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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

mit kaltem Spott – wer aber die Stimme dieses Mannes genau kannte, der mußte sofort erkennen, daß ihn die gewohnte Ruhe verlassen hatte – er war offenbar tieferregt. „Also nach Greinsfeld wollte die Gräfin? Und Sie sind albern genug, sie bei dieser Farce zu unterstützen?“ fuhr er die Kammerjungfer an.

„Excellenz,“ vertheidigte sich das Mädchen resolut, „die Gräfin hat stets selbst befohlen, wenn sie ausfahren will, und uns Allen ist streng verboten worden, ihr zu widersprechen.“

Diesen gegründeten Einwurf völlig ignorirend, zeigte der Minister gebieterisch nach der Thür, hinter welcher die Kammerjungfer sofort verschwand; dann ergriff er ohne Weiteres die Katze, um sie nach ihrem Kissen zu jagen, und ebenso rasch nahm er dem Kind Mantel und Capuze ab und warf sie auf den nächsten Stuhl. … Währenddem hatte sein Gesicht jene förmlich versteinernde Ruhe wieder angenommen, die stets für Freund und Feind gleich unergründlich blieb. Auch nicht der leiseste Strahl von Zärtlichkeit fiel aus den tief niedergesunkenen Lidern auf die kleine Stieftochter, gleichwohl strich er liebkosend mit seinen schlanken, weißen Händen über ihren Scheitel – das Kind fuhr zurück wie von der Tarantel gestochen.

„Sei vernünftig, Gisela!“ mahnte er drohend. „Zwinge mich nicht, Dich ernstlich zu strafen. … Du wirst Dich mit Fräulein von Zweiflingen versöhnen, und zwar auf der Stelle, – ich will es noch sehen, ehe ich abreise.“

„Nein, Papa – sie kann wieder in’s Pfarrhaus ziehen, oder zu der alten, blinden Frau im Walde, die so bös war –“

Der Minister faßte erbittert die magere, zerbrechliche Gestalt und schüttelte sie heftig; zum ersten Mal in ihrem jungen Leben wurde die Kleine in der Weise gezüchtigt. – Sie schrie nicht, und die Augen blieben thränenlos, aber ihr Gesicht wurde weiß wie Kalk.

„Papa, Du darfst mir nichts’ thun – die Großmama sieht’s!“ drohte sie mit halberstickter Stimme.

Dieser peinlichen Scene machte der Hüttenmeister rasch ein Ende, indem er sich der Salonthür näherte und somit in den Gesichtskreis des Ministers trat. … Es gab wohl Wenige, die sich diesem Mann ohne Herzklopfen näherten – er war es gewohnt, niedergeschlagene Augen und ängstlich befangene Gesichter vor sich zu sehen – und jetzt stand da drüben im Seezimmer „unangemeldet“ die imposante Mannesgestalt, deren hochgetragener blonder Lockenkopf sich so kühn von dem leuchtenden, seidenrauschenden Hintergrund abhob – zudem überraschte der Eindringling den vollendeten Diplomaten in einem Moment, wo ihm die eiserne Maske vornehmer Ruhe entfallen – diese zwei „Tactlosigkeiten“ waren es ohne Zweifel, die das Gesicht Seiner Excellenz mit einer hohen Zornesröthe übergossen, während ein wahrhaft vernichtender Blick sich in die ernsten, furchtlosen Augen des Hüttenmeisters bohrte. Dies Alles aber war nur die Erscheinung eines Augenblicks.

„Ah, sieh da, Hüttenmeister Ehrhardt! … Wie kommen Sie denn hierher?“ rief der Minister, indem er mit eisernem Griff die widerspenstige kleine Gräfin auf den nächsten Fauteuil nöthigte. … Die Nonchalance und eiskalte Herablassung in seinem Ton, wie auch die meisterhaft markirte Verwunderung über die unverhoffte Anwesenheit des jungen Beamten in Seiner Excellenz Schlosse hatten etwas unbeschreiblich Verletzendes.

„Ich erwarte meine Braut,“ entgegnete der Hüttenmeister, ruhig in seiner nichts weniger als devoten Haltung verharrend.

„Ah so – ich vergaß –!“ Mit diesen Worten legte der Minister seine Hand über Stirn und Augen; diese feinen, schlanken Finger genügten jedoch nicht, die dunkle Gluth zu bedecken, die jählings über sein weißes Gesicht hinfuhr. … Er trat rasch das Fenster und trommelte auf den Scheiben, aber schon nach wenigen Augenblicken wandte er sich nachlässig um – sein Gesicht war blutlos und undurchdringlich wie immer.

„Soviel ich mich erinnere, haben Sie bei meiner jedesmaligen Anwesenheit in Arnsberg den Versuch gemacht, mich zu sprechen,“ sagte er. „Sie werden ebenso, wie alle Anderen, den Bescheid erhalten haben, daß ich lediglich nach dem weißen Schlosse komme, um mein Kind zu sehen, und für diesen Erholungstag alles Geschäftliche bei Seite gelegt wissen will. … Indeß, Sie sind einmal da, und wenn Sie“ – er zog seine Uhr und sah nach der Zeit – „Ihren Vortrag in fünf Minuten fassen können, so sprechen Sie. Aber, kommen Sie herüber – ich kann Ihnen doch unmöglich in Fräulein von Zweiflingen’s Zimmer Audienz ertheilen!“

Diese letzte Bemerkung sollte ironisch, leicht hingeworfen, klingen – einem feinen Ohr konnte der stille Ingrimm und eine Art von fieberhafter Hast in Ton und Wesen des Ministers nicht entgehen.

Er lehnte sich gegen den niedrigen Fenstersims, schlug die Füße übereinander und kreuzte die Arme, während der Hüttenmeister über die Schwelle trat und sich verbeugte. … Und wenn auch Seine Excellenz die höchste Eleganz und aristokratische Feinheit in jeder Bewegung entwickelte, wenn unsichtbar die Freiherrnkrone über seinem Haupte schwebte und sichtbar unzähligemal sich präsentirte auf Wagenschlag, Siegelring und Taschentüchern, wenn jeder Ausspruch seines bleichen Mundes, jeder Wink seiner Hand Tausenden zu denken und zu fürchten gab – er konnte sich doch nicht messen mit dem, der in diesem Augenblick ihm gegenüberstand.

„Excellenz,“ begann der Hüttenmeister, „ich wollte mir erlauben, das mündlich vorzutragen, was ich bereits schriftlich wiederholt, aber, ohne allen Erfolg –“

Der Minister erhob sich rasch und streckte ihm unterbrechend die Hand entgegen.

„Aha – bemühen Sie sich nicht weiter – nun weiß ich schon!“ rief er. „Sie wollen Zulage für die Neuenfelder Hüttenarbeiter, weil die Kartoffelernte schlecht ausgefallen ist. … Herr, Sie sind des Teufels mit Ihren ewigen Eingaben – Sie und der Neuenfelder Pfarrer! … Glauben Sie denn, wir schütteln das Geld aus dem Aermel und haben nichts Anderes zu thun, als Ihre Berichte zu lesen und uns um die armseligen Nester hier oben zu kümmern? … Nicht ein Pfennig wird bewilligt – nicht ein Pfennig!“ …

Er ging einige Mal auf und ab.

„Uebrigens,“ sagte er stehenbleibend, „ist es gar nicht so schlimm, wie Sie und noch so manche Andere uns weismachen möchten – die Leute sehen ganz gut aus.“

„Allerdings, Excellenz,“ erwiderte der Hüttenmeister und die schöne Purpurröthe, die sofort jede Gemüthserregung in ihm verrieth, stieg auch jetzt in seine Wangen, „noch ist die eigentliche Hungersnoth nicht über uns hereingebrochen – eben, um ihr vorzubeugen, bitten wir; wenn erst der Hungertyphus wüthet, dann ist es zu spät – der Sterbende braucht kein Brod mehr. … Es wäre unbillig, von der Staatsregierung zu verlangen, daß sie jede Calamität sofort in ihrem Ursprung erkenne – sie hat, wie Euer Excellenz sagen, mehr zu thun – aber ich meine, dazu sind wir ja auch da, die wir im Volke leben –“

„Mit nichten, mein Herr Hüttenmeister dazu sind Sie nicht da!“ unterbrach ihn der Minister – die schläfrigen Lider hoben sich abermals und ein unsäglich hohnvoller, verächtlicher Blick maß den jungen Beamten. – „Sie haben den Leuten ihren Wochenlohn auszuzahlen und damit basta – ob sie damit Auskommen oder nicht, ist ihre Sache. … Sie sind fürstlicher Diener, und als solcher haben Sie einzig und allein den Vortheil Ihres Herrn zu wahren –“

„Das thue ich redlich, wenn auch noch in einem anderen Sinne, als Euer Excellenz meinen,“ versetzte der Hüttenmeister fest – er war bleich geworden, blieb aber unerschütterlich ruhig. „Jeder Beamte, hoch oder niedrig, ist Diener des Fürsten und Volkes zugleich, ein vermittelndes Glied zwischen Beiden, in seiner Hand liegt es zum großen Theil, die Liebe des Volkes zu der herrschenden Dynastie zu befestigen. … Ich kann unserem Herrn nicht treuer dienen, als wenn ich um das Wohl und Wehe der wenigen seiner Landeskinder, die mein Wirkungskreis mit umschließt, rastlos besorgt bin und in dem Glauben lebe, ich sei auf diesen Standpunkt gestellt, um –“

„Genau wie der fromme Pfarrer von Neuenfeld!“ unterbrach der Minister mit einem spöttischen Lächeln den Sprechenden. „Der bringt auch immer seinen gottgesegneten Standpunkt! … Ja, ja, lauter Herren von Gottes Gnaden, die sich einbilden, in’s Regieren pfuschen zu dürfen! … Ich bin übrigens begierig, von Ihnen zu hören, wie wir die nöthigen Mittel beschaffen sollen, denn, ich wiederhole es, zu dergleichen Zwecken haben wir absolut kein Geld. … Soll vielleicht Seine Durchlaucht die für den Mai projectirte Vergnügungsreise aufgeben? Oder wünschen Sie, daß der heutige Hofball abgesagt werde?“

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