Seite:Die Gartenlaube (1869) 048.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Diese alten sächsischen Verbindungen mit den ihnen zu Grunde liegenden Einrichtungen und Gesetzen sind das Urbild freier germanischer Verfassung. Einer unserer bedeutendsten deutschen Staatsmänner, Möser, verdankt seine Größe und die Mustergültigkeit seiner Meinungen größtentheils Dem, daß er mit allen seinen Ansichten und Ideen in dem Geiste dieser Einrichtungen wurzelte und wirkte. Auch die in den letzten Jahren in den hannöver'schen Landen zuerst wieder eingeführten Schwurgerichte, deren Grundzug ist, daß der Schuldige von seinen Mitbürgern und nicht von der Willkür eines Einzelnen sein Urtheil empfängt, erinnern ganz an die westphälische Gerichtsweise, wo die Wehren sich alljährlich mehreremal, oder in Folge eines Aufgebotes versammelten, um am geheiligten Orte, der Thingstätte, unter freiem Himmel das gemeinsame Recht zu handhaben.

Eine solche altsächsische Verbindung sehen wir vor uns in den Wetterfreien; sie waren frei unter sich und Niemandem unterworfen, als dem Wetter und Gott im Namen des Schutzes der heiligen Maria zu Heerse.

Hätte die alte Eiche reden können, was würde sie uns erzählen? –

Durch ihren gewaltigen Wipfel war der Sturm der Jahrhunderte dahin gebraust, mit allen Wechseln der bewegten Zeiten, sie, ein Urbild deutscher Kraft, war immer größer und herrlicher emporgewachsen. Sie hatte die Tage Wittekind’s gesehen, die eisernen Zeiten des Mittelalters, die Zeiten der Kreuzzüge, die Zeiten der Herrlichkeit des deutschen Reiches; der verheerende Sturm des dreißigjährigen Krieges zog über die Gauen Deutschlands dahin, wiederum kam ein großer Frankenkaiser Deutschland auf kurze Zeit zu unterjochen: ruhig blickte der alte Baumriese auf das Getümmel der Zeiten, gleichsam als hätte ihn der Wechsel aller Jahrhunderte, der des Jahrtausends, das bereits durch seine Zweige wehte, nur gelehrt, daß unter allen Stürmen immer Eines bestehen blieb, das ist die Freiheit unter deutschen Eichen. Völker kamen und gingen, aber immer wandelte unter seinen Zweigen ein und aus ein wackeres Geschlecht freier westphälischer Wehren.

Jetzt liegt auch er, als einer der letzten seines Alters auf westphälischem Boden, von der Hand der Alles vernichtenden Zeit dahingeworfen. Niedergerissen vom Sturm, fand der schöne, volle vierzig Fuß im Umfang haltende Baum, gesund wie er von der Wurzel bis zum äußersten Zweige noch war, ein ehrenvolles natürliches Ende und theilte nicht das schnöde Schicksal vieler seiner Altersgenossen, die der Habgier der Menschen, der Axt erlagen. – Grönenberg ist schon der uralte Gauname des noch jetzt so genannten Amtes; einst grön oder hochdeutsch grün von den Eichenwaldungen seiner Fluren. Wo sind sie geblieben, die schönen Bäume, die Eichen, die stets der heimathliche Stolz der Deutschen waren, wo sind die Eichen Westphalens geblieben? – Die letzten hundert, und insbesondere die letzten zwanzig Jahre haben der Menschen Hände so bedauernswerth darunter gewirthschaftet, daß kaum noch ein ordentliches Fleckchen Eichenwald zu finden ist, daß eine tausendjährige Eiche kaum noch existirt. Und doch zerstört man mit ihnen etwas Unersetzliches! Das schönste Denkmal der Baukunst kann des Menschen Hand wieder ersetzen, aber wer vermag sie uns wiederzugeben, die alten prächtigen Eichen? Niemand! – nur der Lauf langer, ferner Jahrhunderte kann unseren Nachkommen den Schmuck herrlicher Eichenwaldungen wieder verschaffen, wenn die jetzigen Geschlechter endlich von der fortdauernden Zerstörung nachlassen und auf ihr künftiges Bestehen jetzt schon Bedacht nehmen.

Mit der erwähnten Wettereiche waren es fünf Eichen im ungefähren Alter von tausend Jahren, die allein im Amte Grönenberg im Laufe der letzten fünfzehn Jahre fielen, die Wettereiche durch den Sturm, die andern vier durch Menschenhand. Davon stand die schönste zu Niedernkempen bei Sondermühlen (wo der Dichter Stolberg lebte). Bis dahin von der königlichen Domainen- und Forstverwaltung stets respectvoll geschont, wurde sie umgehauen und der hannover'schen Regierung, die bekanntlich des Geldes gar nicht bedurfte, flossen daraus ein paar lumpige hundert Thaler zu, weil neue, dienstfertigere Forstbeamte sich durch eine auf’s Aeußerste getriebene Ausnutzung der dem Lande gehörigen Domainen und Forsten bei der Regierung beliebt zu machen suchten. Die sogenannte Königseiche, bei Oesede in dieser Gegend, wurde umgehauen, weil der Forstcomplex, auf deren äußerster Zunge sie, weithin sichtbar, stand, auf der Karte zu einer regelrechten geometrischen Figur abgekantet werden sollte. – Uns fällt es dabei ein, daß der berühmte englische Eisenbahnbauingenieur Stephens eine seiner Bahnlinien eine große Curve beschreiben ließ, nur um eine schöne alte Eiche „Old England’s“ zu schonen, und das Parlament zollte dieser seiner Pietät die gebührende Anerkennung.

Auf einem Bauerhofe im Amte Grönenberg stand halb in der Wand des Bauernhauses, dessen schwarzes Strohdach sich unter den riesigen Zweigen zutraulich zu verkriechen schien, ein anderer dieser alten Eichenriesen. – Auf einer Kirmeß ließ sich der angetrunkene Bauer verleiten, den schönen Baum für einen Spottpreis an einige Wucherer zu verkaufen; und da nun der kleine Colonus nicht im Stande war, ein entsprechendes Reuekaufgeld zu entrichten, so mußte der alte Schützer des Hauses, beklagt mit vielen Thränen des Bauern, seiner Frau, Kinder und anderer Hausgenossen, der Axt zum Opfer fallen.

Wir erzählen diese einzelnen Fälle ausführlich, da sie uns ein deutliches Bild im Einzelnen geben, welche Ursachen es sind, die so verderblich auf die Existenz unserer schönen Eichenbestände wirkten; – und charakterisirte sich in dem Sturze dieser unserer Eichen nicht auf eine merkwürdige Weise die Ursache der bisherigen politischen Zerfahrenheit im ganzen deutschen Lande? –

Was der Zahn der Zeit des Guten nicht zerstörte, ist ein Opfer der selbstsüchtigen Interessen kleinstaatlicher Verwaltungen, ein Opfer der Pedanterie und im Volke ein Opfer der einstigen materiellen Zurückgekommenheit des Bauern- und Mittelstandes geworden!

Auf der alten Landstraße von Hannover nach Osnabrück, bei dem Dorfe Oster-Cappeln, stand jene uralte Eiche, welche uns zum Niederschreiben des Vorstehenden veranlaßte. Zeit und Stürme hatten ihr bereits seit langen Jahren die letzten Aeste geraubt, aber noch immer ragte, als eine Merkwürdigkeit für den Vorüberwandernden, der kolossale Rumpf empor. Am Fuße ihres Stammes hatte jener englische König Georg, als er zum ersten Male seine angeerbten hannoverschen Lande besuchte, mit seinem Gefolge geruht und der letzte kleine Zweig war im Jahre 1849 zum letzten Male grün gewesen. Der Baum war vielleicht von gleichem Alter mit der einst großen Dynastie der Welfen. Man spricht im gewöhnlichen Leben von Wundern des Zufalls, und ein solches Wunder oder ein solcher Zufall war es, als gerade in den Kriegsmonaten des für das hannoversche Königshaus so verhängnißvollen Jahres 1866 der alte Baum, ohne jegliche äußere Erschütterung, an einem ruhigen Sommernachmittage, wo in fernen deutschen Gauen der Donner des deutschen Krieges die Thäler erzittern machte, krachend, quer über die Chaussee, zur Erde fiel. Die altersgraue Riesin, als hätte sie eine Ahnung von der heranbrechenden neuen deutschen Zeit, neigte ihr müdes tausendjähriges Haupt und lebte nicht mehr. – Das Landvolk schrie den Sturz des Baumes als ein böses Omen für das hannoversche Königshaus aus; freilich ließ letzteres durch die königliche Landdrostei zu Osnabrück den ehrwürdigen Baum wieder aufrichten, das Stammende wurde plattgesägt, untermauert, und mit einem Kostenaufwande von hundertfünfundsiebzig Thalern stand der Stumpf, mit großen eisernen Ketten an seine Nachbarn geklammert, wieder da; aber es war aus mit dem grauen morschen Riesen, – im vorigen Sommer ist er abgebrannt!

Was läßt sich von solchen Zufälligkeiten sagen? – jedenfalls berühren sie oft wunderbar des Menschen Gefühle. – Ist es nicht gleich merkwürdig, daß auf den blutgetränkten Gefilden Langensalza’s der letzte deutsche Welfenkönig Krone und Reich verlor, wo vor fast achthundert Jahren sein großer Vorfahr Welf der Erste in der blutigen Schlacht gegen die Sachsen sich den Besitz Baierns und die Größe seines Geschlechts sicherte? –

Möge Preußen, das in die Geschichte Deutschlands energisch eingreift, dafür sorgen, daß unsere schönen Wälder vor dem ihnen drohenden Schicksale allmählicher Vernichtung nicht nur behütet werden, sondern daß dermaleinst unsere deutschen Eichen noch herrlicher und größer stehen als in unseren Tagen.




Ein Band zwischen Haus und Schule. Dr. Carl Pilz in Leipzig giebt eine pädagogische Familienzeitschrift „Cornelia“ heraus, die als solche bis jetzt einzig dasteht. Ihre Reichhaltigkeit und Allseitigkeit – sie läßt kein Verhältniß des Hauses und der Familie unbeleuchtet – hat sie in wenigen Jahren so weit gefördert, daß sie Leser in allen Gegenden des deutschen Vaterlandes zählt und somit Sache des Volkes geworden ist. Die „Cornelia“ bringt keineswegs langathmige pädagogische Abhandlungen, sondern in frisch lebendiger Weise verarbeitet sie ihren Stoff in Erzählungen, Schilderungen und populär gehaltenen Aufsätzen und weckt damit immer neues Interesse. Auch medicinische Artikel, welche die leibliche Erziehung der Kinder und die Bewahrung derselben vor Krankheit zum Zwecke haben, finden sich in dieser allen Eltern und Erziehern zu empfehlenden Zeitschrift. Bock.     



Schöne Schmugglerinnen in Amerika. Seit einiger Zeit werden die aus Europa kommenden weiblichen Kajütenpassagiere auf den verschiedenen Zollhäusern der Vereinigten Staaten mit einer Rücksichtslosigkeit untersucht, welche über alle Beschreibung geht, so daß es gewiß nicht möglich wäre, auch nur eine Stecknadel am Körper einzuschmuggeln. Der Oberzollinspector in Hoboken, ein feiner und gebildeter Mann, welchem neulich eine Dame hierüber Vorwürfe machte, entschuldigte sich folgendermaßen: „Madame, es ist allgemein bekannt, daß wir Amerikaner früher selbst auf dem Zollhause die Rücksicht nicht außer Acht ließen, die man dem schönen Geschlecht schuldet, allein dasselbe mißbrauchte unsere Artigkeit in einer unerhört kühnen Weise, so daß wir uns nun zu den strengsten Maßregeln genöthigt sehen. Wir dachten früher z. B. nie daran, bei den weiblichen Passagieren eine genaue Inspection der Kleider, die sie am Leibe trugen, vornehmen zu lassen, und unsere Beamtinnen waren eigentlich nur pro forma angestellt. Nun fiel uns aber, während der Pariser Weltausstellung, die außerordentliche Corpulenz der meisten zurückkehrenden Damen auf und auch ihre Chignons hatten eine verdächtige Größe. Die Taillen der Kleider wurden daher trotz allen Demonstrirens der Damen aufgetrennt, und siehe da, es fanden sich in denselben statt der unschuldigen Watte – mit welcher man sonst der Natur nachzuhelfen pflegt und die auch in diesem Falle stets zollfrei ist – großartige Quantitäten echter Spitzen vor, während die Chignons mit ähnlichen und anderen kostbaren Artikeln vollgestopft waren. Derartige Vorkommnisse machen natürlich vorsichtig, und wir sehen uns nun genöthigt, alles unzeitige Zartgefühl bei Seite zu setzen und nur die strenge Pflicht walten zu lassen; ein trauriger Umstand, an welchem aber die liebenswürdigen Damen selbst schuld sind.“




Ein aufgewärmter Curirschwindel. Nachdem die Revalenta arabica von Du Barry trotz aller Reclame nicht mehr von Dummen gekauft wurde und deshalb einige Jahre verschollen war, soll ihr unter dem neuen Namen „Revalescière“ wieder auf die Beine geholfen werden. Dieses angeblich unübertreffliche Heilmittel, das sogar Seiner Heiligkeit dem Papste nach zwanzigjährigem fruchtlosen Mediciniren glückliche Genesung geschafft haben soll, ist nichts weiter als das Mehl von Hülsengewächs-Samen (Linsen, Bohnen, Futterwicken), und ein Pfund, welches 1 Thlr. 13 Sgr. kostet, hat kaum den Werth von einigen Groschen. Wesentlich beigetragen zur Entlarvung dieses Schwindels hat die Schrift Frickhinger’s: „Revalenta arabica des Du Barry, ein großartiger Betrug.“ Bock.     


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Zwei Regenten. Von C. N. Riotte in New-York. Mit Portraits. – Trost. Gedicht von Robert Prutz. – Aus der Welt des Schweigens. Von E. Stötzner. – Casanova und Hagenbeck. Von H. Dorner. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Deutsche Eichen. – Ein Band zwischen Haus und Schule. Von Bock. – Schöne Schmugglerinnen in Amerika. – Ein aufgewärmter Curirschwindel. Von Bock.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_048.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2022)