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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dem Elternhause in die unbekannte Fremde thut.“ Und dieser erste Schritt „hinaus in die Ferne“, der nicht blos Fürsten und ihre Ritter, sondern das Volk in allen seinen Kreisen zur Theilnahme

Die Bestattung Walther’s von der Vogelweide im Neumünster zu Würzburg.
Nach Echter’s Wandgemälde im bairischen Nationalmuseum zu München.

an den Kreuzzügen führte, bezeichnet zugleich den Augenblick, wo die Nation aus der bisherigen Abgeschlossenheit in das deutsche Jünglingsleben hineinstürmte und der Stolz, deutsch zu denken und deutsch zu singen, uns zur ersten klassischen Periode einer nationalen Literatur führte. Der Blick ging plötzlich weiter, neue Bahnen des Verkehrs wurden frei, und nicht blos die Güter des Handels, sondern auch die geistigen Schätze strömten auf und ab über die Grenzen, mehrten das Wissen und hoben den Wetteifer höchsten geistigen Schaffens. Wie damals vor Allem der edle Geist des Ritterthums die Dichtkunst neu belebte, so bildeten die Dichter von Neuem die Sprachen ihrer Völker, und wie die Troubadours in Frankreich und in England die Minstrels, so streuten in Deutschland die Minnesänger ein Fülle lebenvollster Poesie aus, die, ohne die Hülfe der bleiernen Sendboten späterer Zeiten, frisch von Mund zu Mund ihren Weg von den Fürsten- bis zu den Bauernhöfen fand und unter den Dorflinden noch heute, nach Jahrhunderten, in den schönsten Volksliedern nachklingt.

Für die Deutschen kam zu all jenen äußeren Anregungen, wozu namentlich auch das Aufschließen der Schätze des alten Griechenlands und der Märchenwelt des Morgenlandes gehört, noch die damalige politische Größe des deutschen Reichs und der Glanz von Männer- und Heldenwürde, welcher die damaligen Kaiser, die Hohenstaufen, umgab. Die Zeit selbst war, so erfüllt mit poetischen Elementen, daß beim Hinblick auf sie die große Anzahl trefflicher Dichter derselben uns so wenig Wunder nimmt, wie die Erscheinung, daß diese übervolle Blüthenpracht mit den Hohenstaufen aufsteigt, lebt und dahinsinkt.

Der vorherrschende Charakter dieser Dichter wird durch ihren Namen bezeichnet: es ist die Liebe, die Minne, die Frauenhuldigung, deren Maß und Form uns zu allen Zeiten als ein Gradmesser der Sitten- und Bildungshöhe der Völker dienen kann. In allen Liedern dieser Zeit spricht sich der reine jugendliche Geist derselben aus, und auch wo die Dichter aus diesem Kreis herausschreiten und neben dem Frauendienst bald dem Gottesdienst, bald dem Herrendienst, das heißt der Verherrlichung der Fürsten und des Reichs, und den Kämpfen der Zeit ihre Lieder weihen, immer durchdringt sie die nur die Jugend beglückende, reine Begeisterung und völlige Hingabe an den Gegenstand ihrer Dichtung.

Suchen wir nun die Stätten auf, wo diese erste classische Dichtung unseres Volks vorzüglich gepflegt wurde, so kommen wir aus dem Süden Deutschlands kaum über die jetzt so verhängnißvolle Mainlinie hinauf: Schwaben, der Hohenstaufen Heimath, die Schweiz, das Land am Oberrhein, Franken, Baiern und Oesterreich sind ihr Hauptgebiet, und nur die Landgrafen von Thüringen und Meißen und ein Graf (Otto) von Brandenburg vertreten, aber auch in würdigster Weise, den Norden des Vaterlandes.

Ein Dichterleben jener Zeit ist von dem heutigen so verschieden, wie die äußere Erscheinung beider und ihre Art, ihre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_077.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)