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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Ich sehe auch, daß Du Dich fürchtest,“ sagte endlich der alte Mann noch viel feierlicher als vorher. „Die Unschuld kennt keine Furcht, sie hat Vertrauen bis zur letzten Stunde. Ich werde Dich jetzt nicht fragen, ich weiß, was ich wissen wollte, Deine Augen haben mir es gesagt. Ich will nicht Veranlassung geben, daß Dein Mund anders spricht als Dein Herz.“

Schilberg schwieg, wendete sich rasch von dem Verbrecher ab, ergriff meine Hand und führte mich aus dem Gefängniß. Er war wunderbar gekräftigt, sein Gang war fest, seine Haltung soldatisch, straff, nichts verrieth Schwäche, nichts Niedergeschlagenheit oder Erregtsein. Und doch mußte es in seiner Brust gewaltig arbeiten, er kam ja von dem Mörder seines Kindes. Vor der Thür ergriff er meine Hand, und indem er sie kräftig drückte, sagte er: „Der Kerl lügt! Ich hab’s in seinen Augen gelesen. Nun weiß ich, was ich zu thun habe; ich werde nun auch Ruhe finden.“

Die Einzelnheiten der Verhandlung vor den Geschworenen boten dem Juristen, dem Mediciner und auch dem Psychologen reiches Interesse; sie gehören indeß nicht hierher. Der Verbrecher behauptete beharrlich seine Unschuld und kämpfte für sein Leben mit einem Muthe, einer Ausdauer und einer Zähigkeit, die allseitiges Erstaunen erregten und unter anderen Verhältnissen nicht ohne Anerkennung geblieben sein würden. Die Scene am Abend vorher schien bei ihm keinen Eindruck hinterlassen zu haben, er schien sich ihrer gar nicht zu erinnern.

Schilberg befand sich unter den Zuhörern und hatte auf der dem Verbrecher zunächst stehenden Bank in der vordersten Reihe Platz genommen. Er folgte der Verhandlung mit ungetheilter Aufmerksamkeit, ohne auch nur [e]in einziges Mal seinen Platz zu verlassen. Der Wahrspruch der Geschworenen lautete: „Schuldig des Mordes!“ Kaum war dies durch den Vorsteher verkündet, so kam Schilberg zu mir.

„Wissen Sie, Herr Inspector,“ sagte er leise, „was ich gethan hätte, wenn der Kerl freigesprochen worden wäre?“

„Nun?“

„Ich hätte ihn auf der schwarzen Bank erschossen! Er ist schuldig, ich habe das in seinen Augen gelesen.“

Schilberg wies mir den Schaft eines Terzerols, und ich zweifle nicht, daß er sein Vorhaben ausgeführt haben würde, wenn der Wahrspruch „Nichtschuldig“ gelautet hätte. –

Dem Verbrecher ist die Todesstrafe erlassen, er befindet sich auf Lebenszeit in einer Strafanstalt. Der alte Gefängnißaufseher lebt nicht mehr; er kann hier nicht mehr in den Augen lesen.

E.




Deutschlands große Werkstätten.

7. Einzig in ihrer Art.

Der alte Spruch: „Du sollst zu Erde werden“
Geht keinen Meißner an;
Es winkt ihm Schöneres im Schooß der Erden,
Er wird zu Porcellan.

Das Porcellan ist bekanntlich eine Erfindung der Chinesen und Japanesen, wurde von den Portugiesen zuerst in den Handel nach Europa gebracht und wegen der Aehnlichkeit der Form mit der Schale einer Muschel, die porcella (Schweinchen) hieß, so benannt. Der Abenteurer und Goldmacher Johann Friedrich Böttcher erfand, wie man weiß, beim Brennen eines Schmelztiegels aus einem rothen Thon der Meißner Gegend zuerst in Deutschland und wohl auch in Europa das Porcellan und erhielt von dem geldbedürftigen Kurfürsten August von Sachsen den Auftrag, eine Porcellanfabrik in der Albrechtsburg zu Meißen zu gründen. Der Gründer Böttcher hatte aber wegen seiner liederlichen Lebensweise so wenig Geschick, die am 6. Juni 1710 errichtete Anstalt zu erhalten, daß sie unbedingt zu Grunde gegangen sein würde, wenn nicht der Tod Böttcher’s der Wirthschaft ein Ende gemacht hätte. Sein Nachfolger Herold, der als geheimer Bergrath gestorben ist, besaß Energie und Kenntnisse genug, um in Verbindung mit dem Bildhauer Kändler die Anstalt zu beleben und auf festen Grund zu stellen.

Unter der Verwaltung dieser Männer hörte die frühere Unordnung auf, die Bereitung des Porcellans wurde sorgfältiger überwacht und namentlich die Blaumalerei unter der Glasur mit Kobaltfarbe eingeführt. Aus dieser Zeit datirt auch die Bezeichnung des Meißner Porcellans mit den blauen Kurschwertern, die, jetzt noch gebräuchlich, von Zeit zu Zeit in der Form verändert worden sind.

Der Ruhm der Manufactur verbreitete sich über ganz Europa, erregte aber auch den Neid der Großen der Welt. Um das eifersüchtig bewachte Geheimniß zu entdecken, wurden an den Höfen von Wien und Berlin die größten Anstrengungen gemacht. Ein Verräther entwich nach Wien und gab dort den Anlaß zur Errichtung einer Porcellanfabrik. Berlin ließ im siebenjährigen Kriege die besten Arbeiter zu sich kommen. Nach diesem Kriege erreichte die Meißner Anstalt trotz der Concurrenz im vorigen Jahrhundert ihre höchste Blüthe, die jedoch am Ende des Jahrhunderts gänzlich verwelkte.

Die Directoren Baron Fletzscher und Graf Marcolini am Ende des vorigen und im Anfang des laufenden Jahrhunderts verstanden die Kunst, durch Leidenschaftlichkeit, Unkenntniß, die kleinlichste Geheimnißkrämerei etc. die Anstalt in ihren Fundamenten zu erschüttern. Die Unordnung war so groß geworden, daß der Staat in den Jahren 1814 und 1815 eine Revision des Manufacturbetriebs anordnete. Der jetzige Director, Geheime Bergrath Kühn, der im erstgenannten Jahre unter dem bescheidenen Titel eines Inspectors als technischer Leiter Anstellung erhielt, hob die längst unnütz gewordene Geheimnißkrämerei auf, so daß jetzt sein Titel noch das alleinige Geheime ist, und seiner Energie, seinen Kenntnissen und Erfahrungen in Verein mit seinen Collegen ist der jetzt blühende Zustand der Anstalt zu verdanken. Mit Entfernung der Manufactur aus der Albrechtsburg und Erbauung neuer Gebäude kam ein neuer Aufschwung.

Die Albrechtsburg, dieses edle, nach seiner Art in ganz Deutschland einzig dastehende Denkmal altdeutscher Baukunst, dieses Stammschloß des sächsischen Königshauses, konnte durch die Einbauung von Oefen, Dampfmaschinen, Maler- und Modellirerzimmern nicht gewinnen. Unter den Freunden des Alterthums regte sich der Wunsch, sie von der Porcellanmanufactur zu befreien. Der zuerst vor siebenzehn Jahren bescheiden auftretende Wunsch wurde immer dringender und verwandelte sich zu einer Forderung im Sinne der Kunst und der Pietät. Ihr konnte die sächsische Staatsregierung das Ohr nicht verschließen, und so ging sie denn an das Werk, nachdem sie das Anerbieten einer Actiengesellschaft, die nur aus speculativen Gründern bestand, mit Recht von der Hand gewiesen hatte, zur Erbauung neuer Gebäude.

Die Kammern Sachsens gaben zur Verlegung ihre Zustimmung und bewilligten die nöthigen Mittel. Die Stadtgemeinde Meißen, von der richtigen Ansicht ausgehend, daß sie von der Manufactur Geld und Ruhm erworben, konnte die Anstalt nicht außerhalb ihres Bezirks aufführen lassen, sie entschloß sich daher, dem Staat einen passenden, von Gebäuden entfernten und geräumigen Bauplatz im Thale der Triebisch anzubieten. Seit fast sechs Jahren ist nun der Bau nach dem von der Regierung genehmigten Plane des Director Kühn vollendet, wie ihn das Bild darstellt.

Der Gebäudecomplex besteht aus vier länglichen, einen Hof von hundertfünfundsiebenzig Ellen Länge und dreiundachtzig Ellen Breite einschließenden Flügeln, die zur Verminderung möglicher Feuersgefahr von einander getrennt und durch feuerfeste Brücken mit einander verbunden sind. Nach der Straße zu umgeben Garten- und Parkanlagen die Gebäude.

Der nach der Stadt zu gelegene Flügel ist in der ersten und zweiten Etage seiner Außenfront, in Betracht des reinsten, von hellem Sonnenschein fast völlig befreiten Lichts, ausschließlich für die Malerei, die Hofseite aber zu Vorrathsräumen für Malerei und einen Theil des Verkaufslagers bestimmt. Das Parterre des Flügels enthält nächst dem Emaillirbrennhause und dem chemischen Laboratorium noch zwei große mit dem Verkaufslager durch einen Verbindungsbau vereinigte Pack- und Sortirräume.

Der nach Südwest zunächst der Triebisch stehende Flügel beherbergt das gesammte, durch ein Wasserrad getriebene Maschinenwesen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_107.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)