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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Notizbuch der Conducteure zeigen zu lassen, mit einem Instrument, welches einem Zahnbrecherschlüssel nicht unähnlich ist, die Zifferscheibe zu stellen und dann ebenso rasch wieder zu verschwinden, wie sie erschienen sind. Außerdem soll noch eine Anzahl geheimer Controleure im Dienste der Omnibusgesellschaften stehen, um diese vor jeder Unredlichkeit von Seiten ihrer Beamten nach Möglichkeit zu bewahren; ob dergleichen „Geheime“ wirklich existiren, können wir indeß nicht verbürgen.

Die Polizeibehörde hat die Halteplätze allmählich immer weiter von der Mitte der Stadt hinausgerückt und die Touren haben jetzt eine Länge von einer Viertel bis zu einer Meile erhalten, welche, die Unterbrechungen unterwegs eingerechnet, in je siebenundvierzig Minuten bis eine Stunde pünktlich zurückgelegt werden müssen. Die längsten Touren sind jetzt die von der Liesenstraße zum Heinrichsplatz und von der Ostbahn zum Neuen Thor. Das übel berüchtigte Voigtland, der ehemals versandete Wedding, die Frankfurter Linden, der Kreuzberg und die Potsdamer Brücke sind jetzt dem Mittelpunkte der Stadt um eine halbe Stunde näher gerückt und die Omnibuseinrichtung ist für diejenigen Geschäfts- und Gewerbetreibenden, welche weite Wege zurückzulegen haben oder von ihrer Arbeitsstätte entfernt wohnen, eine nicht genug zu schätzende Wohlthat. Der Fahrpreis beträgt für den Deckplatz einen Silbergroschen, für den inneren Platz zwei, eigentlich anderthalben Silbergroschen, da Billets für zwei Touren oder zwei Personen zu drei Silbergroschen von den Conducteuren verabfolgt werden. Alles aber, was den Betrag von einem Silbergroschen übersteigt, erlangt in Berlin keine rechte Popularität. Der eigentliche Mann aus dem Volke und der Arbeiter benutzt daher nur die Deckplätze, während die inneren vorzugsweise von der verkehrtreibenden Mittelclasse und, da diese hinsichts der Kleidung und Gesittung den höheren Ständen näher als die Arbeiterclasse steht, auch von Damen und von Personen aus der Beamtenwelt und dem Handelsstande benutzt werden.

Auf den Stations- oder Halteplätzen finden sich meistens Omnibusse mehrerer Linien, und zwar ist gewöhnlich einer für jede der angewiesenen Touren dort anzutreffen, der nach einer Rast von sieben bis acht Minuten, kurz vor oder gleich nach der Ankunft des rückkehrenden abfährt. Der Moritzplatz und der Oranienplatz, auf welchen früher die meisten Omnibusse hielten, liegen jetzt innerhalb der Linien, und gegenwärtig sind der Alexander-Platz, der Dönhofs-Platz und die Potsdamer Brücke die wichtigsten Stationsplätze geworden.

Die Berliner Omnibusse verlieren sich nicht, wie die Pariser, in die Nebenstraßen, sondern wählen auf ihren Linien die besuchtesten Hauptstraßen und verbinden in dieser Weise die Stralauer Gegend mit der Anhalter Bahn; die Stadttheile jenseits der Königsstadt mit dem Süden Berlins; das ehemalige Voigtland, das Gebiet der Familienhäuser mit dem Potsdamer Thore und dem Stadttheile auf dem Köpnicker Felde und diesen mit der Oranienburger Thorgegend, dem Reiche der riesigen Eisenindustrie, und mit dem Stadttheile der Geheimräthe; das Cottbuser Thor mit dem Stadttheile vor dem Potsdamer Thor, den Wohnplätzen der reichen Bourgeoisie; den entlegensten nördlichen Theil, den Wedding-Platz, mit dem äußersten südlichen, dem Kreuzberge; das Neue Thor mit der Ostbahn; die Region der Biergärten vor dem Schönhauser Thore mit dem südlichen Theile der Stadt und mit der Gegend jenseits des Alexander-Platzes. Andere Linien verbinden das Innere der Stadt mit benachbarten Orten, welche meistens außerhalb des Weichbildes liegen, mit Lichtenberg, Weißensee, Tempelhof, Moabit, Charlottenburg, Pankow, Schöneberg, Rixdorf, der Hasenhaide, dem Gesundbrunnen und dem Saatwinkel.

Das Omnibuswesen entstand zuerst gegen Ende der zwanziger Jahre in Paris und zeigte sich schon wenige Jahre später in lebhaftem Gange. Die einzelnen Berliner Omnibusse, welche zur Zeit des Regierungsantritts des vorigen Königs aufkamen, verschwanden bald wieder, Berlin hatte damals noch nicht den weltstädtischen Pulsschlag, um das Bedürfniß nach einer derartigen Einrichtung zu fühlen. Ein geregeltes Omnibuswesen wurde erst im Jahre 1847 von Heckscher und Freiburg aus Hamburg eingerichtet und kam dann an verschiedene Privat-Unternehmer, welche in dem Zeitraum von 1862 bis 1864 dreihundert Omnibusse in Gang setzten. Im letztern Jahre übernahm die Commandit-Gesellschaft Busch und Rosenberg dieses Verkehrsgeschäft. Das Bedürfniß hatte sich in so dringender Weise geltend gemacht, daß vor fünf Jahren sechsundvierzig Linien eingerichtet waren. Trotzdem fanden die Unternehmer nicht ihre Rechnung, und die Stockung im Geschäftsverkehr, die Kriege und andere Hemmnisse veranlaßten, daß das Geschäft im März vorigen Jahres in Liquidation kam und auf eine Actiengesellschaft mit einer Million Betriebscapital überging, welche gegenwärtig ihr Centralbureau in der Leipzigerstraße Nr. 41 hat. Obgleich fast die Hälfte der früher eingerichteten Linien eingegangen war, so nahm das Institut unter der Direction des Barons von Gablenz und des ehemaligen Buchdruckereibesitzers J. Draeger einen neuen Aufschwung; neuerdings ist ein dritter Theilnehmer an der Verwaltung, Herr Itzinger, hinzugetreten.

Eine Fahrt in einem Berliner Omnibus ist ebenso unterhaltend wie lehrreich. Ruhig auf seinem Platze sitzend, ist man im Stande, die mannigfaltigsten Studien von Charakteren und Situationen anzustellen. Vielleicht begleitet uns der Leser später auf einer solchen Studienfahrt, die sein Wissen sicher mit der Bekanntschaft von mancherlei interessanten Menschen- und Charaktertypen bereichern wird.




Die neue Lehre.

Von J. G. Fischer.


 Schlecht in sich selber ist die Lehre, welche
 Vor einer feindlichen Entdeckung zittert!
 Friedrich II. von Hohenstaufen.


Ich frage nicht, woher ich stamme;
Geschehen ist und bleibt die That,
Daß einmal eine Lebensflamme,
Ein Funken mich entzündet hat,

5
Ein Widerschein des wunderbaren,

Der in der ersten Zelle schwang,
Daraus nach Millionen Jahren
Das erste Menschenkind entsprang.

Der sie durch ungezählte Stufen,

10
Von Bildung sie zu Bildung treibt,

Bis daß die jüngste wachgerufen,
Die pflügt und handelt, spricht und schreibt;
Ein Blitzen war’s im Wesenraume,
Da nun der Riesenschritt begann

15
Und nach des Thieres dunklem Traume

Sich eines auf sich selbst besann.

Ein Festtag war’s der Geisterweihe,
Ein göttlich Auferstehungslied,
Als aus der Myriaden Reihe

20
Der erste Geist sich unterschied,

Als er zuerst den eignen Namen
An der Erschaffnen Gipfel schrieb
Und seitwärts unter ihm der Rahmen
Des Thiers befestigt stehen blieb.

25
Da jauchztest Du dem Sonnenstrahle,

Der aus der eignen Stirne sprang
Und eine Welt der Ideale
Selbstschöpfend um die Schöpfung schlang;
Triumphen von Gedankensiegen,

30
Freiheitbeglückter, trieb Dich’s zu

Und unermeßlich vor Dir liegen
Des Könnens Kreise wähntest Du. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_055.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)