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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


ansässigen Bruders sein mußten, und beschloß seiner Braut den leuchtenden Blumengruß aus der fernen Heimath zum morgigen Tage darzubieten.

Nie hatte das düstere Brahmanenhaus so zahlreiche Gesellschaft gesehen, wie zum Tage der „Beglückwünschung“ der schönen Indierin. Diava bot mit strahlendem Antlitze ihren Gästen den „Brautzucker“ und den Festwein, den man in Holland so poetisch die „Brautthränen“ zu nennen pflegt. In ihrer Hand hielt sie den Prachtstrauß, dessen Duft sie von Zeit zu Zeit mit einer wilden Begierde einzuathmen schien.

Das Festgelage zog sich in die Länge. Papa Schapenham, um sich für seine langjährige Brahmanenenthaltsamkeit zu entschädigen, sprach dem goldnen Weine tapfer zu. Die Liebenden saßen dicht beisammen, ihr Hauch vermischte sich mit dem würzigen Odem der indischen Blumen, hinter denen Diava ihr erröthendes Haupt verbarg. Festfreude glühte auf jedem Antlitz. Da plötzlich tauchte der Kopf Diava’s hinter dem Strauße hervor … sie war todtenbleich … Tavor starrte seine Braut entsetzt an … In diesem Augenblicke erschien eine weiße Gestalt am Eingange, es war Dhruva, der Brahmane …

Ein Blick auf Diava, ein Angstruf: „Mein Kind!“ und der Indier riß die Blumen aus den Händen der Braut, die Tavor mit seinen Armen umfaßt hielt. Einen Augenblick stand der Bräutigam noch, dann brach er zusammen, und Beide lagen da im Tode verschlungen. Die indischen Blumen waren vergiftet …

Die Gäste flohen vor Entsetzen …

Der Brahmane aber ergriff den versteinerten Brautvater bei der Hand und zog ihn fort nach dem Wischnutempel. Hier begann er: „Wisse endlich das Geheimniß meines Lebens. Diava ist mein Kind und nicht das Deinige.“

Dirk van Schapenham stierte den Indier mit irren Blicken an. Dhruva fuhr fort: „In einer dunklen Nacht, wo die Zeichen der Göttin Kali schwiegen, überfiel der Brite Tavor mit seinen Sipoys eine Schaar Thugs am Strome und würgte sie alle, Weib und Kind bis zum letzten lebenden Wesen. Einer nur entkam mit einem neugeborenen Kinde, dessen Mutter im Todeskampfe lag. Auf der Flucht traf er Dein Landhaus. Du warst abwesend. Die Verfolger auf den Fersen, rettete er sich in das Schlafzimmer Deines Weibes, das mit ihren Dienerinnen in Thränen lag. Sie hatte vor wenigen Stunden ein Kind geboren, das Kind aber war todt. Sie hatte Mitleid mit dem Flüchtlinge und verbarg ihn; die Gefahr ging vorüber. Der Anblick Deines todten Kindes gab dem Verfolgten einen Gedanken ein. Wie sollte er seines geliebten Kindes Dasein fristen, bei dem Leben, das ihm gleich einem gehetzten Wilde bald in Waldeshöhlen, bald in den Einöden der Dschungeln bevorstand? Da machte er seinem Kinde das geheimnißvolle Zeichen auf die Stirn und gab sein lebend Fleisch für Dein entseeltes hin … Die Mutter und die Frauen jauchzten auf, denn sie wußten, daß Dein heißester Wunsch nach einem Kinde ging. Der Vater aber floh und lebte eimsam; denn Du weißt, ein entdeckter Thug kehrt nie mehr zu seinem Handwerk zurück. Der Thug war ich. Bald zog’s mich mächtig zu meinem Kinde zurück, und eines Tages kam ein Bettler an Deine Schwelle, Du speistest ihn. Der Bettler war ich. Einige Zeit darauf kam ein Mann, der sprach: „Ich bin ein Brahmane, der ein Opfer bringen will“. Du nahmst ihn auf. Der Brahmane war ich, denn echt Brahmanenblut strömt in meinen Adern … Ich sah mein Kind und sah, daß man streng das Geheimniß bewahrt. Dein Weib starb, Du wolltest Brahma’s Jünger werden, und ich kam für immer in Dein Haus. Jahre vergingen, ich lebte bei Diava und war glücklich. Da verließen wir das heilige Land und zogen unter diese bleichen, kühlen Menschen … was that’s? Ich lebte bei Diava, und sie liebte mich. Da kam der Fremde, er sah mein Kind und böse Lust stieg in ihm auf … umsonst versuchte ich alle Zauberformeln, der Dämon siegte, und Diava’s Herz wandte sich von mir …“

Hier hielt der Brahmane inne; Thränen stürzten aus seinen Augen.

„Sollte der Mann, der Diava’s Mutter und alle Unseren hingemordet, das süße Kind besitzen? Nimmermehr! – Er hatte mich erkannt und zwang mich im Geheimen, das Haus zu fliehen, wo meine Augenweide war – ich schwor ihm bei des heiligen Stromes Welle, niemals zurückzukehren …“

Dhruva stieß ein wildes Gelächter aus …

„Ein Schwur in den Wind war’s, denn wir Thugs schwören den furchtbarsten der Schwüre nur bei der ‚heiligen Axt‘, und längst hatt’ ich diesen Schwur gethan, unsern Todfeind zu vernichten. Ich ging … und heute bin ich wieder da … die Blumen waren meine Todesboten; ich sandte sie dem Feinde, damit er sterbe, bevor er meine süße Blume pflücke. Ich wollte den Adler würgen und zermalmte mit ihm die Taube. Brahma’s Wille war, daß Diava sterbe, Brahma sei verherrlicht in alle Ewigkeit.“

Mit diesen Worten verschwand der Brahmane in der Pagode.

Am Morgen fand man Dirk van Schapenham zu Füßen Wischnu’s … todt … Der furchtbare Schmerz hatte ihn getödtet.

Ein von zwei Jahren her datirtes Testament des Sonderlings vermachte sein ganzes Vermögen seiner Tochter Diava mit der Clausel, dem Brahmanen Dhruva die Broeker Villa mit allem dazu Gehörigen zur lebenslänglichen Benutzung zu überlassen. Tante Theobalde, die einen Theil der Erzählung des Brahmanen im Tempel belauscht hatte, klagte den Indier vor Gericht des vorbedachte Mordes an Elisha Tavor an. Da jedoch in der Voruntersuchung der Zustand unheilbaren stillen Wahnsinns bei dem Unglücklichen constatirt wurde, ließ man die Anklage fallen und installirte, dem Testamente gemäß, den harmlosen Irren in der Schapenham’schen Villa, nachdem die beiden anderen Hindus mit den nöthigen Mitteln zur Rückkehr in ihr Vaterland versehen worden waren. – –

Mein Freund hatte geendet. Tief erschüttert verließ ich das „Brahmanenhaus“ …

Ein Jahr darauf schrieb mir Baron H.: „Ich bin mit meiner jungen Frau auf Besuch bei Dhruva gewesen. Während wir im Tempel saßen, erschien der Brahmanengreis plötzlich am Eingange der Pagode. Er wankte einige Schritte vorwärts, sprach mit dumpfer Stimme das Wort ‚Aum‘ und brach beim Bilde seines Götzen todt zusammen. Sein letztes Wort war das mysteriöse Wort der indischen Dreieinigkeit gewesen, welches für die Brahmanen das ewige Leben in der Anschauung des allerhöchsten Wesens enthält.“ –

Heute ist das „Brahmanenhaus“ Eigenthum meines liebenswürdigen Reisegefährten, dem ich diese Mittheilungen verdanke.




Ein Morgen auf der Götterburg der Athener.

Ein schöner heller Frühlingsmorgen lächelt uns an. Von den benachbarten Bergen, die im Schimmer der eben aufgegangenen Sonne strahlen, weht uns der Wind die Düfte wilden Thymians zu. Der Himmel ist wolkenlos, die Luft von jener südlichen Durchsichtigkeit, bei der die Umrisse der Gegenstände auch von fern gesehen vollkommen klar und deutlich erscheinen. Wir stehen auf dem letzten einer Reihe mäßig hoher Felshügel, die sich ungefähr in der Richtung von Norden nach Süden über eine breite Strandebene hinzieht, welche ferner draußen im Osten und Norden von höheren und breiter hingelagerten Gebirgsmassen eingeschlossen ist, während im Süden, uns zur Rechten, ein weinfarbiges Meer glänzt. Den Mittelpunkt des Landschaftsbildes aber, auf das wir blicken, bildet ein Hügel, höher als unser Standort, auf seiner unteren Flanke großentheils kahl und nur hin und wieder mit Gruppen von Strauchwerk und niedrigen Bäumen bedeckt, gleich den anderen Höhen über der Ebene, oben zum Theil in schroffen Kalksteinwänden endigend. Den Gipfel des Hügels krönen graue Mauerläufe, über denen sich von dem safranfarbigen Morgenhimmel ein mittelalterlicher Streitthurm in einem Gewirr gelblicher Säulen mit und ohne Bedachung, und weiter oben zur Rechten die Front eines mächtigen Tempelbaues aus dem Alterthum abheben. Rechts von der Straße, die sich um den Trümmerberg windet, sind auf der Ebene einige riesenhafte Säulen sichtbar. Links, im Nordosten, steigt der Rauch einer Stadt auf. Droben bleibt Alles klar, still und einsam.

Es ist eine Erinnerung an Griechenland, die ich hier zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_123.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)