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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


-Legen erproben muß. Es bedarf nur des Ueberbreitens einer Filz- leichten Seegras- oder Roßhaardecke, um ein äußerst behagliches, gleichsam schaukelndes Lager zu haben. Preis, bei sechsjähriger Garantie, zehn bis sechszehn Gulden. –

Daß es auch giftige Strümpfe geben könne, ist wohl noch Niemandem von selbst in den Sinn gekommen. In England war kürzlich eine Sorte in grellen Anilinfarben gemusterter Strümpfe oder Unterstrümpfe (Chaussettes) stark in die Mode gekommen, aber sie bewirkten bei einer großen Anzahl Trägerinnen ernstliche locale Hautkrankheiten. Es wurden deshalb Klagen vor den Richter gebracht und nach Constatirung der Thatsache mußte die gefährliche Waare aus dem Handel verschwinden. Ein Paar solcher Strümpfe war auch nach Hâvre gekommen und hatte nach dem Befunde zweier Aerzte in folgender Weise Uebel angerichtet: die Grundfarbe des Stoffes, Anilinviolett, war durchaus ohne Wirkung auf die Haut geblieben, dagegen hatte sich die ganze aus lebhaft hochroth gefärbter Seide bestehende Streifenmusterung abcopirt in sehr heftiger geschwollener, wie Brandblasen aussehender Entzündung. Ein allgemeines Unwohlsein, einer leichten Vergiftung ähnlich, hatte sich hinzugesellt und wich erst nach zweitägiger ärztlicher Behandlung. Die giftige Farbe erwies sich als Corallin, das gleich dem Anilin aus dem Steinkohlentheer stammt, aber aus der darin vorfindlichen Phenolsäure (Steinkohlenkreosot) hergestellt wird. Das Corallin als das lebhafteste Roth findet auch sonst in der Färberei jetzt häufig Anwendung, und man hat übrigens von dem Tragen so gefärbter Zeuge noch keine nachtheiligen Folgen bemerkt. Man wird sie nach der Meinung der französischen Aerzte auch ferner ohne Besorgniß benützen dürfen zu allen Theilen der Bekleidung, welche nicht unmittelbar und fest an der Haut anliegen, und dieser Fall wird ja überhaupt wohl nur bei den Strümpfen vorkommen. Während aber somit dieser eine künstliche Farbstoff sich als ein häßliches Zugpflaster erwiesen hat, kann ein zweiter andere Gefahren oder wenigstens Schrecken bewirken. Die Gelbfärberei in Seide geschieht jetzt großentheils mit pikrinsaurem Kali, einem explosiven Stoff, den keine Eisenbahn mehr zum Transport übernehmen will. Hat eine Dame in ihrer Kleidung solches Gelb, so liegt die Möglichkeit gar nicht so fern und soll sich in England schon verwirklicht haben, daß in der Nähe eines heißen Ofens oder Kamins solche Theile warm genug werden, um mit einem plötzlichen Knalleffect auf Nimmerwiedersehen zu verpuffen. –

Elektrocapillarität ist die Aufschrift eines neu eröffneten Capitels der Naturwissenschaft, das mit einer Reihe neuer interessanter Thatsachen beginnt und deren ohne Zweifel noch mehr gewähren wird. Durch langwierige Versuchsarbeiten ist der rühmlich bekannte französische Professor Becquerel zu Ergebnissen gelangt, die sowohl an sich als in Betracht der daran zu knüpfenden Folgerungen höchst belangreich erscheinen. Die Sache ist in der Kürze folgende: Wenn man die Lösungen zweier verschiedener Salze zusammenmischt, so erfolgt in einer Mehrzahl der Fälle sofort eine Umpaarung oder sogenannte doppelte Zersetzung derselben; die Säuren oder Basen der Salze wechseln ihre Stellen und es entstehen aus den früheren Salzen zwei neue. Dieser Vorgang erfolgt stets und ist vorherzusagen, wenn man weiß, daß das eine der neuen Salze eine in Wasser unlösliche Verbindung ist, denn eben durch die Unlöslichkeit ist die engere Verwandtschaft dieses Paares documentirt. Dieses Salz scheidet sich also als Niederschlag aus der Mischung ab und ist in der Regel amorph, das heißt ohne kristallinische Gestaltung. Statt dieser allbekannten Erscheinungen verlaufen aber nach Becquerel die Dinge ganz anders, wenn die beiden Flüssigkeiten nicht direct zusammengebracht, sondern eine jede für sich in ein Behältniß gegossen werden, das vermittels einer durchlässigen Membran von organischem Gefüge, etwa ein Stück Thierblase, in zwei Abtheilungen geschieden ist. Die Wirkung erfolgt nun in weit langsamerem Gange und andere Neubildungen treten auf; statt amorpher Niederschläge entstehen auf beiden Flächen der Scheidewand Kristalle, die chemisch und physikalisch anders als jene beschaffen sind. Es läßt sich aber dabei die Mitwirkung einer anderen als der chemischen Kraft, der Elektrizität nämlich, deutlich nachweisen. Ein jedes unter den angegebenen Umständen zusammengebrachtes Paar chemisch verschiedener Flüssigkeiten bildet in Wirklichkeit ein galvanisches Element mit positivem und negativem Pol. Füllt man beispielsweise die eine Zelle des Apparats mit Thonerdekali, die andere mit Chromchlorür, so schießen auf der positiven Fläche der Membran, welche mit der ersteren Flüssigkeit in Berührung ist. Krystalle von wasserhaltiger Thonerde, auf der anderen grüngefärbte von gewässertem Chromoxyd an. Analog verhalten sich Thonerdekali und Antimonchlorür. Bringt man an Stelle der ersteren Substanz kieselsaures Kali, so entstehen ausgezeichnete Kieselerdekrystalle von solcher Härte, daß sie Glas ritzen. Eine einseitige Krystallisation wird erhalten durch die Gegenwirkung zwischen Kali- und Kobaltlösung. Bei directer Vermischung dieser beiden entsteht ein blauer Niederschlag von Kobaltoxyd; im getheilten Apparat dagegen schießt das Oxyd in schönen Krystallen an. Durch diese und eine große Anzahl anderweiter Experimente ist also dargethan, daß bei Dazwischenkunft einer organischen Membran, obwohl sie selbst durchaus keiner chemischen, sondern nur physikalischer Wirkungen fähig ist, bekannte chemische Vorgänge ganz wesentlich abgeändert werden, und es liegt nun sehr nahe, diese Erscheinungen mit denjenigen in Parallele zu setzen, welche in den lebendigen Organismen der Thier- und Pflanzenwelt zu Stande kommen.

Es hat sich in der heutigen Gelehrtenwelt die Ueberzeugung oder der Glaube herausgebildet, daß die belebte Natur von ganz denselben Gesetzen beherrscht wird wie die unbelebte, daß eine besondere Lebenskraft nicht existirt, vielmehr alle pflanzlichen und thierischen Lebenserscheinungen aus dem Zusammenwirken chemischer, physikalischer und elektrischer Kräfte zu erklären sein müssen. Hierbei könnte nun Bequerel’s Elektrocapillarität sehr wohl dienlich sein, denn der Pflanzen- und Thierkörper besteht ja fast ausschließlich aus membranösen Scheidewänden zwischen verschiedenartigen Flüssigkeiten. So lange diese Gewebe sich im normalen Zustande erhalten, besteht Elektrocapillarität und damit die Fortdauer der Lebensfunctionen; erschlaffen die Gewebe, erweitern sich ihre Poren, so ändern sich die Dinge: es tritt allmählich directe Berührung zwischen den verschiedenen Flüssigkeiten ein und damit gelangt die so zu sagen ordinäre Chemie zur Action, welche für den betreffenden Organismus Krankheit und Tod bedeutet.




Blätter und Blüthen.


Die Carnevalstage in Buenos-Ayres. Es war Mitte März des Jahres 1859, als ich langsam durch die aufgeregten Straßen von Buenos-Ayres wandelte. Die Sonnengluth des jenseitigen Wendekreises neigte sich zu Ende. Ein dröhnender Kanonenschuß und ein tausendstimmiges durch die ganze Stadt wogendes Hurrah verkündete den Beginn des Carnevals. Von allen Seiten ertönte der wilde Ruf: „Agua, agua!“ und von Dächern und Balconen stürzte ein unerschÖpflicher Wasserfall auf die vorüberziehenden Cavaliere. Doch jetzt kommt Hülfe! Große Spritzenwagen rassein herbei. Auf ihnen hocken langbärtige rothe Teufel, die mit gellen Lärmtrompeten, Knarren. Klappern, Blechkasten und schrillen Pfeifen ein höllisches Concert aufführen. Sie halten unter den Balconen und erwidern die herabstürzenden Eimerfluthen mit den Wasserschlangen ihrer gutgezielten Schläuche und dem Schlachtenruf: „Nieder mit den Wäscherinnen!“ Vergebens! Die Wasserstrahlen zerschellen zischend an den aufgespannten Schirmen, hinter denen die schalkhaft verborgenen Nixen sicher zielen und doppelt sicher treffen. Ein Trompetensignal verkündet Waffenstillstand. Welch’ reizende Metamorphose! Confect, Bonbonnièren, mitunter auch Schmuck fliegen mit zierlichen Grüßen zu den Balconen hinauf, von denen sich die schlanken Sennoritas in hellschimmernden Gewändern herabneigen, und Blumensträuße, Kränze und Seidenschleifen regnen lieblich dankend von oben herab. Aber nicht alle werden aufgefangen und an die heißen verlangenden Lippen der Carnevalsteufel gedrückt. Manche fallen daneben, – und eine dichte lauernde Schaar schwarzer, brauner und gelber Buben stürzt raubgierig auf die schimmernde Beute, und erst von überschwemmenden Fluthen gebadet, löst sich der balgende Knäuel wieder auseinander. Andere als Locomotiven oder Dampfschiffe maskirte Spritzen folgen den ersten und wiederholen dasselbe Spiel, bis die Sonne sinkt und ein abermaliger Kanonenschuß den ersten Carnevalstag endet. Maskenschwärme durchschweifen jetzt die nachtkühlen Straßen und Plätze. Nach den rhythmischen Klängen schnarrender Clarinetten, der Harmonica, Flöte, Guitarre und brummender Tambourins marschiren, springen, singen, tanzen und tollen sie gespensterhaft im Mondenschein.

Am zweiten Carnevalstage beginnt der Straßenkampf mit farbigen Eiern, die mit wohlriechendem Wasser gefüllt und mit buntem Wachs geschlossen sind. Von den Dächern antwortet das schwere Geschütz sogenannter Wasserbomben. Die dortigen Zeitungen im Times-Format bieten hierzu ein äußerst zweckmäßiges Material. Man rafft sie im Augenblick des Gebrauchs an den Enden schlauchartig zusammen, taucht sie in’s Wasser und schleudert sie reichlich gefüllt auf die Hüte der Vorübereilenden und Angreifer, auf denen sie dumpf klatschend auseinanderbersten. Die Hauptstraßen sehen des Abends beim Mondschein, von Papierresten überschüttet, wie beschneit aus.

Zahlreicher als am ersten Abend wühlt und wirbelt heute ein phantastischer Hexensabbath, ein toller Narrenjahrmarkt durcheinander. Ich war in die Calle de Lima, eine abgelegene Seitenstraße, eingebogen, um den ankrähenden Fistel-Begrüßungen der Masken einigermaßen auszuweichen, als mich plötzlich vier Frauengestalten flamingoroth, kolibrischillernd umflatterten. Mit sinnverwirrender Beredsamkeit erkundigten sie sich nach meinem Befinden und titulirten mich mit zärtlichen Beinamen. Die eine begrüßte mich als Cousin Don Carlos, die andere als Schwager Don Luis, die dritte als Gevatter Don Emilio, die letzte endlich gar als ihren ungetreuen Don Juan. Auf ihren Scherz eingehend, nannte ich sie Carlota, Luisita, Emilia und querida (geliebte) Juanita. Die größte von ihnen schwenkte um ihr Haupt ein klingelndes Tambourin, das sie eben so meisterhaft handhabte, wie die zweite ihre Castagnetten. Dabei trällerten alle vier ein damals sehr beliebtes Volkslied und umkreisten mich in wildem Reigen. Mit einem starken Tambourinschlage brachen sie plötzlich ab und standen still. „Adios mascarita, adios, adios!“ sagten die drei Flamingos mit tiefen, graciösen Verbeugungen und tänzelten mit wiederbeginnendem Sang und Klang von dannen.

Der Kolibri aber umrankte, wie eine wilde Liane der Parana-Inseln, meinen Hals – ich fühlte eine schlanke, jugendlich volle Gestalt an meiner Brust – ich weiß nicht wie es kam, daß ich mich tiefer neigte – ein flüchtiger Kuß zuckte elektrisch über meine Lippen, und „Adios!“ flüsterte sie, „adios!“ ... Es überlief mich glühend heiß, denn sie hatte meinen Namen genannt; aber wie ein schußerschrecktes Reh entwand sie sich und entwich zu den bereits harrenden Schwestern. Alle vier tauchten schnell in einen fandangotollen vorüberjauchzenden Maskenschwarm. – Fort war sie, die schillernde Sirene!

Am letzten und daher auch schönsten Carnevalstage rasseln elegante, blumen- und flitterbeladene Phaëtons durch alle Straßen. Büffelhosige Neger, tigerbemäntelte Mulatten und straußfederngekrönte, nackte Indianer mit Bogen und pfeilgespicktem Köcher thronen auf dem Bock. Pharaonen, Solimans, Bayards, vor Allem aber gehörnte Siegfrieds und rasende Rolands galoppiren auf edlen Rossen unter die Balcone ihrer harrenden Dulcineen. Galonnirte, gleichfalls berittene Diener folgen ihnen, befrachtet mit verhüllt und unverhüllt prangenden Geschenken, die heute den geliebten Augen einen zärtlich dankbaren Blick entschmeicheln sollen. Heute

fällt kein Strauß zu Boden, der nicht hastig aufgehoben, an Brust und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_095.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)