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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Werke der Oeffentlichkeit mitzutheilen. Manche jener mittelhochdeutschen Dichter ritterlichen Namens rühmen sich selbst, daß sie nicht schreiben könnten; ob der Dichter aber selbst schrieb oder nicht, immer geschah die Veröffentlichung seiner Poesien mündlich, wie dies ja noch heute in einem Theil jener Alpenländer bei dem Schnaderhüpfels-Volksgesang üblich ist. Zum Lesen waren diese Gedichte gar nicht bestimmt, immer mußten sie mit Harfen-, Cither- oder Geigenbegleitung singend vorgetragen werden, und wo der Dichter dies nicht selbst konnte, da trug für ihn ein sogenanntes „Singerlein“ das auswendig Gelernte vor. Wiederum genau wie in unseren Schnaderhüpfelsländern gingen gute Lieder rasch von Mund zu Mund und fanden weiteste Verbreitung, lange ehe es Jemandem einfiel, sie aufzuschreiben. Und so haben wir denn auch erst aus der Zeit, wo der Minnegesang zu verstummen begann, die ersten großen Liedersammlungen, von denen die vollständigste diejenige ist, welche Rüdiger von Manessa in Zürich am Ende des dreizehnten Jahrhunderts veranlaßte, und deren Handschrift leider nicht in Deutschland, sondern als ein französisches Raubstück, das 1815 zurückzufordern vergessen worden, noch heute in Paris aufbewahrt wird.

Unter den einhundertundsechszig Dichtern dieser sogenannten Manessischen Sammlung wird von keinem Walther von der Vogelweide überragt. Er ist der reichste, vielseitigste und vollendetste Poet jener Tage und zugleich einer der Glücklichen, welcher den Kranz des Ruhms noch auf lebendem Haupte trug. Wenn wir seinen Lebensgang betrachten, so haben wir nicht blos das allgemeine Bild eines damaligen Dichterlebens, sondern zugleich den großen Hintergrund der Weltbewegung vor uns, auf deren Wogen die Poesie jener Tage als ewig leuchtende Zierde prangt.

Wie die Mehrzahl der Minnesänger und überhaupt der mittelhochdeutschen Dichter – denn nach der schwäbischen oder mittelhochdeutschen Mundart, d. h. der aus der gothischen und althochdeutschen organisch fortgebildeten oberdeutschen Sprache wurde, weil die Hohenstaufen sie auf drei Jahrhunderte zur Hof- und Schriftsprache erhoben, jene ganze deutsche Literaturperiode genannt – war auch Herr Walther von der Vogelweide ritterlichen Standes, was auch Schwert und Wappen bei seinem Bilde bezeugen. Die jüngeren Sprossen dieser Häuser, welche nicht selbst ein Lehen besaßen und auf ihren Burgen der Dichtkunst eine Pflegstätte bereiten konnten, wie die Frauenhuldigung jener Zeit es forderte, verwandelten, wenn die Begabung es litt, aus fahrenden Rittern sich in fahrende Sänger. Sie zogen von Burg zu Burg, von Hof zu Hof, die Freuden der Hausfeste durch ihre Gesänge verherrlichend, und weilten am längsten da, wo fürstlicher Glanz und edler Sinn ihnen die würdigste Herberge aufgeschlagen. Daß Herr Walther von Haus aus kein Lehen besaß, wissen wir aus seinen Liedern, in welchen er es erst beklagt, „daß er überall nur als Gast begrüßt werde, Keinen selbst als Wirth aufnehmen könne“ – und dann endlich, als sein gefeiertster Kaiser, Friedrich der Zweite, ihn mit einem Lehen bedenkt, jubelnd ausruft: „Ich hab’ ein Lehen, alle Welt, ich hab’ ein Lehen!“ – Ob aber dieses Lehen mit jenem alten „Hof zur Vogelweide“, einem unscheinbaren Haus zu Würzburg, zusammenhängt, oder ob dasselbe ein älteres Besitzthum seines Geschlechts oder nur sein letztes Wohn- und Sterbehaus gewesen, das Alles ist bis jetzt unermittelt geblieben. Dagegen wird seine fränkische Abstammung ebenso allgemein angenommen, wie man seinen eigenen Worten glauben darf, daß er erst in Oesterreich, in dem fröhlichen Laude der hochsinnigen Babenberger, „singen und sagen“ gelernt habe. Wie glücklich seine Jugend in dieser seiner zweiten Heimath gewesen sein muß, das spricht so rührend, nach Herzog Friedrich’s Tod in Palästina (1198), die Klage aus, mit welcher er von dieser herrlichen Vergangenheit scheidet: „Hievor war die Welt so schön!“ sang er und wanderte nun weiter, um einen neuen Stern seiner Lieder zu suchen. Der menschenfeindliche Kaiser Heinrich der Sechste, von welchem gleichwohl selbst – so mächtig war der Zug der Minne-Sitte! zwei der schönsten Minnelieder uns erhalten sind, vermochte ihn nicht zu fesseln, und um so freudiger begrüßt er den Tag, wo Philipp von Schwaben die deutsche Königskrone auf sein Staufenhaupt setzte. In edelster patriotischer Begeisterung strömt sein den Ghibellinen treu anhangendes Herz über in seinem Lobgesang auf „den König Philipp schön und tadelsohne“ und sein junges Gemahl, die griechische Irene, die „Ros’ ohne Dorn und Taube sonder Galle“, als er dem feierlichen Kirchgang derselben zu Magdeburg beigewohnt. Herr Walther aber trug dann seine Harfe weiter und begann jene große Sänger-Wanderfahrt, welche ihn nicht blos durch den größten Theil von Deutschland, sondern auch nach Frankreich und Italien führte und seine männlich-ernste Seele mit reicheren Anschauungen erfüllte, als irgend einen seiner zeitgenössischen Dichter.

Dieses Wanderleben führte unseren Dichter, nach einem längeren Aufenthalt am Kärnthner Herzogshofe, um das Jahr 1207 nach der Wartburg, wo um den Landgrafen Hermann und die Landgräfin Sophie sich die damals berühmtesten Minnesänger versammelt hatten. Hier wurde er Theilnehmer an dem Sängerkrieg, als dessen übrige Mitkämpfer neben ihm, dem größten Lyriker, der größte Epiker jener Zeit, Wolfram von Eschenbach, ferner Heinrich von Veldeck, Bitterwolf, Reinhart von Zwetzen und Heinrich von Ofterdingen genannt werden. Die Möglichkeit eines solchen Kampfes ist nicht zu bezweifeln, desto mehr aber der Inhalt der Dichtung, welche als Wartburg-Sängerkrieg in mehreren Handschriften erhalten und offenbar von mehreren Verfassern erst später niedergeschrieben und mit eigenen und sagenhaften Zuthaten versehen ist. Ein doppelter Zwiespalt trennte damals die politischen und die dichtenden Geister: wie die Ghibellinen hatten auch die Welfen ihre Sänger, und gleicherzeit standen die Verherrlichen der deutschen Sagenpoesie den Vertretern der Poesie des heiligen Graals schroff gegenüber. Solche Gegensätze konnten eine Parteierbitterung erzeugen, welche zu einem Kampf auf Leben und Tod führte; schwerlich der Wettstreit, ob der Herzog Leopold von Oesterreich oder Landgraf Hermann der ruhmwürdigere Fürst sei. Immer aber wird der große Saal der Wartburg, in welchem Heinrich von Ofterdingen, der Besiegte, sich vor dem Scharfrichter hinter den Mantel der Landgräfin Sophie geflüchtet haben soll, uns als ein altbewahrter und neuerstandener Zeuge aus jener großen Zeit deutscher Dichtkunst ehrwürdig und unschätzbar bleiben.

In einem neuen Lichte erscheint uns der Dichter, als Otto der Vierte, Heinrich’s des Löwen Sohn, nach der Ermordung Philipp’s von Schwaben durch den Wittelsbacher, die Kaiserkrone nun vollberechtigt und anerkannt allein trug. Herr Walther, der treue Ghibelline, sah in dem Welfen fortan nicht mehr den Parteifeind, sondern den deutschen Kaiser, dem man um des Reichs willen Gehorsam und Treue schuldig sei als dem gewählten und gekrönten Herrn der Christenheit. Wie hoch steht hier der Dichter über jenen Reichsfürsten, welchen nur das Interesse ihres Hauses den Weg des Handelns anzeigte und welche, nach allen Seiten falsch und feil, „schamlos ihren Judaslohn in Silberlingen einstrichen“! Wie er in seinen Liedern damals den untreuen Fürsten harte Wahrheiten sagt, so richtete er seine schärfsten Pfeile auch gegen den Papst Innocenz den Dritten und die herrsch- und prunksüchtige Geistlichkeit. Nachdem dieser Papst Opferstöcke in den deutschen Kirchen hatte aufstellen lassen, läßt Walther ihn die Deutschen also verspotten:

„Nun sind sie Mannen meinem Stock, ihr Gut ist Alles mein.
Ihr deutsches Silber rollt in meinen welschen Schrein.
Ihr Pfaffen esset Hühner und trinket Wein,
Und laßt die Deutschen – fasten!“

Ueber die Peterspfennige damaliger Zeit, die Sammlungen der Geistlichkeit für den bevorstehenden Kreuzzug, sagt er:

„Des Silbers, fürcht’ ich, kommt nicht viel zu Hülf’ in Gottes Land,
Großes Gut entläßt nicht gern der Pfaffen Hand.
Der Stock, der ist zum Schaden hergesandt,
Ob er im deutschen Land
Thörinnen und Narren fände.“

Das Zeitalter der Reformation kennt kaum schärfere Angriffe auf das ultramontane Treiben, als sie zur Geige und Harfe dieses Minnesängers erschallten und freudig verbreitet wurden.

Trotz der persönlichen Unliebenswürdigkeit des Welfenkaisers würde Herr Walther treu zu ihm gehalten haben, wenn derselbe des Reiches Wohl zu fördern vermocht hätte; am wenigsten würde des Kaisers Unglück den Dichter von ihm verscheucht haben. Otto’s Geiz und Wortbrüchigkeit entfremdeten ihm ein solches Herz aber um so rascher, als der Gegner, welcher jetzt gegen ihn auftrat, alles deutsche Volk im Sturm an sich riß: Barbarossa’s Enkel, der ritterliche Hohenstaufe Friedrich der Zweite. Ihm schloß er sich mit allem jugendlichen Feuer seines alten Dichter- und Patriotengefühls an, und der Hohenstaufe belohnte die Treue und ehrte den Ruhm Walther’s mit dem ersehnten Lehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_078.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)