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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und charakterlosen „Ergo bibamus“ (lasset uns trinken) zu singen.

Das hieß nicht nur mit Einem Striche die ganze herrliche Partie ihrer ursprünglichen Bedeutung nach vernichten, nicht nur dem Sänger eine seiner besten Rollen „verballhornisiren“ – das hieß vielmehr einem todten Meister eines seiner herrlichsten Geistesproducte verstümmeln – das hieß eingreifen in die Rechte, welche das Publicum der Wiener Hofoper, ja, welche die deutsche Nation an dem Nachlasse seiner schaffenden Geister hat; – und diesen rein und unverfälscht zu wahren, wie einen heiligen Hort, das ist ihre, das ist jedes deutschen Mannes Ehrenpflicht. – Mit diesem Proteste wies auch Hölzel den an ihn ergangenen Befehl zurück, ja bat sogar, ihn lieber zu entlassen, ehe man ihn zwinge, das also verstümmelte Lied zu singen, aber man verwies ihn einfach auf den Befehl und gestattete ihm nur, die Capuzinerkutte zu behalten.

Mit düsteren Gedanken verläßt der Sänger die Probe. Soll er das Aeußerste wagen? Er weiß, welche Strafen dem Ungehorsam nach den Theatergesetzen folgen, und seine Existenz hängt vielleicht davon ab, aber er ist auch Künstler, und zwar ein Künstler von rechtem Geiste, und sein Innerstes sträubt sich empört gegen den Gedanken, dem pfäffischen Gezücht die Hand zum Verrath gegen einen todten Meister zu bieten; ein Werk, das er bisher mit Begeisterung und Ehren, mit aller Sorgfalt und Liebe des wahren Künstlers gehegt und gepflegt, mit einem Male zu Boden zu reißen und statt der herrlichen, meisterhaft gearbeiteten Figur ein elendes Jammerbild ängstlicher, lichtscheuer Creaturen auf die Bühne zu bringen. Das ist zu viel – das ist mehr, als sein Künstlergewissen zuläßt! In höchster Aufregung stürzt er fort; er durchstreift die Straßen von Wien, eilt auf dem gewohnten Wege hinaus nach Schönbrunn. Die Bären brummen ihm entgegen – sie verleugnen den alten Freund nicht, wenn er sie auch nicht mehr füttern darf. Drinnen bei den Menschen ging mit ihm der Zweifel, hier, in der freien Gottesnatur, wo hinter den Eisengittern von langer Gefangenschaft halberschlaffte Thiere lebendige Zeugen sind, wie elend jeder Zwang selbst das stärkste Geschöpf macht, – hier kehrt ein klares Bewußtsein und mit ihm die männliche Ruhe in seine Brust zurück.

Entschlossen geht er mit dem sinkenden Abend in die Kaiserstadt zurück, schreitet durch die tagshell erleuchteten Corridore des Theaters am Kärnthner Thor und betritt heiterer, als er sie am Morgen verlassen, seine Garderobe. Dort war ihm aber eine neue Ueberraschung aufbewahrt. Statt der Kutte lag richtig der alte schwarze Kittel an seinem Platz. Er berief sich auf die Erlaubniß, die Kutte anzuziehen, umsonst – die Kutte war nicht zu finden, und erst, als er erklärte, so nicht hinauszugehen, wurde sie herbeigeschafft.

Eine Stunde später trat der langgewohnte Capuziner, heiter und sicher, wie früher, vor die Lampen und nur in seinem Herzen bebte es – er wußte, daß das „Ora pro nobis“ für ihn in diesem Augenblicke so viel zu sagen hatte, wie für Galilei einst sein „Und sie bewegt sich doch!“, aber er konnte den Unsinn des „Ergo bibamus“ nicht über die Lippen bringen. Mit dem Geist der Rolle im Kopf und dem Gefühl der Sünde, die er gegen ein Kunstwerk begehen sollte, kam der Refrain und mit ihm das tönende „Ora pro nobis“, zu dem der erschrockene Richard Löwenherz schüchtern den Chor – aber „Ergo bibamus“ – mitsang.

Das beliebteste Mitglied der Kaiserlichen Hofoper war von diesem Augenblick an seiner Functionen enthoben. Ein erbitterter Zeitungskampf entbrannte, in dem – zur Ehre sei es gesagt! – fast alle Blätter Wiens und des übrigen Deutschlands auf der Seite des Rechts und des „charakterfesten Sängers“ standen; aber dies half so wenig, wie die Opposition des Publicums: Hölzel blieb von Allem nichts als eine kleine Pension, die er noch dazu nur direct der Gnade des Kaisers verdankte, und das Publicum der Kaiserlichen Oper war seines besten Baßbuffo’s und so manches unersetzbaren Hochgenusses beraubt. Mißmuthig machte Hölzel von da an mehrere Kunstreisen, gastirte hier und dort an den besten Theatern Deutschlands, überall mit großem Beifall; dann kehrte er wieder nach Wien zurück, wo er sich fleißig seinen seelenvollen Liedercompositionen widmete und der Stunde harrte, die ihn wieder vor die Lampen rufen würde. Und sie kam.

Wenn auch die Wiener Direction ihn bisher unberücksichtigt ließ, so war es doch ein großes musikalisches Ereigniß unserer Tage, was den „Halbverschollenen“ wieder aus seiner künstlerischen Zurückgezogenheit an das Licht glanzvollen Wirkens rief.

Richard Wagner hatte seine neueste komische Oper „Die Meistersinger“ seinem kunstliebenden Könige gewidmet, und dieser ordnete mit wahrhaft fürstlicher Munificenz jene Mustervorstellungen an, von denen vor Kurzem die Spalten aller Zeitungen Deutschlands angefüllt waren. Nicht allein der decorative Theil, sondern noch mehr auch der musikalische wurde auf Befehl des Königs mit den tüchtigsten Sängern Deutschlands ausgestattet, die von weit her für die lange dauernden Proben und die vier ersten Münchener Vorstellungen gegen außerordentlich hohe Summen engagirt wurden. Besonders rathlos aber war man wegen der schwierigsten und der einzigen komischen Partie der Oper, der des „Beckmesser“, bis man in unserm Hölzel die Kraft fand, welcher man eine so schwer zu bewältigende Aufgabe mit vollem Vertrauen übergeben durfte. Wie er dieselbe löste und wie er es namentlich war, der das schwierige Gesammtspiel in großartigster Weise zu fördern wußte, darüber spricht sich Heinrich Laube in seinen bekannten, in der „Neuen freien Presse“ jüngst erschienenen Besprechungen der ersten Meistersinger-Aufführung in den folgenden Worten aus: „Mit wahrer Freude sahen wir Herrn Hölzel wieder, welcher die schwierige Partie des ‚Beckmesser‘ vortrefflich durchführte und durch seine drastische Komik mehr als einmal trefflich wirksam nachhalf, wo dem Dichter und Componisten der Humor vollständig ausgegangen war. Wir müssen aus Anlaß dieser eminenten Leistung Hölzel’s den oft und vielseitig ausgesprochenen Wunsch wiederholen, es möchte unser Hofoperntheater diesen altbewährten Liebling des Wiener Publicums endlich wieder für sich gewinnen.“

Gustav Hölzel, der Sohn des rühmlichst bekannten österreichischen Schauspielers Nicolaus Hölzel, am 2. September 1813 zu Pest in Ungarn geboren, zeigte schon früh großes Talent für Musik, bald auch eine unüberwindliche Neigung für die Bühne, so daß er schon als sechszehnjähriger junger Mann das väterliche Haus verließ, um in Raab und Oedenburg sein erstes Engagement anzutreten. Nach mehren anderen Durchgangsstadien war er von 1833–1837 Mitglied des Hofoperntheaters in Wien und nahm hierauf ein Engagement als erster Baritonist am Theater der Königsstadt in Berlin an, wo man ihm nach Ablauf des ersten Jahres sogar eine lebenslängliche Anstellung bot. Wenn es aber einen Menschen giebt, der nicht in die Umgegend von Berlin paßt, so ist es Gustav Hölzel. Kaum ein Jahr hielt er es im Berliner Sande aus, – nicht einmal die Verlockung einer lebenslänglichen ehrenvollen Anstellung konnte ihn bestechen, dort zu bleiben. Er bekam eine Art von Heimweh nach den Alpen und ging deshalb nach der Schweiz, wo damals in Zürich Charlotte Birch-Pfeiffer die Direction des Stadttheaters hatte und den jungen talentvollen Künstler gern engagirte. Hier lernte er seine jetzige Gattin, Molly Gerstäcker, Tochter des noch in gutem Andenken stehenden Tenoristen und Schwester des Schriftstellers, kennen und wurde mit ihr im August desselben Jahres getraut.

Anfang 1840 kehrte er nach Wien an das Hofoperntheater zurück, an welchem er zweiundzwanzig Jahre lang in ununterbrochenem Engagement blieb und ein Liebling des Wiener Publicums wurde. Während dieser Zeit entwickelte sich sein Talent zur Liedercomposition, und diesen Liedern gerade verdankt er den größten Theil seiner Popularität auch im übrigen Deutschland. Schon das erste: „Als i bin verwichen zu mei Diandl g’schlichen“, wurde bald so allgemein beliebt, daß er Muth bekam, auf der neuen Bahn fortzufahren, und jetzt folgte bald eines rasch dem andern. Zu den bekanntesten derselben gehören unstreitig: „Mein Liebster ist im Dorf der Schmied“, „Das Glockengeläute“, „Der Krieger und sein Roß“, „Das Lied von der Lanze“, Uhland’s: „Was ist das für ein durstig Jahr“, „Du hast die schönsten Augen“, „Die Thräne“, „Hans Zwieselich“, wie die Lieder in österreichischer Mundart: „Das Grüaberl im Kinn“, „Der Himmel“, „Mir hat amol vom Taifel ’traimt“, „Der guate Rath“, „Drescherlied“, und viele andere. Da er die Lieder selber mit einer kräftig schönen und tiefen Baritonstimme so prächtig sang und eben so fest durch diese wie die in’s kleinste deutliche Aussprache der Worte das Publicum erfreute, öffnete ihm das ein weiteres Feld. Er benutzte seinen jährlichen Urlaub am Kärthnerthor-Theater, um an anderen Bühnen sowohl zu gastiren, als auch Concerte zu geben, in denen er seine eigenen Lieder sang, und war bald ein überall willkommener

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