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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


dann ein recht niedriges Lowry aussuchen und darnach die Höhe des Kastens einrichten. Die bei der Eisenbahn Angestellten thun zur bequemen Einrichtung solcher Transporte so viel wie nichts; jede Gefälligkeit, jede besondere Erlaubniß ist nur durch reichliche Trinkgelder zu erlangen. Ueberhaupt sind die Kosten für den Eisenbahntransport unmäßig hoch, und es wäre im Interesse namentlich der in den mittleren Theilen Deutschlands eingerichteten Thiergärten dringend zu wünschen, daß man ein geringeres Maß als die jetzt geforderte „doppelte Eilfracht“ für Thiere in Anwendung bringen möchte. Einzelne Thiere werden mitunter nach den für den gewöhnlichen Bedarf eingerichteten Tarifen transportirt, und da passirt es denn einem gefälligen Inspector zuweilen, daß er eine Antilope oder ein Zebra als einen „billigeren Esel“ betrachten zu können glaubt.

Wie nun, in Hamburg angelangt, die Thiere vom Bahnhof „Sternschanze“ nach den für sie eingerichteten Stallungen geführt werden, das möge man sich lieber auf dem Bilde ansehen als beschreiben lassen. Die gezeichneten Scenen sind durchaus naturgetreu, die dabei beschäftigten Personen einbegriffen. Links führt der schon mehrfach erwähnte George seine Elephanten ihrem Ruheplatze entgegen, in der Mitte bäumt sich eine von Hagenbeck geführte Giraffe und sucht ein Käufer sein eben erworbenes Eigenthum in höchst praktischer Weise am Ausreißen zu verhindern, im Hintergrunde links steht ein anderer Käufer, der Thierhändler Jamrach aus London, mit seiner Kudu-Antilope beschäftigt, und in seiner Nähe fährt ein Wagen mit mehreren Thierkasten. Die junge Dame auf dem Bock, eine Schwester Hagenbeck’s, sucht an Kühnheit ihres Gleichen denn für was halten wohl meine schönen Leserinnen das Thierchen, welches diese Heldin auf dem Schooß hat? Es ist nichts Geringeres als eine junge gefleckte Hyäne, deren Käfig nicht mehr zum Transport ausreichte und die nun wohl oder übel in diesen sicheren Händen alle Fluchtversuche aufgeben mußte.

Zu Hause angelangt, wurden die Thiere aus den Transportkasten in die geräumigen Käfige und Ställe gebracht und alle nach Möglichkeit gefüttert und verpflegt. Interessant war es zu sehen, mit welcher Sicherheit und Schnelligkeit hier umgepackt und geordnet wurde. So wurden zum Beispiel die gefleckten Hyänen an den Ohren aus den Kasten genommen und zu den Käfigen getragen, was den widerlichen Burschen, nach ihrem schauerlichen Geheul und wüthenden Gestrampel zu urtheilen, nicht gerade angenehm zu sein schien. Zwei derselben waren übrigens bei der Gelegenheit aus dem Kasten gesprungen und liefen nun eilend an uns vorüber, um sich in irgend einem Winkel zu verkriechen. Ein Käufer von etwas umfangreichem Körper und unruhiger Gemüthsart versuchte schnell oben auf einem Kasten in Sicherheit zu kommen, da er „mehr Angriffsfläche“ biete als wir; aber es geschah Niemandem ein Leid. Hagenbeck fing die Bestien in einen großen Leinwandkätscher und schaffte sie, ohne sich an ihr Widerstreben zu kehren, richtig an den Bestimmungsort.

Wirkliche Gefahren, namentlich durch reißende Thiere, kommen bei der Sicherheit des Verkehrs freilich selten, aber doch hin und wieder vor. So befreite sich beim Transport der Renz’schen Menagerie im Jahre 1861 der größte Löwe „Prinz“, warf sich sofort auf ein Wagenpferd und wurde, in dem schon lange nicht mehr gewohnten Genusse alles Andere unbeachtet lassend, von einem Kutscher erdrosselt. Der Mann warf ihm einen Strick um den Hals, zog denselben dann durch ein Wagenrad und schnürte, jetzt von Anderen unterstützt, dem Löwen die Kehle zu, indem er ihn nach dem Rade schleifte. Ein ähnlicher Fall wiederholte sich im folgenden Jahre, wo ein ausgebrochener Königstiger auf der zwischen Hamburg und Harburg gelegenen Insel Wilhelmsburg von einem Wärter erschossen wurde, und noch im vorigen Jahre befreite sich in Antwerpen ein Tiger Nachts aus einem Transportkäfig, tödtete einen Menschen, jagte Anderen gewaltigen Schrecken ein und wurde endlich vom Director des dortigen Thiergartens erschossen.

Um mit einer Notiz über unseren Transport zu schließen, erwähnen wir noch, daß das werthvolle, die Perle des Ganzen bildende Nashorn, nach längeren vergeblichen Bemühungen Hagenbeck’s, es dem Hamburger Thiergarten zu verkaufen, endlich nach London wandern mußte, wo man tausend Psund Sterling dafür zahlte und wo es jetzt schon seit jener Zeit um mehr als einen Fuß gewachsen ist. Die übrigen Thiere kamen bald genug nach allen Richtungen wieder von Hamburg fort, nur die zwei letzten Strauße erwarb sich der dortige Garten, während die beiden anderen bereits in Berlin ihre neue stattliche Heimath gefunden hatten.

H. Dorner.




Blätter und Blüthen.


Deutsche Eichen. Die alte Eiche auf dem Hofe des Gutsbesitzers Ledebur zu Wetter, Amt Grönenberg bei Osnabrück, deren Sturz durch das Wüthen des Sturmes vom 7. December viele Zeitungen in kurzer Notiz erwähnten, ist vielleicht einer der merkwürdigsten Bäume, nicht allein Westphalens, sondern ganz Deutschlands.

Weit und gigantisch breitete die mehr als tausendjährige Riesin ihr mächtiges Geäste aus, und ihres großen Alters und der erstaunlichen Dicke wegen war sie, eine der letzten immer mehr verschwindenden Zeuginnen von Deutschlands vielbesungenen uralten Eichenwaldungen, bekannt in der ganzen Gegend. – Der westphälische Bauer liebt die alten Eichen seines Bodens; sie, von Urahnen gepflanzt und gehegt, umstehen als eine schützende Garde seine Wehr; der Großvater hörte vom Großvater, daß schon von Alters her die Bäume, wie noch heute, seinen Hof schattig umgaben, und deshalb sollen sie auch so noch Kinder und Kindeskinder sehen. Der Bauer traut sogar den wetterwendischen Vormonaten der neuen Jahreszeit nicht eher, bis seine alten Eichen sich wieder mit neuem Grün schmücken; und er sieht, daß Herbst und Winter ernstlich heranrücken, wenn der Wind die ersten braunen Blätter seiner spät welkenden Schützerinnen wirbelnd an’s Fenster und durch die Thür bis an des Heerdes gastliches Feuer jagt. So sind die Eichen seines Hofes die langjährigen Gefährten seiner Vorfahren, der Schutz seiner Wehr, seine Rathgeber im unberechenbaren Wechsel der Elemente, er hält die Bäume wie seine Kinder, so daß der echte westphälische Wehre es in früheren Jahren selten und nie ohne große Noth wagte, Hand an die Bäume seines Hofes zu legen.

Auch der Besitzer der erwähnten tausendjährigen Eiche zu Wetter würde aus diesem Grunde schwerlich Hand an den Baum gelegt haben, so oft und von so vielen Seiten ihm auch schweres Geld dafür geboten worden ist, hätten nicht der große Gang der Natur und die Wucht der Elemente den schönen Baum im besten Greisenalter dahingeworfen.

Aber nicht dieses, nicht seine außerordentliche Größe machte den Baum vor allen andern seinesgleichen ausgezeichnet und merkwürdig: – dieser Baum war die sogenannte „Wettereiche“, die Eiche der „Wetter-Freien“; eine jener uralten Volksverbände niedersächsischer Gemeinden, die aus den Tagen Wittekind’s ihre Herkunft, ihre Verfassung und Institutionen herleiten und in stetem Flor gestanden haben durch die wildbewegten Zeiten des Mittelalters bis in die letztvergangenen Jahrhunderte. – Und die Vereinigung der Wetterfreien war für Westphalen und somit wahrscheinlich für ganz Deutschland die letzte ihrer Art, denn erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts rief das Botting zum letzten Male ihre Angehörigen unter den Zweigen dieser höchstwahrscheinlich zu diesem Zwecke auf dem Hofe zu Wetter vor Zeiten gepflanzten, jetzt tausendjährigen Riesin zusammen. Deshalb ist es auch so unwahrscheinlich nicht, daß, wie einige Zeitungen bemerkten, schon der alte Sachsenheld Wittekind diesen Baum kannte und bereits unter seinen jungen Zweigen das Recht sprach und übte inmitten der Wehren seines Landes, wie es noch nach tausend Jahren bei den Nachkommen seines wackeren Volkes gebräuchlich war.

Auf dem Meyerhofe zu Wetter lag die sogenannte „Hofrolle“ der Wetterfreien, wie das alte geschriebene Recht solcher Verbindungen genannt ward, und bis in unsere Tage pflegten sich dort alljährlich die dazu gehörigen Wehren aus den weit umher liegenden Ortschaften Buer, Melle, Riemsloh, Oldendorf, Neuenkirchen und Gesmold zu versammeln. War auch die gemeinsam wirkende Kraft ihrer Rechte längst in den herrschenden Landesgesetzen aufgegangen, in den alten ernsten Charakteren dieser westphälischen Bauern lebte doch noch die Erinnerung an ihre einstige Bedeutung und an die Zusammengehörigkeit unter sich, um dieselbe zu erhalten, wurde bei dieser Versammlung die alte Hofrolle nochmals verlesen und dann der Tag, auf echt germanische Weise, durch ein gemeinsames Mahl, zu dem nach alter Sitte ein Jeder Naturalien lieferte, gefeiert.

In die ältesten Zeiten der Sachsen hinauf reichen diese Verbindungen. Der Krieg und die stete Feindschaft mit benachbarten Stämmen rief sie in’s Leben, da solche das Zusammenhalten mehrerer Wehren zum gemeinsamen Schutz und Trutz nothwendig machten. Karl der Große löste die bestehenden Genossenschaften nicht auf, sondern er ordnete sie nur einer größeren allgemeinen Reichsverbindung, dem sogenannten Heerbanne, unter; jenem ersten Reichsheere, zu dem nur beim allgemeinen Aufgebote die Wehren sich stellen mußten.

Es gab Redehöfe (vielleicht vom niedersächsischen Ausdrucke „Rëë“ oder auch „Rete“ für fertig, bereit), auf denen der Redehöfer allezeit mit Sattel und Zaum zum Zuge in’s Feld bereit sein mußte.

Da die alten westphälischen Sachsen unter sich anfangs für Krieg und Frieden keinen gemeinsamen Oberherrn duldeten, sondern nur im Kriege Herzöge hatten, so ist es wahrscheinlich, daß auch Wittekind, der kühne Kriegsheld, kein König und Herr, sondern nur einer jener freien westphälischen Wehren war, deren Hof als Rede- oder Meyerhof an der Spitze einer solchen Verbindung stand, die nach Beendigung des Krieges wieder auf ihren freien Grundbesitz in ihre alte Gewohnheit zurückkehrten, sowie denn auch Wittekind nach Beendigung des Streites mit Karl dem Großen seine Tage in Ruhe auf seinem Hofe zu Enger in dieser Gegend beschloß.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_047.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)