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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ihn über das Dach der Hütte hinaus. Die ganze Hütte war ungefähr dreißig Fuß lang und zwanzig breit, nur mit Schindeln gedeckt und stand auf bloßer Erde. Der Pechsieder, ein Mann, dem man sein Handwerk nicht nur an den Kleidern, sondern auch an Gesicht und Händen ansah, mochte vierzig Jahre zählen. Man rühmte ihn mir als besonders geschickten Arbeiter, obwohl seine bleiche Gesichtsfarbe und seine magern Gliedmaßen weder Kraft noch Ausdauer andeuteten.

Der Pechkessel wurde eben angefeuert. Anfangs wurde nur wenig Harz hineingeschüttet und das Feuer ganz schwach gehalten. Langsam zerging die Masse und bildete einen dicklichen Brei. Nach und nach kam immer mehr Harz hinzu, und das Feuer wurde verstärkt. Endlich war der Kessel ziemlich voll und die geschmolzene Substanz mochte wohl fünf Centner wiegen. Hie und da erhoben sich Blasen, die schnell zersprangen. Winzige Krater darunter spritzten, schäumten, brodelten und wechselten unaufhörlich die Stellen. Jetzt fing die ganze Masse an zu steigen. Das Schaumpech, als das beste, wurde abgeschöpft und, ohne durchgeseiht zu werden, in die Stückgrube gegossen. Stückgruben sind achteckige, sechs Fuß lange, drei Fuß breite und zwölf bis vierzehn Zoll tiefe, mit Brettern ausgeschlagene Erdlöcher.

Noch mehrere Kübel nimmt der Sieder, ohne sie zu seihen, aus dem Kessel und gießt sie hinein. Die Feuerung wird nun fortwährend stark genährt und wehe der Pechhütte, wenn ein einziges Flämmchen der siedenden Masse zu nahe käme! Sofort würde eine haushohe Flamme daraus emporschlagen, das Dach zersprengen und alles Brennbare im Nu verzehren. – Das Pech wird endlich unreiner, da die mit ihm vermischten Rindenstücken, die anfangs zu Boden sanken, nach und nach mit an die Oberfläche kommen. Die Sau (der Seiher) wird deshalb über die Grube gesetzt. Sie besteht aus einem länglichen hölzernen Kasten, dessen Boden ein hölzernes Gitter vertritt, über welches Stroh gelegt ist. Diese einfache Vorrichtung entspricht ihrem Zwecke sehr gut, denn das hindurchgeseihte Pech wird fast ganz rein. Ehe noch die Stückgrube völlig vollgegossen ist, werden ein oder mehrere Kuchen Schwarzpech hineingedrückt und wieder sorgfältig vergossen. Drei Stunden braucht man zu einem Sud und erzielt damit ein Stück, welches drei bis fünf Centner wiegt. Das sächsische Voigtland allein erzeugt jährlich über zweitausend fünfhundert Centner Pech, etwa dreiundzwanzigtausend Thaler an Werth. Die Production desselben ist jedoch bedeutend im Abnehmen begriffen, weil man bei der zusehenden Steigerung des Holzwerthes es vorzieht, die Waldung in ihrem Wuchse ungestört zu lassen. Einen Grund zur Minderbetreibung des Pechbaues mag auch die Einführung des amerikanischen Pechs geben, welches allerdings den Anforderungen, die man an das einheimische stellen kann, bei Weitem nicht entspricht, aber doch in vielen Fällen eine billigere Aushülfe bietet.

B. Hempel.     




Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

Von Albert Traeger.

Ob Herbstesduft bereits das Haar
Mit weißem Schimmer uns bezogen,
Schon flügge von der eig’nen Schaar
Manch schmucker Nestling ausgeflogen,
Daß wie von kühlem Abendwinde
Ein flücht’ger Schauer uns durchweht,
Noch einmal werden wir zum Kinde,
Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

Ein altes Märchen noch im Sinn,
So liegen wir im Bettchen wieder,
Da schleicht sich’s leise zu uns hin
Und beugt sich küssend auf uns nieder,
Wir sehen mild zwei Augen funkeln,
Wir hören halb ein fromm Gebet,
Und plötzlich bleiben wir im Dunkeln –
Weil uns’re Mutter schlafen geht.

Der Kindheit holdes Paradies,
Wir fanden’s wieder ohne Mühen,
Ihr sanftes Wort, ihr Anblick ließ
Uns das Versunk’ne neu erblühen;
Gebrochen ist die schwanke Brücke,
Verschlossen nun die Pforte steht,
Wir scheiden von dem reinsten Glücke,
Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

Und hat ein gütiges Geschick
Mit Schätzen uns bedacht und Ehren,
Nichts sind sie da dem feuchten Blick,
Ihn drängt es, rückwärts sich zu kehren:
Kann keiner Schuld sie Dich verklagen,
Die ohne Sühne fortbesteht?
Das ist des Herzens einzig Fragen,
Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

Ich habe treu sie stets geehrt,
War folgsam ihr in allen Stücken –
Ein ganzes Leben ist es werth,
Ihr so die Augen zuzudrücken;
Doch müßten reuevoll wir beben –
Eh’ um Verzeihung wir gefleht,
Hat sie uns Alles längst vergeben,
Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

Und ihre Liebe dauert fort
Und bleibt zurück mit ihrem Segen,
Sie ging voran, ein gutes Wort
Bei’m Vater für uns einzulegen,
So wird auch unser Schmerz gelinder,
Und heil’ge Tröstung uns umweht:
Wir fühlen uns als Gottes Kinder,
Wenn uns’re Mutter schlafen geht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2023)