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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Das Geheimniß des Brahmanen.
Eine holländische Erinnerung.
Mitgetheilt von Ch. v. Vincenti.

Wir saßen im Heiligthum Wischnu's, unter unseren Füßen knitterten, als Opferreste, welke Blumen, und durch die kleinen Rundfenster glühte das Abendroth auf dem Altare, dessen Flamme eben erloschen. Und mein Gefährte erzählte eine gar seltsame Geschichte, die ich ihm nacherzählen werde, sobald ich nur zuerst gesagt, wer mein Gefährte ist und wie und warum wir Beide in den Hindutempel hineingekommen sind.

Ich lag in Paris, so zu sagen, europakrank; mir that eine Badereise nach Indien oder China noth. Ein Gangesbad oder ein Trunk aus dem blauen Strome mußten mich, so dachte ich, radical curiren. So traf mich mein Freund, der Baron H…n, Sportsman und holländischer Erzmillionär. Kaum hatte ich ihm mein Leid geklagt, als er sich unter der Bedingung, daß ich ihn vorerst nach Holland begleite, als Reisegefährte anbot. Wir kamen in Amsterdam an, bestiegen des andern Morgens das Dampfschiff an der Stads-Herberg und überschifften das Y. Nordholland stand eben im prächtigen Maienkleide. Als wir oberhalb Buiksloot den großen Nordcanal verlassend längs einem nach rechts sich abzweigenden Seitencanal hinschritten, breitete sich eine wunderbare Landschaft vor unseren Blicken aus. Monumentale Windmühlen reckten behaglich die langen Gliedmaßen in die blauen Lüfte, am Horizont zogen weiße Segel wie Friedensvögel und das Sonnengold funkelte und flimmerte auf den bunten Emailziegeldächern einer phantastischen Stadt. Jetzt zog eine sanfte Melodie durch die Lüfte.

„Indien!“ lachte mein Gefährte. Hören Sie die Minarete klingen?“

„Ho-i-ho,“ klang es langgezogen.

„China!“ scherzte H…n. Hören Sie die Sprache des himmlischen Reiches?“

„Oder Broek,“ lachte ich zurück, „nicht wahr?“

„Sie haben es errathen, Broek, das Villendorf der holländischen Millionäre, die Capitale von Europäisch-China oder Indien, wie Sie wollen. Sie sehen, daß wir, um das Eine oder das Andere zu finden, keinen Rotterdamer Steamer zu besteigen brauchen. Wir Holländer haben für Europablasirte ein gutes Stück Asien bei uns zu Hause. Sie finden unser Kastenwesen, unsere Neigung zum Ueberschwänglichen, unsere Blumenmanie, selbst unsere Kirmessen, die wahre Schiwafeste sind, am Ganges wieder. Auf der anderen Seite leben wir als eigenartiges Amphibienvolk durch Süß- und Salzwasser abgeschlossen wie die Chinesen, sprechen eine Sprache, die mindestens so viel Zungengymnastik als das Mandarinenidiom erheischt, arbeiten mit derselben berechnenden Ameisengeduld und Ausdauer und führen dasselbe symmetrische Stillleben ohne weite Lebensaussichten, wie die Leute im Reiche der Mitte. In Einem nur unterscheiden wir uns von den Chinesen, wir bewohnen eine Erde der Duldsamkeit, wo in düstern Zeiten ein Freidenker, wie Bayle, ein Asyl gefunden und ein Spinoza nicht verbrannt worden ist, was ihm die Herren Mandarinen schwerlich erspart haben möchten. Gehen wir nach Broek hinein, wo Sie eine Ueberraschung ganz besonderer Art erwartet.“

Der erste Anblick Broek's erinnerte mich so lebhaft an Cyrano de Bergerac's tolle Reisemärchen aus den Planeten, daß ich, auf dem spiegelblanken Pflaster aus goldgelben Gudaer Klinkers (Backsteinen) fortwandelnd, mich beinahe in einen Fabelstern meiner Jugendlectüre versetzt glaubte. Der ferne Osten hat hier die bizarrsten Ausgeburten seiner wunderlichen Architekturen hingezaubert. Ein buntschuppiges Dach stülpt sich hier nach Art der chinesischen „Miao's“, dort ragt ein luftiger Tempel „Fo's“, mit Silberglöckchen behangen, auf jener Rasenhöhe schimmert eine lasurbelegte Pagode, und weiterhin blitzt eine winzige Goldananaskuppel auf einer Minaretspitze. Schmucke, bunt herausstaffirte Villen mit zierlichen Thürmchen, Erkern und Belvederen betrachten sich selbstgefällig in den Miniaturgrachten wie kokette Mädchen im Spiegel. Auf glatten Teichen schlummert das Sonnengold, Schwäne kreisen um schimmernde Gondeln, fabelhafte Blumen träumen unter Glasdomen oder nicken hinter halbverschlossenen Gardinen, und auf lianenumrankten Veranden schlagen Pfauenstutzer ein Strahlenrad. Ueber blumige Abgründe springen Wunderstege, wie aus Perlmutter geschnitzt, indische Götter hocken träumend unter Epheubaldachinen und chinesische Idole schütteln ihr Halsgeschmeide in Marmorgrotten, wo verborgene Wasser rauschen.

Und auf diesem ganzen fremdartigen, farbensatten Bilde spielten heute goldene Lichter wie glückliche Kinder mit der Blüthenbescheerung des Frühlings. So friedlich schien Alles wie ein Eden, so glänzend wie der Wonnetraum eines Ascetikers an den Ufern des heiligen Stromes! Oft verengte sich die Straße so sehr, daß wir dicht an den zierlichen Geländern vorüberstrichen, welche die Gärten vor den Häusern umfrieden. Da rauscht eine Jalousie … ein goldner Mädchenkopf taucht hervor, lächelt still und verschwindet. Dort auf dem Gesimse kauert sphinxrartig ein prächtiger Angorakater, über die Geheimnisse des Courszettels nachsinnend. In jener Laube, wo ein Fratzengott des siamesischen Olymps sich vor Lachen schüttelt, lehnt auf einer Mahagonybank ein Mann im Brocatkaftan mit verbrämter Kegelmütze … Ein Tatarenkhan vielleicht? Nein, ein Broeker Millionär, der sich trotz seiner Millionen langweilt, und das ist es ja, worüber der dumme Götze sich schier zu Tode lachen will.

„Wunderliche Käuze sind's,“ lachte mein Freund, „die Bewohner dieses Millionärdorfes. Es gab eine Zeit, wo keine Empfehlung, wäre sie auch vom Dalai-Lama oder Großmogul, vom Kaiser der Mitte oder von Timbuktu gewesen, einem Fremden Zugang bei einem Broeker Insassen verschafft hätte. Dieses buntscheckige Haus da mit den blauen Kuppeln hat Napoleon besucht, wobei er sich, den localen Reinlichkeitsvorschriften gemäß, dazu bequemen mußte, über seine siegreichen Stiefel prosaische Filzpantoffeln zu ziehen. Dort links den alten wunderlich bemalten Bau mit dem langhalsigen Belvedere wollte Kaiser Joseph der Zweite besichtigen. Der Eigenthümer, ein Pfefferfürst ersten Ranges, schlug die Bitte rund ab. Vielleicht ist die gravitätische Personnage, die dort zwischen vergoldeten Bäumen und rosigen Felsen sich ergeht, der Enkel dieses Fürstenverächters. Sie sehen, er ist in ein Buch vertieft, ohne Zweifel studirt er Phalu, Telinga oder sonst eine asiatische Sprache, um seine Bäume und Tulpenzwiebeln bei Namen nennen zu können.“

Wir mochten eine gute Stunde gewandert sein, als der Baron vor einem Gitterthor mit wetterverwaschener Vergoldung stehen blieb.

„Haben Sie einmal von dem Brahmanenhause gehört?“

Ich verneinte.

„So folgen Sie mir!“

Wir drangen in einen total verwilderten Park, wo uns eine Akazienallee zu einem wunderlichen, dicht mit Geisblatt und wilder Rebe überwucherten Gebäu führte, dessen geschnitzte Galerien und gemalte Säulenwerke an die Häuser von Benares in Ostindien erinnerten. Auf den Treppenwangen des Perrons hockten schwarzmarmorne Schildkröten mit japanesischen Blumenvasen auf den Rücken. Die zum Theil mit Grün überwachsene Thür gab dem Druck nach, und wir traten in eine gewölbte Vorhalle. Eisige Moderluft schlug uns entgegen. Die Bodenmosaik war überall herausgebröckelt, ein grasgrünes Götzenbild grinste aus einer Nische, und wir öffneten nicht ohne Mühe eine Seitenthür, die endlich mit dumpfem Krachen nachgab. Ueberall Grabesdunkel. Nachdem mein Führer das Kerzchen seines Taschenfeuerzeugs angezündet, durchwandelten wir, ohne ein Wort zu wechseln, eine Reihe öder Prachtgemächer. Ueberall persische Teppiche, schlanke Bambusrohrmöbel, chinesische Lackarbeit und schwere Seidentapeten mit strahlenden Vögeln in erhabener Stickerei, vergoldete Schreine, fratzenhafte Nippfiguren, herrliche Gemälde, wunderliche Geräthe und Gefäße, Alles in buntem Durcheinander angehäuft. In einem reizenden Boudoir machen wir Halt. Eine Feuerkieke aus der echtholländischen Familie der „Stoofjes“ stand in der Fensternische unter einem bizarren Vogelkäfig, und vom Plafond hing eine purpurbetroddelte Transparentlampe … auf dem Teppich lag

ein winziger Schnabelschuh mit geschwärzter Geldstickerei, und ganze Büschel trockener Blumen raschelten unter den Füßen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_120.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2022)