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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Könige von Gottes Gnaden.
Eine Rothweinskizze von Paul Wendt.
(Schluß.)

„Welchen Preis, meinen Sie, werden die heurigen Weine wohl erzielen?“ fragte ich, als der Inspector schwieg.

„Hm,“ versetzte er – „fünftausend Franken für das Faß haben die 1864er eingebracht, und da denke ich, daß wir mindestens auf den gleichen Preis werden rechnen dürfen.“

Der Mann täuschte sich nicht; die in Frage stehende Ernte wurde im vorigen Jahre mit fünftausendsechshundert Franken pro Faß verkauft und Tags darauf im Bordeauxer Weinhandel mit sechstausendsechshundert Franken bezahlt, so daß, wenn man die kostspieligen Unterhaltungskosten bis zur Reife des Weines in der Flasche veranschlagt, die Flasche vom echten Lafite des betreffenden Jahrgangs später sicher zwölf bis fünfzehn Franken kosten wird – eine Warnung für Leser, die ihren Château Lafite mit einem preußischen Thaler zu bezahlen gewohnt sind!

„Und wie viel Wein hoffen Sie in diesem Jahre zu gewinnen?“ fragte ich weiter.

„Für gewöhnlich werden’s hundertzwanzig bis hundertdreißig Faß oder vierhundertachtzig bis fünfhundertzwanzig Oxhoft von der ersten Sorte, in diesem Jahre rechne ich aber bestimmt auf mindestens sechshundert Oxhoft.“

„Ich hätte mir Ihren Bericht über die Geschichte dieses Schlosses offen gesagt, etwas romantischer vorgestellt,“ bemerkte Freund Adolph. „Knüpft sich denn kein Stück interessanter geschichtlicher Erinnerung an dieses Gemäuer, das in seiner wohlthuenden, aber anspruchslosen Einfachheit keineswegs unseren deutschen Begriffen von dem Worte Schloß entspricht?“

„Nicht daß ich wüßte,“ entgegnete der Inspector lächelnd, „doch sind in dieser Hinsicht unsere hauptsächlichsten Rivalen, das ‚Château Latour‘, welches Sie dicht bei Pouillac, hart am Strom werden liegen gesehen haben, sowie das weiter stromaufwärts gelegene ‚Château Margaux‘, in der Gemeinde Margaux, mehr bevorzugt. Der uralte Thurm vom Château Latour, das einzige Ueberbleibsel der ehemaligen starken Befestigungen, könnte Ihnen z. B. manche Geschichte von harten Kämpfen und Schlachten erzählen, welche dort im fünfzehnten Jahrhundert zwischen Engländern und Franzosen ausgefochten wurden. Château Margaux war ebenfalls stark befestigt. Die Soldaten Königs Eduard des Vierten unternahmen einst zur Zeit der Weinlese von Bordeaux aus einen Streifzug gegen die Weingärten des Schlosses und richteten arge Verwüstungen darin an. Im Uebrigen gebe ich zu, daß die Bezeichnung ‚Château‘, welche den Namen so vieler unserer Weingüter beigelegt ist, genau genommen oft nur eine grobe Gasconade ist, aber am Platze ist sie gewissermaßen, wenn sie, wie z. B. auf unser Lafite oder Latour angewandt, den Herrschersitz so königlicher Weine andeutet. Ja, das ist ein wirkliches Fürstenschloß,“ fuhr der alte Mann ganz begeistert fort, auf das durch das Grün der Bäume herleuchtende weißliche Gemäuer von Lafite hindeutend, „keine Zwingburg eines despotischen Herrschers, sondern ein schönes, mächtiges, segenbringendes Friedensschloß eines Königs von Gottes Gnaden!“

„Ein gutes Wort!“ riefen wir aus, dem alten Manne warm die Hand drückend.

„Kommen Sie jetzt,“ sprach der junge Moudon sich erhebend, „und lassen Sie uns einen Gang durch das Reich dieses Königs machen.“

Nach wenigen Minuten befanden wir uns mitten auf einem der nächstgelegenen Weinfelder, wo eine ansehnliche Schaar von Winzern bei fröhlichem Gesang und Gespräch mit der Lese beschäftigt war.

„Bei unserer Arbeit hier,“ begann unser liebenswürdiger Führer, „geht Alles gewissermaßen militärisch her. Der Commandant, welcher das Ganze leitet, theilt seine Schaar von männlichen und weiblichen Arbeitern in Sectionen von sechs bis acht Traubenschneidern oder Traubenschneiderinnen ein, welche wieder unter der Aufsicht eines sogenannten Brigadiers stehen, der seiner Abtheilung folgt und darauf Acht giebt, daß nur völlig reife Trauben geschnitten werden. Etwa vergessene Trauben zeigt er mit der Stange, welche er bei sich führt, dem Korbentleerer oder vide de paniers an, dessen Aufgabe es ist, die Körbchen der Traubenschneider, wenn sie gefüllt sind, in eine sogenannte Baste, einen viereckigen Holzkorb, zu entleeren, worauf er die gefüllten Basten dem faiseur de bastes überbringt. Dieser unterwirft die geschnittenen Trauben einer genauen Untersuchung, wobei er alle unreifen, kranken und verfaulten Beeren sorgfältig zu entfernen hat, und läßt sie dann durch zwei Bastenträger nach dem harrenden Wagen bringen. Der hier stationirte Belader oder faiseur de charge schüttet die Trauben in die beiden auf dem Wagen befindlichen Behälter (douils genannt) und hat ebenfalls Acht darauf zu geben, daß schlechte Trauben ausgesondert werden. Bei Regenwetter bedeckt er die Oeffnung der Douils sorgfältig mit einem Stück Wachsleinwand, damit jede wässerige Beimischung so viel wie möglich vermieden werde. Die Gewinnung des Weines aus den Trauben haben Sie heute Morgen selbst beobachtet.“

„Wodurch,“ fragte ich, „erklärt sich eigentlich der enorme Unterschied in der Güte der Weine? Rührt derselbe lediglich von der Bodenbeschaffenheit her?“

„Keineswegs,“ versetzte unser Freund, „wenngleich die Art des Grund und Bodens, so wie seine Bearbeitung eine Hauptrolle in der Weincultur spielen. Wenn es Sie interessirt, auf Ihre Frage eine genügendere Auskunft zu erhalten, so gestatten Sie mir etwas weiter auszuholen, obwohl Sie eigentlich fast Alles, was ich Ihnen zu sagen vermag, viel besser aus der Abhandlung Ihres Landsmannes W. Frank über die Weine des Medoc ersehen können; zu unserer Beschämung sei es gesagt, das trefflichste Werk, welches diesen Gegenstand behandelt, wofür sein Erscheinen in bereits fünfter Auflage bürgt. Lassen Sie uns indeß nach der Besitzung meines Vaters hinübergehen. Von der Plattform des Hauses aus haben wir einen herrlichen Rundblick auf die ganze Umgegend; auch weht dort ein angenehmer, kühlender Wind von der Gironde herüber, während Einem hier der glühende Steinboden fast die Füße versengt.“

Nach wenigen Minuten hatten wir uns auf der erwähnten Plattform, von welcher wir uns allerdings eines schönen Panorama auf Strom und Land erfreuten, installirt. Erfrischungen und Cigarren standen uns zur Seite, gegen die Sonnenstrahlen schützten uns unsere Sonnenschirme.

„Das liebe Frankreich,“ begann unser Freund – „besonders aber das Departement der Gironde, in welchem wir uns befinden, scheint von der Natur von Hause aus so recht zum Weinbau bestimmt gewesen zu sein. Die tertiären Felsformationen, welche die Basis dieses Landstriches bilden, wenngleich sie nicht immer nackt zu Tage treten, sonderm vielfach von Sand-, Kies- und Erdschichten fruchtbarerer Art bedeckt sind, begünstigen gerade die Weincultur ungemein, indem die Wurzeln des Weinstockes vorzugsweise lieben, sich in die Felsspalten einzuklemmen und da Nahrung zu finden, wo jede andere Pflanze elendiglich verkümmern müßte.

Für den Weinbauer kommt es nun hauptsächlich darauf an, daß er bei Bestellung seines Landes mit Kenntniß und Umsicht eine geschickte Auswahl derjenigen Rebenarten (cepages) trifft, welche dem Boden am meisten zusagen und deren vereinigtes Product einen Wein liefert, der gerade diejenigen Eigenschaften besitzt, welche feine Nasen und Zungen so hoch zu schätzen wissen. Wenn Weine, wie die von Lafite, Latour, Margaux und andere, einen so großen Ruf von Alters her hatten und sich desselben noch erfreuen, so ist das kein bloßer Zufall, sondern ein Beweis für die Ausdauer, mit welcher man beständig auf Verbesserung des Productes durch Anschaffung anerkannt vortrefflicher, feiner Cepagen bedacht war, ein Unternehmen, welches ebensoviel genaue Sachkenntniß erfordert, wie es kostspielig ist. – Wollen Sie einen Beweis? Sehen Sie, dort unten an Grunde stößt eine Bodenstrecke, welche zu Lafite gehört, mit einem Stücke Land meines Vaters nachbarlich aneinander. Der Boden ist genau derselbe, die Weingattung ebenfalls, und dennoch wird der Wein vom Château mit fünftausend Franken bezahlt, während der unserige vielleicht ein Drittel dieses Preises erzielt. Und woher kommt das?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)