andere ist in den Thurm verbaut, mit dem die Geschmacklosigkeit fränkischer Herzöge, die im Mittelalter hier hausten, den antiken Prachtbau verunstaltete. Die Eingangshalle zerfällt in eine vordere und eine hintere, der Himmelsgegend nach in eine westliche und eine östliche Hälfte, die durch eine Quermauer geschieden sind. Den Giebel der Westhalle tragen sechs dorische Säulen von siebenundzwanzig Fuß Höhe, von denen die beiden mittelsten, durch welche der Fahrweg eingefaßt wird, weiter auseinanderstehen als die nächsten. Von jenen Mittelsäulen führten als weitere Einfassung des Fahrwegs im Alterthum zwei Reihen schlanker ionischer Säulen zu dem großen Portal in der Quermauer, durch welches wir in die östliche Halle gelangen, die weniger tief und ohne die ionischen Säulen am Fahrwege ist. Der ziemlich gut erhaltene Nordflügel besteht aus einer Vorhalle von drei Säulen dorischer Ordnung, aus welcher wir in einen viereckigen Raum, die einst mit Gemälden von Polygnot und andern Meistern geschmückte Pinakothek, treten. In dieser sowie in der Mittelhalle ist gegenwärtig eine Anzahl von Sculpturresten, Rümpfen, Händen, Füßen von Statuen, Steinen mit Inschriften und dergleichen aufgestellt, unter denen sich einzelne gute Arbeiten befinden.

Treten wir aus der Osthalle der Propyläen, die als Ganzes trotz ihrer Zerstörung im Einzelnen immer noch einen großartigen Eindruck machen, in den innern Raum der Akropolis, so erblicken wir vor uns eine weite, zum Theil mit Gras und Gestrüpp bewachsene Trümmerstätte, auf der sich Ruinen aus dem Alterthum mit Resten moderner Gebäude mischen. Hier Spuren von Vorrathsgewölben einer neueren Festung, Cisternen, Grundmauern von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_126.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)